Interview mit dem abtretenden CEO des Genfer Flughafens

Publiziert von VFSN-info am

Interview NZZ 30.09.2024, Matthias Sander

«Für Dienstreisen dürfen wir nicht nach Zürich fliegen», sagt der abtretende Chef des Genfer Flughafens

André Schneider hat acht Jahre lang den Genfer Flughafen geleitet. Zum Abschied spricht er über die Unterschiede zu den Flughäfen Zürich und Basel – und über seine Motorradfahrt auf der Rollbahn.

 

Der Berner André Schneider war Berufsmusiker und Vize-Präsident der EPFL, bevor er 2016 CEO des Genfer Flughafens wurde.

Herr Schneider, die Deutschschweizer sind beim Fliegen so sehr auf die Flughäfen Zürich und Basel fokussiert, dass sie Ihren Airport vermutlich kaum kennen. Würden Sie ihn kurz vorstellen?

Der Genfer Flughafen ist der zweitgrösste des Landes und der älteste nationale Flughafen. Er wurde 1922 gegründet, als auch der Völkerbund nach Genf zog. Der Flughafen hat aber immer ein bisschen darunter gelitten, dass man in Bern eher nach Osten in die Deutschschweiz guckt als nach Westen.

Im Gegensatz zu Zürich ist Genf keine Drehscheibe.

In Genf steigt kaum jemand um. Unsere Passagiere kommen entweder hierher oder fliegen von hier weg. Dadurch sind wir zu hundert Prozent unserer Region verbunden. Der andere wichtige Unterschied zu Zürich ist die Geschäftsfliegerei. Wir sind in Europa der zweitgrösste Flughafen für Business-Aviation, nach Le Bourget bei Paris. Das wird genutzt von der Uno, von internationalen Organisationen und einer grossen Anzahl reicher Familien.

Wie in Basel gibt es in Genf ein französisches Terminal.

Es gibt einen grossen Unterschied: Basel ist ein binationaler Flughafen, er gehört Frankreich und der Schweiz. Wir haben ein Abkommen mit Frankreich, aber wir sind ein Schweizer Flughafen. Wir müssen natürlich ein gutes Verhältnis zu unseren französischen Nachbarn haben, damit uns nicht so etwas passiert wie Zürich mit Deutschland – dass wir auf einmal nicht mehr über Frankreich fliegen dürfen.

Sind die Flughäfen Zürich und Basel für Sie Konkurrenten?

Eigentlich nein. Eher Lyon, das noch näher liegt. Aber auch da sehen wir eigentlich keine Konkurrenz. Wir haben Kunden aus der Gegend von Lyon, weil wir Flüge zu anderen Destinationen haben. Und mit dem neuen Gesetz in Frankreich, dass sie von Lyon nach Paris eigentlich mit dem Zug fahren sollten, haben wir Leute, die von Genf nach Paris fliegen und von dort weiter. Sie wollen ihr Gepäck nicht zwei Stunden im Zug herumschleppen, sondern gleich den Check-in machen.

Der Flughafen Zürich hatte 2023 fast 29 Millionen Passagiere, Genf gut 16 Millionen, Basel gut 8. Ist diese Reihenfolge in Stein gemeisselt?

Wir haben ein ausgezeichnetes Netz in Europa, und in unserem Einzugsgebiet fliegen die Leute schon relativ viel. Deshalb ist unser Wachstum limitiert. Basel kann noch mehr wachsen, sofern sie das mit dem Lärm und dem CO2 hinbekommen.

Wichtiges Stichwort. Der Luftverkehr ab Schweizer Flughäfen verursacht elf Prozent aller Schweizer Emissionen von Treibhausgasen. Bis 2050 soll die Luftfahrt netto kein CO2 mehr ausstossen. Wie kann das funktionieren?

Der Flughafen hat einen Plan, bis 2037 netto kein CO2 mehr auszustossen. Wir bauen in den nächsten zwei Jahren eine neue Heizzentrale, die nur auf Wasser aus dem Genfersee und Wärmepumpen basiert. Damit sparen wir 60 Prozent unserer Emissionen ein. Mit der Elektrifizierung aller Fahrzeuge auf dem Rollfeld sparen wir noch einmal ungefähr 15 Prozent.

Viel wichtiger sind die Flugzeuge.

