Die Schweizer fliegen viel und profitieren von einem guten Angebot. Gleichzeitig ist die heimische Luftfahrt gegenüber dem Ausland benachteiligt – und ihre Entwicklungsperspektiven sind düster. Dies geht aus einer neuen Studie hervor.
Noch in diesem Jahr will das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) den neuen Luftfahrtpolitischen Bericht in den Bundesrat bringen. Was trocken tönt, hat Fleisch am Knochen: Der sogenannte Lupo definiert die strategischen Ziele des Bundesrats und die Erwartungen an die Landesflughäfen. Der Auftrag an den Flughafen Zürich lautet heute, dass er sich nachfrageorientiert entwickeln und die Schweiz an die wichtigsten Metropolen möglichst gut anbinden soll. Verkehrsministerin Doris Leuthard hat mehrfach klargemacht, dass sie an diesen Zielen festhalten will. Wie dies erreicht werden soll, ist allerdings noch ihr Geheimnis. Dabei zeigt sich immer klarer, dass die Schweizer Luftfahrt mittelfristig stark in Bedrängnis geraten wird, wenn die Politik nicht zu einem Befreiungsschlag ansetzt.
Handlungsdruck nimmt zu
Die Problematik ist vielfältig, wie die vom Bazl am Mittwoch veröffentlichte Studie «Monitoring der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Luftverkehrs» der Münchner Intraplan Consulting verdeutlicht. Die Kernaussagen des rund 200 Seiten umfassenden Berichts unterscheiden sich nicht grundsätzlich von jenen der ersten Monitoring-Studie aus dem Jahr 2012 – die Defizite haben sich aber akzentuiert. Die Flughäfen Zürich und Genf sowie die für die internationale Anbindung der Schweiz zentrale Airline Swiss leiden zunehmend unter Kapazitätsengpässen im System. Bezüglich der politischen und fiskalischen Rahmenbedingungen ist der Schweizer Luftverkehr benachteiligt, namentlich im Vergleich mit aufstrebenden Gesellschaften wie den Golf-Carriern oder der Turkish Airlines.
Positiv hält die Studie fest, dass Schweizer Flughäfen und Airlines effizient, qualitativ gut und mit hohem Sicherheitsniveau arbeiteten. Und die Schweizer nutzen das Angebot überdurchschnittlich oft: Die Mobilitätsrate im Luftverkehr liegt bei 1,4 Flugreisen pro Kopf und Jahr und damit fast doppelt so hoch wie in Deutschland.
Besonders ins Auge stechen aber die Warnungen. Besonders in Zürich seien die Kapazitätsreserven so gering, dass eine adäquate Bedienung der wachsenden Nachfrage nicht gewährleistet sei, heisst es in der Studie. Die Benachteiligung Zürichs wegen Engpässen im Start- und Landesystem werde auch angesichts zahlreicher Ausbauvorhaben europäischer und aussereuropäischer Flughäfen immer gravierender.
Das Verkehrswachstum wird in Zürich laut Intraplan analog zu jenem in Europa verlaufen. Konkret heisst dies, dass im Jahr 2020 mit rund 309 000 und 2030 mit rund 376 000 Flugbewegungen gerechnet wird. Die Kapazitätsgrenze liegt aber bei 350 000 Bewegungen im Jahr, heute werden rund 265 000 Bewegungen abgewickelt. In den für den Drehkreuz-Betrieb wichtigen Wellen- oder Spitzenzeiten kann die Nachfrage nach Zeitfenstern für Starts und Landungen, sogenannten Slots, zudem heute schon nicht mehr bedient werden. Intraplan hält nüchtern fest: «Es existiert bereits heute ein (teilweise latenter) Nachfrageüberhang, da viele Anfragen wegen Aussichtslosigkeit gar nicht gestellt werden.» Die zunehmende Slot-Knappheit wirke sich besonders negativ für am Standort beheimatete Airlines wie die Swiss aus. Eine Folge der hohen Auslastung sind sowohl in Zürich als auch in Genf häufige Verspätungen. Die Swiss weist mit einem Anteil von 74 Prozent pünktlicher Flüge einen unterdurchschnittlichen Wert auf.
Keine Abhilfe schafft laut der Studie, dass in Basel-Mülhausen noch Reserven vorhanden sind; der Standort eigne sich nicht als Hub-Flughafen. Aufgrund der Distanz zwischen Zürich und Genf sei auch eine gegenseitige Entlastung ausgeschlossen, so dass Intraplan insgesamt zum Schluss gelangt: «Das Schweizer Luftverkehrssystem kommt kapazitiv an seine Grenzen und verliert gegenüber dem Ausland, wo die Flughafeninfrastruktur ausgebaut wird, an Wettbewerbsfähigkeit.»
Eindeutig benachteiligt sei die Schweizer Luftfahrt im Bereich der politischen und fiskalischen Rahmenbedingungen, hält Intraplan fest. Zum einen müssten die Kosten für Sicherheit und Umwelt stärker als andernorts von den Flughäfen und damit indirekt von den Airlines getragen werden. Zum anderen seien die Nachtflugregeln deutlich restriktiver, was auch die Entwicklung des Cargoverkehrs behindere.
Südstart als Variante
Nachhaltige Kapazitätsausbauten in Zürich sind höchst umstritten. Vom Tisch ist gegenwärtig der Bau einer Parallelpiste. Schon eher durchsetzbar ist die Einführung von geraden Südstarts, die zusammen mit Nordanflügen einem Betrieb mit Parallelbahn gleichkämen – zumindest punktuell in Spitzenzeiten. Ob Leuthard den Mut hat, dies gegen breiten Widerstand in Zürich auf die Agenda zu setzen, ist offen.
Der Flughafen setzt derweil unter anderem auf Schnellabrollwege ab den Pisten 28 und 34 und auf die Entflechtung des Ostkonzepts, das Vereinfachungen bringen soll. Der Dachverband Aerosuisse fordert, dass der Bund einen Teil der hoheitlichen Sicherheitskosten übernimmt und sich stärker bei der Ausbildung von aviatischen Berufsleuten engagiert. Präsident Paul Kurrus spricht von Beiträgen in der Höhe von je rund 30 Millionen Franken jährlich.
Kommentar VFSN:
Es ist sehr widersprüchlich, dass jetzt eine Branche die sonst nach absoluter freier Marktwirtschaft schreit, plötzlich um Bundesgelder bettelt. Um die Probleme einer deutschen Luftfahrtgesellschaft zu lösen, die vor allem durch deutsche Anflugrestriktionen verursacht werden.
Die Firma Intraplan stellte schon immer mit traumwandlerischer Sicherheit Fehlprognosen. 2006 behauptete Intraplan, dass wir 2015 316’000 Bewegungen haben werden und 2020 402’000. Wir sind bei 265’000.
Immerhin ist jetzt klar, warum man die Südstarts straight wirklich will. Wegen der Sicherheit sicher nicht...