Von Jürg Schmid Bern/Zürich. – Die Süddeutschen haben gut lachen. Sie sind mit Sperrzeiten vor nächtlichem Fluglärm besser geschützt. Und das wird vermutlich noch lange so bleiben. Die Schweizer Bevölkerung am und um den Flughafen Kloten hingegen kommt noch lange nicht zur Ruhe. Das Ringen um die An- und Abflugschneisen und eine längere Nachtruhe wird am kommenden Freitag wieder losgetreten. Der Grund: Der Bund wird im Rahmen der Flughafenraumplanung (SIL) einen Strauss von rund 20 Flugvarianten mit den Lärmauswirkungen präsentieren. Alle sind technisch und von der Sicherheit her machbar. Sämtliche kurz- und langfristigen Optionen sind geprüft worden: Betrieb mit verlängerter Westpiste 10/28, mit Parallelpisten, Dual Landing sowie Flugbetrieb mit und ohne deutsche Sperrzeiten. Das im SIL-Verfahren federführende Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) und die beteiligten Kantone Zürich, Aargau und Schaffhausen haben sich im Koordinationsprozess auf Vorgaben geeinigt. Dazu gehören nebst der Nachhaltigkeit, Sicherheit, den Auswirkungen auf die Umwelt, dem gekröpften Nordanflug auch Varianten für die kommenden 30 Jahre. Die Palette an Flugverfahren dienen zudem einer Arbeitsgruppe des Bundes als Grundlage für die Gespräche mit dem deutschen Verkehrsministerium über eine allfällige Neuregelung der Anflüge über den Schwarzwald. Der Waldshuter Landrat Tilmann Bollacher hat gestern Dienstag bereits eine Mitsprache der sechs süddeutschen Landkreise verlangt. Vertreter von Fluglärmorganisationen befürchten unisono, «mit dem Variantenstrauss in Kloten werden sämtliche Schleusen geöffnet». Alles müsse Platz haben, offen bleiben für die Zukunft, dies sei das Credo des Bundes und der Flughafen Zürich AG, lautet der Tenor. Ausdruck des tiefen Misstrauens in weiten Teilen der Bevölkerung sind auch die Initiativen, die für Kloten ein Korsett fordern sowie einen Verzicht auf Pistenausbauten.
Der Bund sagt bei der Flughafenraumplanung zwar, wo es langgeht, und der Bundesrat legt die raumplanerischen Leitplanken für den Flughafen fest. Die für den kommenden Frühling vorgesehene politische Debatte über den künftigen Flugbetrieb in Kloten muss der Kanton mit den Gemeinden und den Fluglärmorganisationen koordinieren und ausfechten. Die für den Flughafen zuständige Volkswirtschaftsdirektion (VD) will im kommenden Jahr mit den Gemeinden Kloten, Oberglatt, Opfikon und Winkel so genannte Perimetergespräche führen. Dabei gehe es um die Freihaltung von An- und Abflugkorridoren und mögliche Änderungen in der Lärmbelastung, wie die VD gestern Dienstag mitteilte. Es geht auch darum, ob Parzellen der Gemeinden dem Flughafengebiet zugeschlagen werden sollen oder nicht. Für die Stadt Kloten geht Stadtpräsident René Huber (SVP) von marginalen Veränderungen aus. Es gebe zwar noch keine inhaltlichen Entwürfe, aber er rechne nicht damit, dass ein ganzes Quartier betroffen sein könnte. Huber betonte, bei den Gesprächen in Kloten gehe es nicht um die Ostanflüge und die dort vom Bazl verhängte Projektierungszone (Bauverbot für hohe Gebäude), welche die Rekurskommission des Departementes Leuenberger wieder aufgehoben hatte. Unique wird den Fall voraussichtlich ans Bundesgericht weiterziehen.
Gewichtiger ist die Perimeterfrage hingegen für die Gemeinde Rümlang. Um eine allfällige Verlängerung der Westpiste nicht zu gefährden, hatte die Baudirektion im Oktober 2005 ein Baugesuch für das Industriegebiet Riedmatt sistiert. In der Folge hat die Volkswirtschaftdirektion im Einverständnis mit dem Gemeinderat Gespräche geführt. Es ging um die Frage, wie sich die Verlängerung der Piste auf die Ortsstruktur auswirken könnte. Weil die Flugszenarien des Bundes noch nicht bekannt waren, basieren die Erkenntnisse auf wenig aussagekräftigen Annahmen.
Der Kanton und die Gemeinde haben dem Bund eine Stellungnahme geschickt. Das Fazit für Gemeindepräsident Thomas Hardegger (SP): «Eine Verlängerung der Westpiste ist mit einer selbst bestimmten Entwicklung Rümlangs nicht vereinbar. » Der Gemeinderat lehne deshalb eine Pistenverlängerung strikte ab. Es keine siedlungsverträgliche Lösung, falls wegfallende Bauzonen kompensiert werden müssten. Der Gemeinderat befürchtet auch, dass die gute Mischung von Wohnund Arbeitsplätzen verloren gehen könnte, ebenso die Identifikation der Bewohner mit dem Dorf. Die Gespräche mit dem Kanton hat Rümlang nicht gesucht. Der Kanton wollte diese, weil er dem Bund aufzeigen musste, ob eine Verlängerung der 2500 Meter langen Westpiste um 450 Meter Richtung Rümlang machbar wäre.
06.12.2006, Tages-Anzeiger, Seite 13