Es gibt heute schon Lösungen. Ab nächstem Jahr werden wir mit einem Anteil SAF (Sustainable Aviation Fuels, nachhaltige Flugtreibstoffe, Anm. d. Red.) fliegen. SAF verursachen 80 Prozent weniger CO2 als herkömmliches Kerosin.

Aber der gesetzlich vorgeschriebene SAF-Anteil ab 2025 beträgt nur zwei Prozent. Praktisch nichts.

Es wird noch nicht genug produziert. Der Preisunterschied zu herkömmlichem Kerosin ist gewaltig. Aber der Flughafen Genf zahlt Fluggesellschaften ab 2026 pro Tonne SAF 400 Franken, wenn sie mehr als die zwei Prozent nutzen. Und eher aus Lärmgründen haben wir eine finanzielle Unterstützung eingeführt für die jüngste Generation Flugzeuge. Die sind ungefähr 40 Prozent weniger laut, aber sie reduzieren auch die CO2-Emissionen um 15 Prozent. Um das gleiche Resultat mit neuen Treibstoffen zu erhalten, brauchte ich ungefähr fünf Prozent SAF.

Wenn die Luftfahrt die gesetzlich vorgeschriebenen Ziele erreichen soll, muss sie wohl schrumpfen.

Das Wachstum oder sogar die Nachfrage werden sicherlich sinken, weil die Preise hochgehen werden. Mit all den Massnahmen, die wir ergreifen, kann das nicht kostenneutral ablaufen. Auf der anderen Seite haben wir eine interessante Erfahrung gemacht letztes Jahr: Mehrere Fluggesellschaften haben die Ticketpreise massiv erhöht. Und es hatte hier in Genf überhaupt keinen Einfluss auf die Nachfrage. Die Leute wollten unbedingt fliegen.

Ein Flug von Genf nach Zürich verbraucht, je nach Berechnungsmethode, mindestens zehnmal mehr CO2 als eine Zugfahrt. Inklusive Check-in und der Fahrten vom und ins Stadtzentrum ist man mit dem Flugzeug nicht einmal schneller da. Müsste man Inlandsflüge in der Schweiz nicht verbieten?

Nein. 90 bis 95 Prozent der Leute, die von Genf nach Zürich fliegen, fliegen von dort weiter.

Der Intercity aus Genf fährt auch zum Zürcher Flughafen.

Wir haben es in der Covid-Krise gesehen: Wenn es keine Inlandflüge gibt und man die Leute bittet, erst den Zug zu nehmen und dann in Zürich das Flugzeug, ist das nicht sehr attraktiv. Dann fliegen die Leute lieber zu einem anderen Hub wie London oder Amsterdam. Letztlich riskieren wir, dass die CO2-Bilanz dann noch schlimmer ist. Aber am Flughafen Genf verbietet unser Reglement für Dienstreisen Flüge nach Zürich – und wir haben häufig Termine am Zürcher Flughafen.

Sie haben viel mit finanziellen Anreizen gearbeitet. Ab 2025 gibt es Strafen für verspätete Abflüge nach 22 Uhr.

Es sind keine Strafen, es sind im Prinzip Flughafenabgaben. Es gibt dann nur noch drei geplante Starts nach 22 Uhr, für interkontinentale Destinationen. Die Fluggesellschaften können für Verspätungen oft wenig. Zum Beispiel kumulieren sich die Verspätungen im Netzwerk. Trotzdem kann man natürlich Verspätungen verringern, und dazu braucht es eher einen negativen Anreiz als einen positiven.

Wenn eine Fluggesellschaft ihre jährliche Quote an erlaubten Verspätungen übertrifft, soll sie bis zu 40 000 Franken für jeden verspäteten Flug zahlen.

Ja. Für interkontinentale Flüge sind es 10 000 Franken bei der ersten Verspätung über die Quote hinaus, und das steigert sich bis 40 000 Franken.

Ihr Flughafen gehört zu 100 Prozent dem Staat Genf. Was bedeutet das konkret für einen CEO hier?

Es geht noch weiter. Wir sind nicht etwa eine AG, deren Aktien zu 100 Prozent in der Hand des Kantons sind. Wir sind wie die alten Organisationen der SBB, also ein Teil des Staates, aber nach Gesetz organisiert wie eine Firma mit einem unabhängigen Konto. Wir werden nicht subventioniert. Was heisst das für mich? Erstens ist mein Salär, das höher ist als das höchste Salär eines Staatsangestellten, häufiger in der Zeitung.

