«Ganz ausschliessen lässt sich ein Crash nie» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Für den Chef des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, Peter Müller, hat die Sicherheit am Flughafen Zürich oberste Priorität. Darum setzt er sich für die Pistenverlängerung und für Abflüge über die Goldküste ein

Herr Müller, braucht es eine Katastrophe, damit sich das Bundesamt für Zivilluftfahrt für mehr Sicherheit am Flughafen Zürich einsetzt?
Nein. Bei allem Verständnis für die Lärmthematik: Wir möchten die Sicherheitsmarge in Zürich erhöhen. In der Güterabwägung zwischen Sicherheit und Umwelt sollte erstere ein noch grösseres Gewicht erhalten. Das möchten wir im neuen Luftfahrtpolitischen Bericht auch so formulieren. Wir unternehmen viel, damit ein Absturz weniger wahrscheinlich wird – ganz ausschliessen lässt sich ein Crash aber nie. Der Sicherheitsbericht zum Flughafen Zürich vom März 2013 enthält einen Katalog mit Massnahmen, welche die Sicherheit verbessern können. Einige dieser Massnahmen wurden umgesetzt, andere sind noch in Abklärung.

Ganz konkret: Was hat das Bazl veranlasst, um das Risiko einer Katastrophe zu senken?
Weil wir Druck gemacht haben, erstellt der Flughafen nun ein spezielles Bremsbett am Ende der Landebahn 28. Dies ist eine rasch wirkende Sicherheitsmassnahme, denn die Frage der Verlängerung der Piste 28 steht noch im Raum. Zudem finden tagsüber keine Vermessungsflüge mehr statt, das entlastet das komplexe Betriebssystem. Bereits jetzt wird der Flughafen also sicherer betrieben als dies bislang der Fall gewesen ist. Die Sicherheit hat oberste Priorität, aber der Flughafen muss auch politische Akzeptanz haben, damit er funktioniert. Und in dieser Frage spielt die Lärmdiskussion eine Rolle.

Trotzdem steigt die Anzahl der Vorfälle, bei denen sich Flugzeuge gefährlich nahe kamen.
Wenn ich sage: So sicher wie noch nie – bedeutet das nicht, dass wir mit der Situation zufrieden sind. Wir möchten, dass in Zürich weitere Schritte in Richtung Sicherheit gemacht werden. Die Entflechtung des Flugverkehrs im Osten, also beim Anflug über Deutschland, gehört in dieses Kapitel.

Die Verhandlungen mit Deutschland kommen allerdings nicht vom Fleck. Es geht auch um die Sicherheit in Zürich – und der Bund übt keinen politischen Druck aus. Warum?
In Fachkreisen in Deutschland und der Schweiz ist man sich einig, dass die Entflechtung des Ostanflugs die Sicherheit wesentlich verbessert. Wir bekommen von deutschen Flugsicherungsexperten diesbezüglich Unterstützung. Jedoch ist in Süddeutschland die Opposition gegen den Anflugverkehr auf Zürich nach wie vor sehr gross. Die Süddeutschen Politiker verlangen vom Verkehrsminister, dass er die geltende Verordnung verschärft. Wir warten aber nicht nur auf den Staatsvertrag. Deutschland sollte auch dem Betriebsreglement 2014 des Flughafens zustimmen. Dieses sieht wegen der Entflechtung des Ostanflugs eine etwas veränderte Routenführung über deutschem Hoheitsgebiet vor.

Das schwierige Verhältnis zu Deutschland tangiert die Sicherheit im Zürcher Luftraum. Was tun Sie?
In erster Linie streben wir die Zustimmung zur geplanten Änderung des Betriebsreglementes an, weil sie für die Sicherheit und den Geschäftsgang am Flughafen wichtig ist. Es ist uns ein grosses Anliegen, dass es damit vorwärts geht. Deshalb möchten wir von Deutschland bis spätestens Ende Jahr wissen, ob wir für das Betriebsreglement 2014 grünes Licht erhalten. Ist dies nicht der Fall, werden wir jene Änderungen umsetzen, für die wir allein zuständig sind.

