Konstanz/Stuttgart - Gerade mal einen Monat ist es her, als in Berlin im Anschluss an den Fluglärmgipfel Bund und Land Baden-Württemberg stolz verkündeten, dass ein Geschäft auf Gegenleistung zur Lösung des Flugverkehrsstreites um den Flughafen Zürich nicht zu machen sei. Doch ernste Zweifel zumindest an der standhaften Haltung Baden-Württembergs keimten bereits bei der anschließenden Pressekonferenz auf. So erklärte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Günther Oettinger (CDU) habe angeregt, wirtschaftliche Fragen im Grenzgebiet mit den Auswirkungen des Fluglärms zu verknüpfen. Dem Stuttgarter Ministerpräsidenten kam dieser brisante Hinweis keineswegs gelegen. Betonte er doch stets, eine "Paketlösung" werde es mit ihm nicht geben.
Verstärkt wurde das Misstrauen in Südbaden durch den Jubel, den die Schweizer Delegation in Zürich und Bern nach dem Berlin-Gespräch verbreitete. So war es den Schweizern offenbar ohne großen Widerstand gelungen, die Behandlung der strittigen Fragen um den Zürcher Großflughafen in eine Arbeitsgruppe zu lenken. Gleichzeitig wurde in Stuttgart ein weiterer Arbeitskreis gebildet, der vor allem wirtschaftliche und Verkehrsfragen im Verhältnis mit dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz klären soll. Uwe Köhn vom Stuttgarter Staatsministerium bestätigte gestern auf Nachfrage dieser Zeitung, dass eine umfangreiche Liste vorliege, die vor allem verkehrs- und wirtschaftspolitische Vorhaben im deutsch-schweizerischen Grenzraum enthält. Darin ist von bereits bekannten Projekten und Problemen wie dem Ausbau der A98 die Rede. Aber auch von weniger bekannten wie dem Bau des Wiesenbergtunnels bei Basel, die Einrichtung einer Metropolregion Zürich ("Greater Zürich area"), die bis an die Tore Stuttgarts reichen soll, und der Eurobusinesspark im südbadischen Jestetten. Auf dem neuen Gewerbegebiet sollen sich Schweizer Betriebe ansiedeln, deren Steuereinnahmen zwischen Deutschland und der Schweiz geteilt werden. Anfang 2007 soll mit der Umsetzung der Vorschläge begonnen werden, so Köhn. Nach Informationen dieser Zeitung sollen die Ministerien aufgefordert worden sein, eine positive Zuarbeit zu den Vorschlägen zu leisten. Pikant an dem Papier, das die Unterschriften Staatsminister Stächeles und des Schweizer Außenamtsstaatssekretärs Ambühl trägt, erscheint indessen die Verknüpfung mit dem Fluglärmstreit. So soll der Streit "vorerst" nicht behandelt werden - solange kein Ergebnis aus der Berliner Arbeitsgruppe vorliege. Inzwischen gibt es Signale aus Berliner Regierungskreisen, dass man sich den Wünschen Stuttgarts nicht verschließen werde. "Baden-Württemberg hat den wesentlichen Einfluss auf die Verhandlungen," heißt es.
Die neuen Aktivitäten zur Bereinigung des deutsch-schweizerischen Verhältnisses wecken in der Region Besorgnis. Als "seltsam" bezeichnet der Vorsitzende der Fluglärm-Bürgerinitiative im Kreis Waldshut, Rolf Weckesser, die Hast, mit der Oettinger nach Lösungen für wirtschaftliche Grenzprobleme mit der Schweiz sucht, für die weder Zürich noch Bern zuständig sind. Erstaunt zeigt sich auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, Stefan Mappus. "Das Papier kenne ich nicht," sagte er gestern, angesprochen auf die Liste aus dem Staatsministerium, und fügte an: "Wir machen keine Zug-um-Zug-Geschäfte. Ein Ministerpräsident, der ein Kompensationsgeschäft machen will, dem wünsche ich viel Spaß." Laut Mappus bleibt es bei den alten Forderungen: Maximal 80000 An- und Abflüge über deutschem Gebiet und kein "gekröpfter" Nordanflug. "Der ist glatt rechtswidrig und nicht genehmigungsfähig."