Sie haben 2023 mehr als eine halbe Million Franken Salär und Boni bekommen. Das wurde kritisiert, so kurz nach der Covid-Krise und in einem Jahr mit einem grossen Streik Ihres Personals.

Das ist kein Bonus gewesen. Ein Teil meines Salärs wird nach Performance bezahlt, und ich habe die Performance-Kriterien erfüllt. Es ist übrigens weit unter dem, was mein Kollege in Zürich verdient. Ich habe damit kein Problem. Aber für gewisse Jobs haben wir Probleme mit den Salärniveaus, die wir anbieten können.

Haben Sie Probleme, Fachkräfte einzustellen?

Eigentlich nicht. Aber wir haben Bereiche, wo wir über unser Salär-System hinausgehen müssen, vor allem in der IT. Da haben wir in Genf mit den Privatbanken und anderen eine sehr zahlungskräftige Konkurrenz.

Ihr Verwaltungsrat besteht aus 24 Politikern.

Das bringt seine eigenen Schwierigkeiten mit sich. Natürlich habe ich auch Vertreter von Parteien im Verwaltungsrat, deren politische Position nicht immer deckungsgleich ist mit den Anforderungen des Flughafens. Aber insgesamt läuft es eher gut.

Dafür muss der Flughafen keine Steuern zahlen.

Aber der Staat nimmt 50 Prozent unseres Gewinns, was über unserer theoretischen Steuerbelastung liegt.

Der Flughafen Genf hat sich tief verschuldet, um durch die Covid-Krise zu kommen.

Wir wollen schon 2028 wieder den Schuldenstand über dem Ebitda von vor der Krise erreichen. Das ist ein ziemlich aggressives Programm.

Zugleich investiert der Flughafen in seine Rundumerneuerung.

Unser einziges Terminal ist aus den 1960er Jahren und ist damals für fünf Millionen Passagiere gebaut worden. Heute sind wir bei fast 18 Millionen. Wir haben es ausgebaut, aber die Infrastruktur entspricht dem Bedarf überhaupt nicht mehr. Also wollen wir dieses Terminal langfristig renovieren oder durch einen Neubau ersetzen. Die Grundlage dafür schaffen wir mit dem Projekt Cap 2030, einer Erweiterung des Terminals. Auch wenn das Ziel jetzt schon eher 2032 oder noch später ist.

2016, als Sie hier anfingen als CEO, hatten Sie etwa genauso viele Passagiere wie letztes Jahr, eben gut 16 Millionen. Der Hauptgrund dafür ist natürlich die Covid-Krise. Ist diese Bilanz okay fürs Klima, aber schlecht für die Finanzen?

Wir werden dieses Jahr ungefähr 17,7 Millionen Passagiere haben. Wir haben letztes Jahr ein besseres Resultat gemacht als – bis auf ein einziges Jahr – vorher in der ganzen Geschichte. Wir können also mehr Geld verdienen mit weniger Passagieren. Bezüglich der Klima-Herausforderung: 2016 hatten wir erheblich mehr Starts und Landungen, als wir heute haben. Und die treiben ja die CO2-Emissionen und auch den Lärm.

Sie könnten in Rente gehen, wollen aber weiterarbeiten. Was genau?

Ich bin in Diskussionen für zwei Vollzeitjobs. Und ich habe schon einen Vertrag als strategischer Berater unterschrieben mit einer grossen Consulting-Firma aus den Niederlanden im Bereich Luftfahrt. Die planen neue Flughäfen und verbessern bestehende.

Im Sommer fuhren Sie auf der Runway Motorrad. Dafür wurden Sie kritisiert. Erlauben Sie sich am 30. September, Ihrem letzten Arbeitstag, noch eine kleine Verrücktheit?

Das muss ich klarstellen. Erstens haben meine Kollegen die Motorradfahrt für mich organisiert. Die haben mich um 4 Uhr 20 an den Eingang des Flughafens bestellt. Ich konnte mir ein bisschen vorstellen, was das sein würde, aber ich hätte nie gewagt, das anzufragen. Zweitens organisieren wir hier für gewisse Kollegen spezielle Verabschiedungen. Ein Rollfeld-Kontrolleur bekam einmal eine Parade mit Flughafen-Fahrzeugen. Aber ja, das Motorradfahren hat irrsinnige Freude gemacht. Und an meinem letzten Tag mache ich keine weiteren Verrücktheiten.

 

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