Diktiert Deutschland einen neuen Staatsvertrag? (VFSN)

Publiziert von VFSNinfo am
Analyse von Thomas Morf, Präsident VFSN

Gemäss den Vorstellungen von Staatsminister Willi Stächele muss die Schweiz die einseitigen Deutschen Verordnungen von 2003 akzeptieren und zudem einer Reduktion der Anflüge von Norden um über 20% zustimmen. Doch was und wo sind die Gegenleistungen?  Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat diesmal nicht mehr „vorauseilenden Gehorsam“ praktiziert und der Zürcher Regierungsrat sich nicht als Vollstrecker von bundesrätlichem Unvermögen profiliert.

Deutschland habe ein Interesse daran, den Schweizer Flugverkehr über seinem Hoheitsgebiet durch einen Staatsvertrag zu regeln, sagte der baden-württembergische Staatsminister Willi Stächele. Er verhandle im Auftrag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günter Oettinger und in Absprache mit der Bundesregierung. Dies erstaunt, denn am 7. März hat sich der Deutsche Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee in Waldshut noch kategorisch gegen eine weitere Verschärfung der einseitigen deutschen Durchführungsverordnung (DVO) ausgesprochen. „Man muss der Bürgerschaft sachlich erklären, dass dies die Gegebenheiten sind“, so Tiefensee. Ebenso klar wie Minister Tiefensees Absage an eine Verschärfung der DVO fiel aber sein Plädoyer für ein Festhalten am Status quo aus. «Man wird nicht hinter das Erreichte zurückgehen», sagte er. Es gebe keinen Handlungsbedarf auf Seiten der Bundesregierung. Mit der Schweiz fänden in dieser Sache derzeit weder Verhandlungen noch Gespräche statt.

Wer hat welches Interesse an einem Staatsvertrag?

Bis anhin hat vor allem Bundesrat Moritz Leuenberger auf einen neuen Staatsvertrag gedrängt. Seinem Departement ist die Skyguide (Aktiengesellschaft zu 99% im Besitz des Bundes) unterstellt. Sie führt seit Jahren die Flugsicherung über dem Süddeutschen Luftraum durch – gratis. Im durch die eidgenössischen Räte zu Recht abgelehnten Staatsvertrag war dafür eine Entschädigung von 30 Millionen Franken vorgesehen. Dieser Wegfall schmerzt und darum ist das Interesse des Bundes an einem Staatsvertrag, der die Entschädigung der Skyguide regelt, gross. Das Verhandlungsmandat dazu hat Raymond Cron (Direktor BAZL). Wie das BAZL in einer Medienmitteilung (Dezember 2005) mitteilt, sind sich die technischen Experten beider Länder einig, dass die Flugsicherung über dem Süddeutschen Raum auch weiterhin durch Skyguide wahrgenommen werden muss. Dies sowohl aus betrieblicher wie auch aus Sicht der Sicherheit.

Seit dem Grundsatzurteil des Landesgerichtes Konstanz, nachdem Deutschland Schadenersatz für die Folgen des Flugzeugunglücks vom 1. Juli 2002 über Überlingen leisten muss, dürfte nun auch Deutschland ein grosses Interesse an einem Staatsvertrag haben, der die rechtliche Situation und die Haftungsfragen bei Unfällen über Deutschem Gebiet regelt.

Beim An- und Abflugregime auf den Flughafen Zürich hingegen stellt sich die Frage, ob ein Staatsvertrag überhaupt notwendig ist, oder ob die Bestimmungen des Abkommens von Chicago und der Europäischen Union nicht genügen? Mit seinem „vorauseilenden Gehorsam“ und der damit verbunden Umsetzung der vorsorglichen Massnahmen aus dem nicht ratifizierten Staatsvertrag, hat der Bundesrat eine für die Schweiz denkbar ungünstige Situation geschaffen. Das Protokoll vom 26. Juni 2003 (Moritz Leuenberger, Manfred Stolpe), in dem sich die Schweiz zur Einführung der Südanflüge und zur Verlegung der Warteräume verpflichtet, hat die Situation zusätzlich verschlechtert.

