Mit Thomas Morf* sprachen Edgar Schuler und Roger Keller
Sind Sie auch schon ab Kloten geflogen?
Ja, viermal – in die Ferien. Davon einmal seit Einführung der Südanflüge.
Und das machen Sie mit gutem Gewissen?
Ja, weil ich kein Flughafen-Gegner bin. Zürich braucht einen Flughafen, aber einen mit Vernunft.
Aber Lärm wollen Sie keinen im Süden.
Wir haben Lärm – die Südstarts. Wir wehren uns gegen die neuen Südanflüge, weil sie rechtswidrig sind. Ich bedaure, dass wir oft als Aggressoren hingestellt werden. Dabei sind wir die Opfer. Wir wollen nichts abschieben. Wir wehren uns nur gegen etwas, was uns gegen unseren Willen aufgezwungen wurde.
Passiert es vielen anderen Leuten nicht auch, dass sie plötzlich eine Lärmquelle vor oder neben ihrem Haus haben?
Klar, aber es gibt Richt- und Zonenpläne, die sagen, wo was zu erwarten ist. Im erst 1995 revidierten kantonalen Richtplan – mit einem Zeithorizont von 30 Jahren – gibt es im Süden keine Anflugrouten. Und auch das Umweltschutzgesetz verlangt, dass möglichst wenige Leute von Immissionen betroffen sein sollen.
Woher kommt es denn, dass die Südschneiser oft als Aggressoren dastehen?
Wir sind eine Bevölkerungsminderheit, aber eine, die sich wehrt, lautstark und hartnäckig. Alle Regionen können nur gewinnen, wenn sie zusätzlichen Fluglärm in den Süden abschieben können. Und wir haben Erfolg, denn ohne unseren Widerstand gäbe es heute sicher schon mehr Südanflüge. Wenn man keine sachlichen Gegenargumente besitzt, versucht man es halt mit Emotionen und stellt uns als Aggressoren hin.
Liegt es nicht eher daran, dass Sie sich, anders als der Osten, weigern, auch nur einen Teil des Lärms zu übernehmen?
Das stimmt so nicht.
Wir haben im Süden seit Jahrzehnten die 40 000 Starts der grossen und lauten Maschinen über Opfikon, Schwamendingen und Wallisellen. Und wir hatten bis vor kurzem auch die Militärjets von Dübendorf – dort haben wir auch nie gefordert, man müsse diesen Lärm über den ganzen Kanton verteilen.
Dem halten Politiker entgegen, dass das Gesamtinteresse des Landes und des Kantons schwerer wiege als Ihre Situation.
Das wäre richtig, wenn es keine Alternativen gäbe. Eine solche gibt es aber, und auch die Regierung fordert sie – die Rückkehr zur Nordausrichtung zusammen mit dem gekröpften Nordanflug. Nur geht es damit nicht vorwärts, obwohl der Gekröpfte flugtechnisch machbar ist und auf grosse Akzeptanz stösst, jetzt sogar auch beim Aargauer Regierungsrat. Mir ist schleierhaft, warum es so lange dauert.
Vielleicht ist es die Angst vor Deutschland, das diesen Anflug nahe seiner Grenze torpedieren oder als Folge davon eine noch geringere Überflugszahl zulassen könnte.
Am Lärm kann es nicht liegen. Hohentengen wäre noch weiter weg als heute. Vielleicht will man tatsächlich den Nachbarn im Norden nicht vergraulen. Vielleicht wartet man auch darauf, keine Entscheidung fällen zu müssen, ähnlich wie bei den Rechtsverfahren zum Betriebsreglement 5, wo nach über drei Jahren noch immer kein Entscheid gefallen ist. Aber wir werden keine Ruhe geben.
Was sagt der VFSN zur Plafonierung der Bewegungszahl in Kloten?
Wir haben die Unterschriftensammlung für die Initiative mit 250 000 Bewegungen unterstützt, wir sind aber nicht im Initiativkomitee. Wir entscheiden erst, wenn der der Kantonsrat über den Gegenvorschlag befunden hat. Klar ist, die Belastung durch den Flughafen darf, auch mit Nordausrichtung, nicht ins Unermessliche wachsen. Ich bin überzeugt, dass eine Lösung mit Deutschland einfacher würde, wenn die Schweiz unmissverständlich signalisiert, dass die Hubs von Frankfurt oder München nicht konkurrenziert werden sollen.
Sie sehen sich als Repräsentanten der Südschneiser. Weshalb fühlen Sie sich denn nicht auch für die Fertigmacherei verantwortlich, mit der ein Teil der Südschneiser gegen anders Denkende operiert?