Der Südstart mit einem Weiterflug geradeaus ab Piste 16 würde die Routen entflechten und die Gefahr von Zusammenstössen senken. Er führt aber über die wirtschaftlich und politisch potente Zürcher Goldküste. Scheut Bundesbern den Konflikt mit diesen Kreisen?
Nein. Bundesrätin Leuthard hat den Südstart geradeaus aus Sicherheitsüberlegungen zur Diskussion gestellt, obschon sie sich damit lärmpolitisch sehr exponierte. Bisher herrschte die Tendenz, den Süden von Anflügen am frühen Morgen zu entlasten, weil diese Region unter den Auswirkungen der deutschen Restriktionen leidet. Die Sicherheitsargumente führen nun aber zur Überlegungen, mehr Südstarts geradeaus durchzuführen – dieser Diskurs wird nun geführt. Massgebend dafür waren die Erkenntnisse aus dem Sicherheitsbericht 2013.

Für einen weiteren Konflikt zwischen Bundesbern und Zürich sorgt die Verlängerung der Piste 28. Der Kantonsrat hat sie aus dem Richtplan Verkehr gestrichen. Der bundesrätliche Entscheid steht noch aus. Wie wichtig ist die Pistenverlängerung für die Sicherheit?
Die Piste 28 ist ein ausgewiesener Risikofaktor, weil sie kurz ist. Unter dem Aspekt der Sicherheit ist es wichtig, dass man sie verlängern oder aber zumindest planerisch den Raum für eine Verlängerung sichern kann. Wir machen uns dafür Stark. Der Bundesrat wird sich dazu voraussichtlich im Herbst äussern.

Die Lotsen behaupten, das Korsett des Zürcher Luftraums sei wegen des politischen Widerstands so eng gefasst und daher so gefährlich.
Selbstverständlich sind die An- und Abflugregimes auch politisch gesteuert. Wichtig ist, dass die Entscheidungsgrundlagen für den politische Diskurs klar sind: Entweder haben wir ein Maximum an Sicherheit und damit beispielsweise den ganzen Tag Südstarts geradeaus. Oder es gibt punkto Sicherheit gewisse Abstriche wegen den Ruhebedürfnissen der Bevölkerung. Dessen müssen sich die Zürcher Politiker bewusst sein, wenn sie ihre Entscheidungen fällen.

Nachdem im August 2012 ein Segelflieger fast mit einem anfliegenden Airbus kollidiert war, sprachen die Experten der Unfalluntersuchungsstelle fünf Empfehlungen aus. Unter anderem empfahlen sie die Transponderpflicht für Segelflugzeuge. Im Juni verordnete das Bazl zwar ein grundsätzliches Obligatorium, macht aber just bei den Segelfliegern eine Ausnahme. Weshalb?
Einerseits hat sich Skyguide auf den Standpunkt gestellt, dass bei einem Transponderobligatorium für Segelflieger ihr Radarsystem überlastet würde. Andererseits gibt es neue Technologien, die sich für diese Flugzeug-Kategorie besser eignen. Diese Technologien wollen wir einführen, sobald alle technischen Fragen zu den Frequenzen beantwortet sind. Gängig ist bei den Segelfliegern aber heute schon ein Trackingsystem, das Auswertungen zulässt. Wir haben veranlasst, dass die Sicherheitsverantwortlichen in den Flugschulen und -clubs damit die zurückgelegten Routen analysieren und ihre Mitglieder auf unerlaubte Einflüge aufmerksam machen.

Sie überlassen die Arbeit also den Vereinen?
Nein, darum geht es nicht. Wir wollen einerseits die Basis sensibilisieren. Gleichzeitig kontrollieren wir, ob die Analysen tatsächlich stattfinden.

Die illegalen Einflüge im Nahbereich des Flughafens nehmen zu. Weshalb verbietet das Bazl den Kleinfliegern nicht, diesen Luftraum zu benutzen?
Wegen einiger schwarzer Schafe derart drastische Massnahmen zu ergreifen, ist nicht verhältnismässig. Zu Stosszeiten erhalten solche Flugzeuge von Skyguide ohnehin keine Erlaubnis und ausserhalb dieser Verkehrsspitzen sind Kleinflugzeuge kaum ein Problem. Die Schweiz ist ein kleines Land mit einem dicht beflogenen Luftraum. Trotzdem ist es dem Amt und mir ein Anliegen, dass die verschiedenen Benutzer des Luftraums geordnet koexistieren können. Damit dies möglich ist, unterstützen wir auch Sicherheitsmassnahmen für Freizeitpiloten.

