Beide vertreten pointierte Meinungen zum Fluglärm und wollen ihre Region schützen: An einem TA-Podium trafen der Zürcher Stadtpräsident Ledergerber und der Waldshuter Landrat Bollacher erstmals aufeinander.
Von Claudia Imfeld
Der Fluglärm des Flughafens Zürich ist ein Dauerbrenner. Seit Jahren und Jahrzehnten erhitzt er die Gemüter dies- und jenseits des Rheins. Nach einem offenen Brief des Zürcher Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber hat der Streit eine neue Spitze erreicht. Aus diesem Anlass veranstaltete der «Tages-Anzeiger» zusammen mit der «Stuttgarter Zeitung» am Donnerstagabend im Kaufleuten in Zürich ein Podiumsgespräch zwischen dem Stadtpräsidenten und seinem verbalen Widersacher, dem Landrat von Waldshut, Tilman Bollacher. Wie Peter Hartmeier, Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», und Wolfgang Messner von der «Stuttgarter Zeitung » in der Einführung sagten, entstand die Idee, als man feststellte, dass Ledergerber und Bollacher ihre wohl geschliffenen rhetorischen Pfeile zwar in ihren Communiqués abgeschossen hatten, nicht aber im persönlichen Gespräch. So kam es, dass die beiden wortgewandten Kontrahenten zum ersten Mal direkt miteinander über den Fluglärm diskutierten.
Herr Ledergerber, haben Sie mit so massiven Reaktionen auf Ihren offenen Brief gerechnet?
Ledergerber: Ich habe gewusst, dass die Fluglärm-Diskussion im Moment nicht auf der Basis von Fakten, sondern von Emotionen geführt wird. Ich wollte zu einer Versachlichung beitragen. Ich habe einige Hundert Reaktionen erhalten. Aus der Schweiz waren über 80 Prozent positiv. 15 Prozent der Rückmeldungen kamen aus dem südlichen Schwarzwald; die Hälfte war positiv.
Herr Bollacher, was haben Sie empfunden, als Sie den Brief gelesen haben?
Bollacher: Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Ledergerber – bevor er den Brief veröffentlichte oder anstatt ihn zu schreiben – den direkten Kontakt zu mir gesucht hätte. Wir hätten innert kurzer Frist einen Termin gefunden. Das ist ein Punkt. Dann irritierte mich, dass die Argumente nicht neu sind. Rhetorisch haben Sie, Herr Ledergerber, das sehr clever gemacht. Sie haben die Befindlichkeiten und die Anregungen aus der Bevölkerung zitiert – Stichwort Brückensperrungen – und haben sich dann davon distanziert. Sie sind aber Politiker genug, um die Wirkung zu kennen und zu wissen, wie es bei uns ankam: nämlich als Drohung. Entsprechend waren die Reaktionen. Noch ein Punkt: Sie haben ein paar Mal gesagt, insbesondere in der Südschneise habe die Einführung der Südanflüge zu einer enormen Enttäuschung geführt. Ich möchte betonen, dass die Proteste von deutscher Seite schon seit langem andauern. Die Schweiz hat sich jahrzehntelang nicht darum gekümmert.
Herr Ledergerber, war es richtig, den Brief zu schreiben in Anbetracht dessen, dass der Kanton über Jahre keine Gespräche mit den Süddeutschen geführt hat?
