«Lärm soll konzentriert werden» (AZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Flughafen Jurist Kaspar Plüss über hängige Streitpunkte - und eine mögliche Lösung

Eine Nordausrichtung des Flughafens Zürich entspreche am besten den Gesetzen, sagt Kaspar Plüss. Der Jurist plädiert dafür, die Frage nach der Flughafen-Ausrichtung über die Entschädigungsklagen zu klären.

Matthias Scharrer

Die politische Debatte um den Flughafen Zürich läuft auf Hochtouren. Juristische Aspekte wie die Lärmentschädigungsklagen und die Frage der Rechtmässigkeit von Süd- und Ostanflügen bleiben im Hintergrund. Zu Recht?
Kaspar Plüss: Das Politische und das Juristische liegen so eng beisammen, dass man es nicht trennen kann.

Entscheiden letztlich die Richter über den Fluglärm?
Plüss: Im Idealfall würden die Politiker entscheiden. Aber die Situation ist derart verfahren, dass man auf den Gerichtsweg gezwungen worden ist. Dies gilt selbst für Fragen, die eindeutig politischen Charakter haben - etwa die Ausrichtung des Anflugregimes des Flughafens.

Was spricht juristisch für gekröpfte oder ungekröpfte Nordanflüge, was für Süd- oder Ostanflüge?
Plüss: Aufgrund der Anflugsbeschränkungen über Süddeutschland besteht eine spezielle Situation. Im Normalfall würde man das Raumplanungs- und Umweltrecht anwenden - und Wirtschaftsfragen einbeziehen, gleich wie in der politischen Diskussion. Durch die Beschränkungen von Deutschland ist man aber in eine Notlage gedrängt worden, in der das Gericht sagt: Südanflüge sind zwar raumplanerisch unschön, aber lebenswichtig für unsere Wirtschaft, deshalb müssen wir sie trotzdem zulassen. Das ist zwar erst provisorisch entschieden. Es könnte noch sein, dass das Gericht sagt: Nein, es ist wirklich unzulässig, von Süden her anzufliegen, eben wegen der Raumplanung. Aber wie gesagt, es herrscht eine Spezialsituation, in der man nicht voraussagen kann, wie die Gerichte entscheiden werden.

Ist eine Nordausrichtung des Flughafens juristisch besser haltbar als eine Süd- oder Ostausrichtung?
Plüss: Auf jeden Fall, weil die Raumplanung darauf ausgerichtet wurde. In der Raumplanung gilt das Konzentrationsprinzip. Das heisst, Lärm soll konzentriert werden. Und zwar dort, wo nicht die Siedlungen sind. Das ist die Zielvorgabe. Man kann das natürlich flexibel interpretieren. Aber im Fall des Flughafens Zürich muss man sagen: Gedacht war, dass man von Norden anfliegt, um möglichst wenig Leute zu beschallen. Die Südanflüge sind das Gegenteil dessen, was man wollte.

Wie ist der gekröpfte Nordanflug juristisch zu beurteilen?
Plüss: Da geht es um völkerrechtliche Fragen, die zurzeit von Spezialisten beim Bund abgeklärt werden: Wie nah darf man an die Grenze fliegen? Wie kann man den Luftraum genau bestimmen - und abändern? Manche Juristen befürchten, dass Deutschland den Luftraum ändern und dadurch verbieten könnte, dass die Flugzeuge so nah an die Grenze dürfen.

Spricht nach Schweizer Recht etwas gegen den gekröpften Nordanflug, also Anflüge entlang der deutschen Grenze auf Schweizer Seite?
Plüss: Man könnte wieder raumplanerisch argumentieren, dass es nicht so vorgesehen ist. Verglichen mit den Südanflügen ist der gekröpfte Nordanflug aber die bessere Lösung, gerade wenn man das Prinzip der Lärmkonzentration berücksichtigt. Ich denke allerdings, man sollte das Ganze eher über die Entschädigungsfragen lenken.

Wie?
Plüss: Der Flughafen rechnet mit 1,5 Milliarden Franken Entschädigungen für den Fluglärm. Nur ein kleiner Teil davon - rund 200 Millionen - wären für die Süd- und Ostanflüge. Gleichzeitig ist klar, dass die Wertverluste viel grösser sind.

Wie hoch die Entschädigungspflicht wäre, ist fraglich. Erstinstanzlich wurden von 18 Pilotfällen aus Opfikon nur drei für entschädigungspflichtig befunden.
Plüss: Die Sache ist vor Bundesgericht hängig. Die heutige Rechtsprechung beruht auf einem Urteil des Bundesgerichts über Autobahnlärm von 1968. Sie besagt, dass nur ein kleiner Teil der Wertverluste entschädigt wird, mit der Begründung, dass man die Autobahnen gar nicht betreiben könnte, wenn jeder lärmbedingte Wertverlust entschädigt werden müsste. Meiner Meinung nach ist diese Argumentation kaum haltbar. Die Wertschöpfung, die die Luftfahrt bewirkt, beträgt beim Flughafen Zürich jährlich 13 Milliarden Franken. Angesichts dessen finde ich es problematisch zu sagen, es sei finanziell nicht möglich, die Lärmkosten zu bezahlen. Das Verursacherprinzip muss besser zur Geltung kommen: Wer die Schäden verursacht, muss dafür aufkommen. Das ist auch ökonomisch effizienter. Auf Südanflüge würde vermutlich verzichtet, weil sie zu teuer wären. Ich glaube allerdings nicht, dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung in naher Zukunft ändern wird.

Zur Person
Der Jurist Kaspar Plüss untersucht in seiner Doktorarbeit an der Universität Zürich das juristische Hinterland von Fluglärmklagen. Heute arbeitet er - nicht in Sachen Fluglärm - am Bundesverwaltungsgericht. Plüss lebt in Zürich. (mts)



Update:
Der Fluglärm beschäftigt die Justiz: Rund 18 000 Lärmentschädigungsforderungen sind beim Flughafen Zürich eingereicht worden. Davon sind 2500 bei der Eidgenössischen Schätzungskommission hängig. Von 18 Pilotfällen aus Opfikon hat die Kommission in drei Fällen eine Entschädigung zugesprochen. Alle 18 Pilotfälle sind vor dem Bundesgericht hängig. Auch gegen die Einführung der Ost- und Südanflüge wurden Beschwerden erhoben. Sie werden im Beschwerdeverfahren zum vorläufigen Flughafen-Betriebsreglement behandelt, das vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig ist. (mts)

Aargauer Zeitung, 12.03.2007, Seite 15


siehe auch:
Das juristische «Hinterland» von Fluglärmklagen (UNIZH)