Konkret?
Wir übernehmen beispielsweise 60 Prozent der Kosten, wenn ein Pilot seine Maschine mit einer sogenannten Moving Map nachrüstet. Auf dieser digitalen Karte zeigt ihm das GPS in Echtzeit, wo er sich befindet. Das System warnt in optisch, wenn er sich einem kontrollierten Luftraum nähert und gibt ihm gleich die Funkfrequenz an, mit welcher er die Flugsicherung kontaktieren kann. Dieses Kartensystem kostet nicht mehr als die Papierkarten und ist auch fürs iPad erhältlich.

Die Lotsen und die Unfallexperten fordern, dass der Luftraum des Zürcher Flughafens vereinfacht wird, damit sich die Hobbypiloten darin zurechtfinden. Was unternimmt das Bazl?
Wir planen im Norden des Flughafens kleinere Anpassungen, die die Situation vereinfachen sollen. Der Luftraum ist kompliziert, gerade weil die Kleinaviatik ebenfalls Platz haben soll. Damit sie existieren kann, dürfen die kleinen Maschinen, Gleitschirme, Segelflieger und Ballone an verschiedenen Orten unter den kontrollierten, von den Passagierjets genutzten Bereichen durchfliegen.

Der Flughafen fordert ein obligatorisches Training für Hobbypiloten, die in Zürich starten und landen wollen. Ihre Antwort steht seit Oktober 2014 aus. Weshalb?
Diese Massnahme erfordert eine Änderung des Betriebsreglements. Das hat zu grossen Diskussionen geführt. Die Trainingspflicht wird aber im Herbst verfügt.

Viele der fehlbaren Piloten, die im Zürcher Luftraum einfliegen, sollen aus dem Ausland stammen, leben also ausserhalb Ihres Hoheitsgebietes. Nehmen Sie die deutschen Behörden in die Pflicht?
Unsere Ansprechpersonen sind in diesem Fall in erster Linie die Verbände und die Flugschulen. Wir haben in der letzten Woche wiederum eine Mitarbeiterin zu den grenznahen deutschen Flugplätzen geschickt. Sie hat die Flugplatzverantwortlichen aufgesucht und die dort ansässigen Piloten auf die Problematik der kontrollierten Lufträume in Zürich aufmerksam gemacht. Zu bedenken gilt es aber auch, dass sich die ausländischen Piloten gewohnt sind, von der Flugsicherung enger begleitet und von dieser auf kontrollierte Lufträume aufmerksam gemacht zu werden. Diese Kultur kennen wir in der Schweiz weniger.

Weshalb machen Sie dies nicht zur Aufgabe von Skyguide?
Wir sind mit der Flugsicherung darüber im Gespräch.

Trotz aller Anstrengungen steigt die Zahl der illegalen Einflüge in den Zürcher Luftraum.
Das stimmt. Das hat einerseits mit dem schönen Sommerwetter zu tun, andererseits hat scheint sich das Meldeverhalten von Skyguide diesbezüglich geändert zu haben. Auf die Frage, warum sich die Einflüge häufen, haben wir haben aber noch keine definitive Antwort. Wir untersuchen die Gründe.

Sie geben Ihr Amt Ende Jahr ab. Hätten Sie zur Situation am Flughafen Zürich einen Wunsch frei, wie würde dieser lauten?
Ich wünsche mir, dass der Flughafen, Skyguide, Swiss und der Kanton bestmöglich kooperieren und am selben Strick ziehen, auf dass es zu keinen grösseren Unfällen auf und rund um den Flughafen kommt.

Sie haben gut sechs Jahre Erfahrung als Bazl-Chef. Was muss Ihr Nachfolger unbedingt mitbringen?
Eine grosse Sozialkompetenz im Umgang mit selbstbewussten Akteuren.

Tages-Anzeiger, 05.08.2015

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