Bei einem Staatsvertrag der nur die An- und Abflugproblematik zum Inhalt hat, könnte die Erhaltung der aktuellen, von Deutschland diktierten und aus Schweizer Sicht höchst unbefriedigenden Situation, schon zu einem Achtungserfolg des Bundesrates erklärt werden, aber das genügt nicht! Verhandlungsziel des Bundesrates und der Regierung des Kantons Zürich muss sein, dass die mit der DVO erfolgte neue Belastung dicht besiedelter Gebiete im Osten und Süden des Flughafens eliminiert wird. Dazu ist der gekröpfte Nordanflug unerlässlich – mit oder ohne Einverständnis Deutschlands. Gelingt dies nicht, ist die Zukunft des Flughafens Zürich gefährdet.

Die immer härteren Forderungen von Baden-Württembergs Politikern sind verständlich. Damit können Sie bei ihren Wählern Stimmen gewinnen. Entsprechend haben sie sich verbal und medial kräftig exponiert. Sollten sie die geweckten Erwartungen nun nicht erfüllen, droht Gesichtsverlust.

Diverse lokale Deutsche Gerichte haben bis anhin die DVO in ihren Entscheiden gestützt. Dies obwohl namhafte (auch Deutsche) Rechtsexperten der Ansicht sind, dass die DVO gegen Europäisches Recht und vor allem gegen das Chicagoer Abkommen verstösst. Der Entscheid zur Klage der Schweizer Eidgenossenschaft am Europäischen Gerichtshof ist noch offen.

Wissen die Deutschen schon mehr? Befürchten Sie, dass der Europäische Gerichtshof die DVO als nicht rechtens erklärt? Wenn die Schweiz nun einen Staatsvertrag unterzeichnet und damit die Restriktionen der DVO völkerrechtlich anerkennt, besteht kein Grund mehr, das Rechtverfahren weiter zu führen. Dies wäre zugleich die totale Kapitulation vor Deutschland.

Wie weiter?

Wenn überhaupt, dann sind zwei unabhängige Staatsverträge notwendig.

Die Flugsicherung des Süddeutschen Luftraumes muss geregelt werden, nicht nur im Interesse der beiden Länder sondern auch im Interesse der Flugpassagiere und ihrer Sicherheit. Dabei handelt es sich quasi um einen „Werkvertrag“, zwischen einem Erbringer und einem Nutzniesser von Dienstleistungen. Die Gefahr besteht jedoch, dass Deutschland im Rahmen der Verhandlungen über die Höhe der Entschädigung Druck ausübt, um so z.B. den gekröpften Nordanflug zu verhindern, oder tiefere Flugkontingente über Süddeutschland zu erzwingen. Hier sind unsere Volksvertreter in Bern gefordert. Von ihnen erwartet die betroffene Bevölkerung nicht einfach eine Zustimmung zu irgendeinem Vertag, damit das Problem endlich ad acta gelegt werden kann. Von ihnen erwartet die betroffene Bevölkerung ein klares Nein zu jeglicher Art von „erpresserischen“ Forderungen.

Für einen Staatsvertrag der die An- und Abflugrouten regelt besteht im Moment kein dringendes Bedürfnis. Solange für Deutschland die Bestimmungen der DVO „nicht verhandelbar sind“ und kein letztinstanzliches Urteil zur DVO vorliegt, kann jeder Staatvertrag zu An- und Abflugrouten nur mit gravierenden Nachteilen für die betroffene Bevölkerung in der Schweiz verbunden sein.

Die Schweiz muss das Problem selber lösen. Mit der sofortigen Einführung des gekröpften Nordanfluges werden die durch die DVO entstandenen Belastungen in den dicht besiedelten Gebieten um Zürich sofort gemildert und kurz- bis mittelfristig eliminiert. Dies wird auch eine allfällige Verhandlungsposition der Schweiz nur stärken, wenn sie endlich beweist, dass sie fähig ist, im Flughafendossier eigenverantwortlich und selbständig zu handeln und nicht nur auf Grund eines deutschen Diktates.

