Brief an den Kantonalen Gewerbeverband Zürich

Publiziert von VFSNinfo am
Medienmitteilung des KGV vom 11.10.06

Sehr geehrter Herr Gubler

33 Jahre lang habe ich als selbständiger Unternehmer 3-4000 Gewerbebetriebe in der Schweiz beliefern dürfen. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass diese Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe den Grundstock unserer Wirtschaft bildeten und dass in ihrer Gewerbeorganisation überwiegend vernünftige, für alle Mitglieder gültige, Wertmassstäbe vertreten würden.  Nun bin ich tief enttäuscht über Ihre Medienmitteilung vom 11.10.2006.

Einige Details zum ZFI:  

1. Im ZFI werden Maulbeeren mit Mostbirnen verglichen:

  • Basis Flugbewegungen und Basis Bevölkerungszahl = Jahr 2000, das entspricht dem Maximum vor dem Swissair-Grounding.
  • Basis Flottenmix und Basis An- und Ablugrouten = Jahr 2004, also mit Einschluss der illegalen Südanflüge.
  • Die Nachtflugsperrverordnung mit 7 Std. abzüglich 1/2 Std. für Verzögerungsabbau entspricht dem vorläufigen Betriebsreglement. In einer Statistik erwartet man Zahlen, welche in direktem Bezug zueinander stehen. Diese Irreführung allein qualifiziert die ganzen Erhebungen zu Schrott.

2. Sie behaupten, die Randstunden in der Nacht und am frühen Morgen würden besonders gewichtet. Die Berechnung stark schlafgestörter Personen erfasst aber solche lediglich am Abend ab 2200 h. Für die andere Hälfte der Bevölkerung hört die Nacht zumeist nicht um 0600 auf und vor allem nicht an Samstagen, Sonn- und Feiertagen.

3. Sie behaupten, der ZFI bewirke weder mehr noch weniger Flugbewegungen. Eine Verminderung des Fluglärms durch neue Techniken um lediglich 3 dB ermöglicht bereits eine Verdoppelung der Flugbewegungen ohne dass der Regierungsrat eingreifen müsste. Dies ruft früher oder später nach zusätzlichen Flugrouten und Warteräumen und verursacht eine zusätzliche Luftverschmutzung. Bisher verschonte Gebiete werden neu belärmt und der Bevölkerung ist dabei nicht geholfen. Profitieren werden ausschliesslich Unique und die Flughafen-Turbos.

4. Sie behaupten, es werde die Belästigung der Bevölkerung durch den Flugbetrieb ermittelt. Die Betroffenheit der Bevölkerung müssen Sie nicht mehr messen. Die spürt jeder Südschneiser seit drei Jahren mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen. Was Not tut ist eine Regelung, welche jetzt und jederzeit durch jedermann mess- und kontrollierbar ist und nicht Statistiken welche durch „jährlich stattfindende Diskussionen“ lediglich und nach bewährtem Rezept ein Hinausschieben des unhaltbaren Zustandes bewirken!

5. Der ZFI ist eine Ansammlung politischer Arroganz. Z.B. ist es doch barer Unsinn, wenn behauptet wird, dass es bei einem Ueberflug mit 90 dB nur bei 10 % der Bevölkerung zu Aufwachreaktionen kommen soll, wenn vergleichsweise ein Wecker mit 70 dB dazu vollends genügt. Eine grosse Zahl medizinischer Gutachten bestätigen die Realität. Weitere Fragen:

6. Haben Sie je die Situation an einem Samstag- oder Sonntagmorgen oder während einem deutschen Feiertag in einem der betroffenen Orte, z.B. in Gockhausen ab 0600 h miterlebt? In der Ruhezeit ca. 50 Flugbewegungen auf illegaler Flugroute alle 2,5 Minuten in nur 250 m Höhe mit 80-88 dB pro Flugzeug während 3 Stunden?

7. Haben sie bei meteorologischem oder technischem Ungenügen der Ostpiste gleichenorts nur einen Abend miterlebt mit den zusätzlichen Anflügen in gleicher Lautstärke ab ca. 2000 h bis teilweise 0030 h? (Schulkindern bleibt damit oft eine Schlafpause von ganzen 5,5 Stunden. Die PISA-Studie lässt grüssen!).

8. Haben Sie sich je überlegt, welche gesetzlichen Grundlagen diesem Fluglärm- Terror zugrunde liegen?

9. Welches Rechtsverständnis haben Sie, wenn Sie sich bewusst sein müssen, dass minimal folgende Gesetzesrichtlinien verletzt werden:

  • Nichtbeachtung der Grundlagen der Kantonalen Abstimmung vom 25.6.95: als Ziel wurden 255\'000 Flugbewegungen vorgegaukelt,
  • Kantonaler „behördenverbindlicher“ Richtplan,
  • Raumplanungs-Gesetz,
  • Luftreinhalte-Verordnung,
  • Umweltschutz-Gesetz,
  • Verfassungsartikel über Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben,
  • Verfassungsartikel über Gewährleistung von Eigentum und Entschädigung von Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen.