Ich muss ganz klar sagen: Solche Auswüchse verurteilen der Vorstand des VFSN und ich aufs Schärfste. Das ist nicht unsere Art, den Kampf gegen die Südanflüge zu führen. Es ist aber auch eine bedauerliche Zeiterscheinung, dass der Umgang miteinander auf allen Ebenen verroht.
Es ist schnell gesagt, man verurteile etwas. Was aber unternehmen Sie?
Ich führe Telefongespräche und schreibe Mails. Ich rufe Mitglieder zu Mässigung auf und versuche sie zu überzeugen, dass leise Töne besser sind.
Sind das nicht die Geister, die Sie mit Ihren illegalen Aktionen auf dem Bundesplatz und bei der Brückensperrung in Kaiserstuhl gerufen haben, wo die Polizei eingriff?
Illegal war nichts. Der VFSN ist noch nie verurteilt worden für seine Aktionen. In Bern haben wir zahlreiche Parlamentarier mit Risotto verköstigt und den Platz verlassen, wie wir ihn angetreten haben. Das war eine friedliche, gesittete Kundgebung. Wir haben an einem Samstag auch über 10 000 Leute durch die Zürcher Bahnhofstrasse geführt, ohne dass einem Strauch ein Blättchen geknickt worden wäre.
Und in Kaiserstuhl, wo Pendler die Rheinbrücke nicht benutzen konnten? Die fanden das sicher nicht friedlich und legal.
Solange keine Verurteilung erfolgt ist, besteht die Unschuldsvermutung. Man versucht uns zu kriminalisieren, nur weil einige Leute eine Stunde friedlich auf einer Brücke standen.
Aber legen Sie mit solchen Happenings nicht den Boden für illegale Aktionen wie Drohungen oder Beschimpfungen?
Ich kann nur wiederholen: Drohungen, Beschimpfungen und anonyme Aktionen verurteilen wir aufs Schärfste, egal, woher sie kommen.
Haben Sie im VFSN nach solchen Aktionen auch schon Sanktionen ergriffen?
Nein. Beim Fall mit der Todesdrohung nach Waldshut, über den der TA gestern berichtet hat, ist mir, wie auch beim anderen gravierenden Fall in Meilen, der Absender nicht bekannt. Ich weiss also nicht, ob es sich um ein VFSN-Mitglied handelt. Solche Drohungen sind diskussionslos zu verurteilen.
Weshalb rufen Sie im Südschneiser-Forum von Hans Bantli nie zur Mässigung auf?
Diesen Vorwurf können Sie mir machen. Er ist berechtigt. Bis die TA-Artikel im Oktober über die Auswüchse erschienen sind, war ich nur ein- oder zweimal in diesem Internetforum. Ich bevorzuge andere Informationsquellen, und für mehr fehlt mir auch die Zeit; ich arbeite heute schon 600 bis 1000 Stunden pro Jahr für den VFSN.
Müsste sich der VFSN nicht stärker abgrenzen gegen verbales Krawallantentum?
Das wird die Konsequenz sein nach den TA-Berichten dieses Herbstes. Wir haben das im Vorstand schon thematisiert und überlegen uns, eine Forumsbeobachtung aufzuziehen. Dieses Thema haben wir sicherlich unterschätzt.
Weshalb gibt es solche Auswüchse nur im Süden?
Die gibt es auch in anderen Regionen und zu anderen Themen. Ich habe auch schon Morddrohungen erhalten und führe ein File mit dem Namen «Gruselkabinett», das solche Mails enthält. Viele Leute sind nach drei Jahren mit täglichen Südanflügen ab morgens um 6 Uhr mit den Nerven am Ende. Ich erwache nicht um 6.03 Uhr, wenn der erste Flieger kommt, sondern in dessen Erwartung zwischen 5.45 und 6 Uhr. So geht es vielen. Und das nervt.
Bringen Aktionen wie eine Brückensperrung den VFSN wirklich weiter? Müssten Sie nicht viel eher politischer werden?
Wir machen viel auf der politischen Ebene. Das sind die leisen Aktionen. Es braucht aber als Ergänzung auch die öffentlichen Aktionen. Wir haben mehrere Grossdemos durchgeführt und mussten feststellen, dass wir mit der Zeit belächelt wurden, weil die Schneiser friedlich waren. Das nervt. Wir werden weiterhin friedlich und gesittet auftreten, aber unmissverständlich zeigen, dass unser Widerstand nicht erlahmt ist.
* Thomas Morf, 53, Pfaffhausen, ist Präsident des Vereins Flugschneise Süd Nein (VFSN) und selbstständiger Projektmanager
Thomas Morf erwacht, bevor der erste Flieger kommt, nämlich schon in dessen Erwartung zwischen 5.45 und 6 Uhr.
08.12.2006, Tages-Anzeiger, Seite 19