Zwischen Baden-Württemberg und dem Kanton Zürich bestehen diverse Interessen, Abhängigkeiten aber auch Probleme. Verhandlungen müssen als Paket alle Aspekte des Zusammenlebens nördlich und südlich des Rheins beinhalten. Es geht nicht um die Befindlichkeiten von Politikern sondern um die Lebensqualität von tausenden von Menschen, die wirtschaftliche Prosperität und das Zusammenleben einer grossen Region – auch wenn, oder der gerade weil der Rhein diese Region teilt. Die Bevölkerung will einen Flughafen, aber einen Flughafen der Vernunft und ein Flugregime das möglichst wenige Menschen mit möglichst wenig Fluglärm belastet, ungeachtet bestehender Landesgrenzen.

Zürich, ein Deutscher Flughafen!

Bisher ist neben Baden-Württemberg der Flughafen der einzige Profiteur im Fluglärmstreit, ist er doch dem Wunschtraum nach einer flexiblen Nutzung aller Pisten und damit der gewünschten Kapazitätssteigerung (den Fairteilern sei Dank) einen grossen Schritt näher gekommen.

In Zürich steht ein sehr schöner, aber auch gigantisch überdimensionierter Flughafen, der mit seinem Kerngeschäft rote Zahlen schreibt. Es ist nur allzu verständlich, dass die Verantwortlichen alles unternehmen, Flugverkehr in Zürich zu generieren. Mit Erfolg, richtet doch die Air Berlin in Zürich per 1. November 2006 einen Hub ein, mit Zubringern von Frankfurt, Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Wien für Flüge auf die Kanarischen Inseln. Homecarrier in Kloten ist eine weitere Tochter der Lufthansa, die Swiss. Die Lufthansa selber spricht gerne von der Multihubstrategie, die sie verfolgt (Frankfurt, München, Zürich).



Berichtigung:
Im ursprünglichen Artikel wurde die Air Berlin irrtümlich als Tochter der Lufthansa bezeichnet. Dies trifft nicht zu.
Bitte entschuldigen Sie diesen Fehler.
Thomas Morf


Damit nun die Süddeutsche Bevölkerung in den Tagesrandstunden nicht mehr von Deutschen Fluggesellschaften gestört wird, sollen deren Maschinen, die zudem mehrheitlich von Norden kommen, kreuz und quer über den Kanton Zürich fliegen, um über dicht besiedelte Gebiete zu landen! Alles nach dem Motto, für Zürich den Dreck - für Deutschland den Speck. Der Flughafen Zürich ist ein Ort, wo hauptsächlich Deutsche Fluggesellschaften gutes Geld verdienen. Dass auch die Schweizer Wirtschaft und damit die Bevölkerung, mit ihr die 30\'000 Deutschen im Kanton Zürich, wie auch die 30\'000 Pendler aus Süddeutschland profiteren, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch dies berechtigt weder Deutschland noch im speziellen die Minister in Baden- Württemberg zu bestimmen, wie und wann in Zürich gestartet und gelandet werden darf. Die von den Immissionen betroffenen Menschen in den dicht besiedelten Gebieten um den Flughafen Zürich brauchen kein Deutsches Diktat und auch keinen Hub der Air Berlin.

Ungebremstes Flughafenwachstum verschärft die Probleme mit Deutschland

Verschärft wird Situation durch Forderungen der Flughafenlobby, wie Komitee Pro Flughafen, Weltoffenes Zürich, Gewerbeverband etc. Sie wollen keinerlei Wachstumsbeschränkungen und schon gar keine Verlängerung der Nachtruhe. Damit werden die Minister in Baden-Württemberg noch mehr provoziert. Dafür wächst der Profit des Lufthansakonzerns, auch wenn dafür die Schweizer Bevölkerung, noch mehr und noch länger belästigt wird.

Wachstum um welchen Preis auch immer? Aus dem Grounding der Swissair scheinen weder Manager noch Politiker etwas gelernt zu haben. Sie wundern sich, wenn die betroffene Bevölkerung nicht mehr länger bereit ist, für ihre grössenwahnsinnigen Träume den Kopf hinzuhalten.

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siehe auch:
Vorgeplänkel im Fluglärmstreit (NZZ, 11.08.06)
Deutsches Verwirrspiel um Flughafen-Staatsvertrag (TA, 12.08.06)
Bewegung im Fluglärmstreit (NZZ, 13.08.06)
Stächele erntet blanken Hohn (Südkurier, 14.08.08)
Mit klaren Zielen nach Berlin für eine bessere Anflugregelung (NZZ, 19.08.06)