Oliver Steimann Alles spricht dafür, dass sich der Zürcher Kantonsrat an seiner heutigen Sitzung definitiv für den sogenannten «ZFI plus» als Gegenvorschlag zur Plafonierungsinitiative entscheiden wird. Das von SVP und FDP favorisierte Modell kombiniert den Zürcher Fluglärm-index (ZFI) mit einer Wachstumsgrenze von 320 000 Flugbewegungen pro Jahr. Diese soll allerdings nicht - wie bei allen anderen Vorschlägen - als fixer Plafond verstanden werden, auf den sich der Flughafen auszurichten hat. Erst, wenn die 320 000 erreicht sind, soll der Kantonsrat über allfällige Beschränkungen einen referendumsfähigen Beschluss fassen.
Von Fluglärmgegnern wurde dieser Vorschlag hart kritisiert. Er löse das Problem nicht, ein Entscheid werde so lediglich auf die lange Bank geschoben. Wie lange aber ist diese ‹lange Bank›? Wann wird die Bewegungsgrenze erreicht sein? Zur Beantwortung dieser Frage liegen verschiedene Expertenstudien vor, die Prognosen über die Verkehrsentwicklung in Zürich beinhalten.
Zuwachsrate 2,9 Prozent pro Jahr
Die umfangreichsten Berechnungen hat 2005 die Firma Intraplan in München im Auftrag des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl) erstellt. Das 130 Seiten starke Gutachten untersucht die Entwicklung des Luftverkehrs in der Schweiz bis 2030 und hat bei seiner Publikation für viel Aufregung gesorgt.
Die Experten von Intraplan gehen davon aus, dass die Zahl der Starts und Landungen in Zürich weniger rasch zunimmt als die Passagiermenge. Beim Linien- und Charterverkehr rechnen sie bis 2020 mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 2,9 Prozent pro Jahr. Im Bereich der General Aviation (Privat- und Businessfliegerei) hingegen sei «nicht erkennbar, dass ein strukturell steigendes Verkehrsaufkommen zu erwarten ist». In Zürich geht Intraplan deshalb längerfristig von rund 35 000 Flugbewegungen der General Aviation aus. Gemäss der in der Studie vorgeschlagenen Wachstumskurve würde die Grenze von 320 000 Flugbewegungen bereits 2009 erreicht. Es gilt allerdings einzuschränken, dass die Starts und Landungen seit der Publikation weiter zurückgegangen sind - ganz entgegen den Annahmen der Autoren. Dazu war vom Büro Intraplan leider keine Stellungnahme zu erhalten.
Infras rechnet vorsichtiger
Etwas vorsichtiger haben die Verfasser der Studie «Volkswirtschaftliche Bedeutung des Flughafens Zürich» gerechnet. Im Autrag des kantonalen Amtes für Verkehr (AFV) hat das Büro Infras ebenfalls 2005 eine Prognose erstellt. Unter Bezugnahme auf internationale Luftverkehrsprognosen rechnet man bei Infras beim Linien- und Charterverkehr längerfristig mit einem Zuwachs von 2,5 Prozent pro Jahr. Diese Rate sei aber als «eher konservativ» zu bezeichnen. Die Grenze von 320 000 jährlichen Bewegungen würde gemäss diesem Modell im Jahr 2015 überschritten.
Die Infras-Studie ist allerdings arg unter Beschuss geraten. Im Auftrag des damaligen Waldshuter Landrats Bernhard Wütz hat die Beratungsfirma Kienbaum die Berechnungen analysiert und zerzaust. Eine jährliche Zunahme der Flugbewegungen um 2,5 Prozent sei keineswegs eine restriktive Prognose: «Wir würden sie allenfalls als realistisch bezeichnen wollen.» Im Kienbaum-Papier wird dann allerdings eine noch optimistischere Berechnung angestellt, nach welcher die Zahl von 320 000 im Jahr 2012 erstmals überschritten würde. Die Verfasser schränken die Gültigkeit dieser Prognose allerdings selber ein: «Wahrscheinlicher ist, dass die Entwicklung schleppender verläuft und ein massgeblicher Anstieg, wenn überhaupt, erst später erfolgt.»
Unique erwartet Trendwende
Seitens des Flughafens ist man mit Prognosen vorsichtig geworden. Unique-CEO Josef Felder geht davon aus, dass 2007 bei der Entwicklung der Flugbewegungen eine Trendwende einsetzen wird, weil die Auslastung der Flugzeuge die obere Grenze erreicht habe. Im Februar hat die Zahl der Starts und Landungen zwar um 2,8 Prozent zugenommen. Doch das Wachstum findet entgegen der Erwartungen allein im Bereich der Business- und Privatfliegerei statt. Linien- und Charterverkehr entwickeln sich hingegen rückläufig.
Die Durchsicht der verschiedenen Vorhersagen ergibt also kein klares Bild über den zeitlichen Aufschub, den sich der Kantonsrat mit dem «ZFI plus» verschafft. 2009, 2012 oder erst 2015 - die Experten könnten sich uneiniger kaum sein. Angesichts der zahlreichen Faktoren, von welchen das Wohlergehen der Luftverkehrsindustrie abhänig ist, vermag dies allerdings kaum zu erstaunen.
«Wohl um 2011 oder 2012 wieder aktuell»
Hinter der Idee des «ZFI plus» steht SVP-Kantonsrat Lorenz Habicher aus Zürich, Mitarbeiter der Flugzeugwartungsfirma SR Technics. Er rechnet mit einem raschen Wachstum der Flugbewegungen «um 4 bis 5 Prozent pro Jahr». Die Diskussion um die Grenzzahl 320 000 werde somit «wohl um 2011 oder 2012 wieder aktuell».
Habicher glaubt allerdings, dass der ZFI selbst, der die Anzahl stark belästigter Personen misst, schon vor diesem Zeitpunkt eine bremsende Wirkung haben werde. Dies sei jedoch noch abhängig davon, welche Limitierung man dort festlege. (ost)