Ledergerber: Es ist ein Erfolg des Briefes, dass wir hier sitzen. Wir müssen das Gespräch von der rein politischen Ebene herunterholen zu den Menschen. Dieses Thema ist vor allem bei Ihnen, Herr Bollacher, in den letzten Jahren von ein paar Politikern hochgefahren worden. Die haben dadurch einen Sitz im Bundestag bekommen und sind dann aber über Zürich jeweils nach Berlin geflogen – das gehört zum Geschäft. Wir müssen lernen, zusammen zu sprechen, um Nutzen und Lasten des Flughafens zu verteilen. Aber die Fakten müssen stimmen: Sie haben in einem Brief geschrieben, dass dieser arme südliche Schwarzwald – den wir alle lieben – 80 Prozent der Lärmlasten trägt. Ich möchte hier feststellen: Der Flughafen Zürich hält im südlichen Deutschland die deutschen Lärmschutzbestimmungen ein. Ausserdem sind über 95 Prozent der Lärmemissionen in der Schweiz. Süddeutschland trägt die Anflüge, ich weiss. Aber die meisten davon sind so, dass man die Flieger zwar sieht, jedoch nicht hört. Die Flughöhe in Hohentengen beträgt 800 oder 900 Meter. In Schwamendingen sind es 250. Die Lärmbelastung in Hohentengen liegt bei 50 oder 55 Dezibel – ich danke Ihnen, dass Sie das bisher ertragen haben. In Schwamendingen liegt sie bei über 80 Dezibel, über 30 000 Leute sind davon jeden Morgen betroffen. Auf dieser Basis müssen wir miteinander diskutieren.
Herr Bollacher, wie sehen Ihre Fakten aus?
Bollacher: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Dass es in der unmittelbaren Nähe des Flughafens laut ist, ist klar. Tatsache ist aber auch, dass Sie einen Fluglärmteppich, wie er über unserem Gebiet besteht, in dieser Entfernung vom Flughafen nirgends in der Schweiz finden. Und der zweite Punkt: Von Schweizer wie von deutscher Seite wird immer wieder gesagt, wie wichtig es sei, dass Vertrauen entsteht. Die Argumentation, wie Sie sie bringen, zerstört Vertrauen. Sie lassen mitschwingen, dass man in der Schweiz die Belastungen bei uns herunterspielt. Wie sie etwa lächelnd sagten: Man sehe die Flieger, aber höre sie nicht.
Halten die Flugzeuge die Lärmschutzverordnungen ein oder nicht?
Bollacher: Ich habe meine Zweifel. Das ist von der Schweiz berechnet auf Grund irgendwelcher Dinge, die mir nie zugänglich gemacht wurden. Aber wenn die Lärmbelastung bei uns so gering ist – was spricht dann dagegen, sie in die Schweiz zu nehmen und von Osten her anzufliegen?
Ledergerber: Ich habe gesagt, ich bedanke mich für das, was Sie mittragen. Wir müssen aber trotzdem die Grössenordnung dieser Lärmbelastung sehen. Anflüge sind weniger laut als Abflüge. Und ich sage Ihnen, wenn wir über die Verteilung der Lasten sprechen, dann müssen wir nicht über Flugbewegungen sprechen, sondern über Lärm. Fakt ist, wir sind gemeinsam eine Wirtschaftregion, und wir müssen uns klar werden, wie wir alle Lasten und den Nutzen verteilen, damit wir ein vernünftiges Gleichgewicht finden können.
Herr Bollacher, können Sie sich eine Paketlösung vorstellen?
Bollacher: Sie kommt nicht in Frage.
Müsste die Lösung nicht auf regionaler Ebene gefunden werden?
Ledergerber: Wir wollen – wie Sie, Herr Bollacher, auch – dem Flughafen vernünftige Entwicklungsmöglichkeiten bieten, im Interesse der ganzen Region. Wenn wir uns einigen könnten, von einer unabhängigen Stelle die Nutzenund Lärmverteilung analysieren zu lassen, dafür wäre ich zu haben.
Herr Bollacher, wären Sie bereit, auf die deutsche Verordnung zu verzichten? Bollacher: Die Sperrzeiten sind der einzige Schutz, den wir haben. Diese Sperrzeiten können nicht angetastet werden. Was ich von Schweizer Seite höre, klingt immer wunderbar. Aber machen Sie doch bitte einfach mal einen Vorschlag, wie man den Flughafen betreiben könnte unter Berücksichtigung der verschiedenen Positionen.
Ledergerber: Ich habe einen Vorschlag gemacht: Lassen Sie uns die Lärmverteilung und die Nutzenverteilung analysieren. Ich glaube, heute ist es so, dass, proportional gemessen am Nutzen, der Lärm einseitig zu Lasten der Schweiz geht. Aber das müssten wir verifizieren.