10. Sind Sie sich bewusst, dass die durch die illegale Flugschneise betroffenen Gemeinden mit gesamthaft 2-300\'000 Einwohnern zur bevölkerungsreichsten Region der Schweiz zählen und daselbst unzählige Inhaber von Mittel-, Klein- und Kleinstbetrieben Ihres Verbandes leben und leiden?

11. Haben Sie Kenntnis von den zahlreichen überzeugenden medizinischen Gutachten betr. der nachweisbaren Langzeitschäden an Bewohnern vieler Flugschneisen, wie z.B. in Heathrow, Amsterdam, Hamburg, Frankfurt, München und Wien?

12. Sind Sie sich bewusst, dass ca. 80 % des Flugverkehrs durch Touristen und nicht durch Geschäftsreisende und ein Grossteil dieses Verkehrs durch Transitreisende ohne wirtschaftliche Gewinnschöpfung für die Schweiz und ohne Beteiligung an den Kosten für Umweltverschmutzung, Lärmschädigungen, zusätzlichen Isolationen, Kerosin-Besteuerung, etc. und zu Billigsttarifen mit denen keine Bahn konkurrieren kann, erbracht werden?

13. Stört sie nicht, dass Unique und die ab Kloten fliegenden Airlines laufend Werbung für Einkaufsbummel in ausländischen Metropolen verbreiten und damit direkt unserer eigenen Wirtschaft schaden zufügen?

14. Ist Ihnen bekannt, dass es in Europa Länder gibt, welche ohne Hub ein weit grösseres Wirtschaftswachstum erzielt haben?

15. Ist Ihnen bewusst, dass der Flughafen auch ohne Hub-Funktion wie in früheren Zeiten interkontinentale Direktverbindungen anbieten kann und dass ohne weiterer Ausbau kein einziger Arbeitsplatz verloren geht?

16. Ist es für Sie normal, wenn in den betroffenen Orten – und nicht in Ihrem Wohnort Horgen – Hausbesitzer, welche über lange Jahre eine eigene Liegenschaft oftmals unter Einsatz ihrer gesamten Ersparnisse und Pensionskassengelder erspart haben – im vollen Vertrauen auf den „behördeverbindlichen“ Kantonalen Richtplan, jetzt ohne eigenes Verschulden einen Wertverlust von 15 – 30 % einstecken müssen? Bei diesem Milliarden-Klau dürfte es sich immerhin um den grössten Diebstahl handeln, welcher unser Land je gekannt hat.

17. In Gockhausen (vor drei Jahren noch privilegierte Wohnlage, ruhig, zentral und verkehrsgünstig gelegen, naturnah, vollbesonnt) mit 762 Haushalten sind seit November 2005 bereits 68 Wohnungen bzw. Häuser zum Verkauf/Vermietung ausgeschrieben worden. Es gibt etliche Fälle wo in kurzer Zeit aus Lärmgründen bereits mehrfache Mieterwechsel stattgefunden haben....

18. Können Sie sich vorstellen, dass für einen Familienvater beim Kauf eines Hauses bezüglich der Nachkommen die Werterhaltung des Vermögens eine grosse Rolle spielt?

19. Können Sie sich vorstellen, dass Leute im Pensionsalter nach in vielen Jahren gewachsener Ortsverwurzelung ihren Wohnort nicht mehr verlassen wollen, und sich bei den genannten gigantischen Wertverlusten gar kein gleichwertiges Heim mehr leisten können? Genau diese Situation haben auch wir erlebt und zum „Ueberleben“ rund 76\'000.— SFR in neue Isolierfenster stecken müssen. Der Flughafen als Verursacher weist jede Kostenübernahme ab und es verbleibt ein grosser Verlust an Liegenschaftswert und Lebensqualität!

20. Können Sie verantworten, dass eine Flugschneise bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten ausgerechnet über eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Schweiz installiert wird, dies bei voller Kenntnis über das statistisch erhärtete grösste Unfallrisiko in den letzten 6 km vor dem Pistenbeginn? Nehmen Sie sich bitte die Mühe und erleben Sie das beängstigende Gefühl, wenn alle 2,5 Minuten ein Flugzeug in nur 250 m Höhe mit ohrenbetäubendem Krach direkt über die Häuser fliegt!

21. Und am schlimmsten: Können Sie verantworten, dass sich unsere Regierung weiterhin eigenmächtig über behördenverbindliche Vorschriften hinwegsetzt und auf Kosten Unschuldiger die Fehlplanungen einer privatisierten Firma finanziert?

Alles in allem habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie absolut ungenügend orientiert sind und ich kann nicht begreifen, dass ein Schreiben mit derartig unbedachtem und schädlichem Inhalt offenbar ohne Kontrolle durch weitere Verbandsvorstandsmitglieder durch Ihren Verband in die Luft gesetzt werden kann.

Ihre Stellungnahme wird mich und viele Betroffene sehr interessieren. Vielen Dank. Mit freundlichen Grüssen

Adrian Schoop


Zürcher Fluglärmindex bringt die Wende in der Flughafendiskussion (Medienmitteilung KGV)

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