Wer könnte unabhängiger Gutachter sein?
Bollacher: Ich stelle fest, dass es dem Flughafen bei der Lösung dieses Problems nicht eilig ist. Denn wenn wir diesen Weg gehen, streiten wir über Jahre hinaus weiter. Das zeigen all die bisherigen Gutachten. Ledergerber: Ihre Position ist offensichtlich unverrückbar. Bollacher: Wir haben klare Positionen. Diese fehlen mir von Schweizer Seite. Die braucht es aber, damit es weitergeht. Sie haben vor dieser Diskussion vorgeschlagen, Baden- Württemberg solle sich am Flughafen beteiligen. Das ist ein Vorschlag, der einer näheren Betrachtung nicht standhält: Es ist ein für das Land Baden-Württemberg nicht gangbarer Weg, denn es käme zu keiner Entlastung für unsere Bevölkerung. Es geht nicht darum, über Beteiligungen Einfluss zu nehmen auf die Flughafenpolitik. Es ist ein Schweizer Flughafen. Die Schweiz kann von mir aus einen Flughafen haben mit 600 000 Bewegungen im Jahr – solange sie nicht deutsches Gebiet in Anspruch nimmt.
Ledergerber: Wenn ich Ihnen zuhöre, verstehe ich die Welt nicht ganz. Der Schwarzwald ist ein strukturschwaches Gebiet, in dem die Gefahr von Abwanderung besteht. In der Schweiz arbeiten zehn Prozent dieser Leute. Sie könnten dies weiter ausbauen. Sie haben hier eine Chance zur Entwicklung der ganzen Region. Und Sie machen nichts anderes, als den Fluglärm zum Hauptthema Ihrer Wirtschaftspolitik zu machen – auf der Ebene von ein paar Hundert Leuten, die die Lärmbelastung einer schmalen Flugstrasse tragen. Sie sagen, Sie wollen von 100 000 auf 80 000 Flugbewegungen runter, und die Sperrzeiten seien unantastbar. Das ist die härteste Position, die Sie überhaupt einnehmen können.
Herr Ledergerber wirft Ihnen eine eindimensionale Politik vor.
Bollacher: Ein Vorwurf, der immer wieder kommt, dadurch aber nicht wahr wird. Ich nehme meine Verantwortung wahr für den süddeutschen Raum. Ein Flughafen und seine Einflugschneise vertragen sich aber einfach nicht mit einer sensiblen Erholungsund Tourismusregion.
Welche Rolle spielt der Fluglärmstreit in den Beziehungen Schweiz Deutschland?
Bollacher: Diesen Streit sollte man auf keinen Fall hochstilisieren. Es gab Stimmen aus der Schweiz, die uns vorwarfen, wir würden die bilateralen Beziehungen belasten. Das ist nicht akzeptierbar. Denn wir belasten niemanden. Wir sind die Betroffenen. Und wenn sich die Opfer wehren, kann dies doch nicht dazu führen, dass man plötzlich von belasteten Beziehungen spricht. Allenfalls könnte das Umgekehrte der Fall sein.
Ledergerber: Ich möchte hier nur anfügen, dass, wenn Sie Ihre deutschen Kollegen fragen, ob sie lieber ab Zürich oder ab Stuttgart fliegen, die Antwort klar ist. Und wenn ich das Positionspapier der Bundesregierung zur Luftfahrt anschaue, in dem bei allen Landesflughäfen mit Wachstumsraten von 5 bis 10 Prozent operiert wird – aber bei Zürich soll das nicht möglich sein. Dann betreiben Sie eine Politik der Selbstverstümmelung.
siehe auch:
Zürich und Deutschland im Clinch (TA)
«Man fliegt statt von Norden eben von Süden an» (TA)
Das Fluglärm-Duell (TA)
Bilateraler Fluglärmstreit (Leserbriefe TA)