Das Bundesamt für Zivilluftfahrt stellt der Leitung der Schweizer Flugsicherung ein vernichtendes Zeugnis aus
In einem nicht veröffentlichten Bericht zum geplanten neuen Kontrollzentrum der Skyguide listet das Bundesamt für Zivilluftfahrt schwere Versäumnisse der Flugsicherung auf.
Am 16. März brach grosse Hektik aus im Kontrollzentrum der Skyguide auf dem Flughafen Zürich. Die Fluglotsen erhielten keine Daten zu den Flugplänen der einzelnen Maschinen. Abflug- und Zielort, Flugzeugtyp, Flughöhe, Geschwindigkeit - alle diese Daten mussten die Assistenten von Hand ins System eingeben. Grund für die Panne: Wenige Tage zuvor hatte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) dem Flugsicherungsunternehmen Skyguide untersagt, wie vorgesehen am 15. März das gesamtschweizerische Kontrollzentrum für den oberen Luftraum in Genf in Betrieb zu nehmen. Auf diesen Fall war Skyguide offenbar nicht genügend vorbereitet.
Aus Fehlern nichts gelernt
Die Rückweisung des «Upper Airspace Control Center Switzerland» hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt am 3. April in einem detaillierten Bericht begründet. Das Papier, das der «NZZ am Sonntag» vorliegt, ist ein Katalog grober Versäumnisse und stellt der Skyguide-Führung ein miserables Zeugnis aus. Ein Auszug aus der Liste: Es fehlten entscheidende Nachweise, dass das neue System sicher sei. Beim Design, der Entwicklung, dem Testen und der Inbetriebnahme von Software- Systemen habe Skyguide keine in der Industrie gängigen Methoden angewandt. Eine genügende Ausbildung des Personals - also vor allem der Lotsen - sei nicht nachgewiesen worden. Das Projekt sei von Anfang an unter zu grossem Zeitdruck vorangetrieben worden, was die Arbeitsqualität - vor allem im Sicherheitsmanagement - negativ beeinflusst habe. Eine Planung für den Fall des Scheiterns oder der Verzögerung des Projekts habe gefehlt. Frühzeitige Warnungen des BAZL seien nicht berücksichtigt worden.
Wie ein Keulenschlag wirkt das Fazit des Berichts: «Eine etablierte Kultur der stetigen Verbesserung ist bei Skyguide nicht oder zumindest in viel zu schwacher Form implementiert.» Mit andern Worten: Vier Jahre nach der Katastrophe von Überlingen, bei der sich Skyguide am Tod von 71 Menschen mitschuldig gemacht hatte, ist die Schweizer Flugsicherung noch immer nicht auf jenem Stand, den das Bundesamt für Zivilluftfahrt als Aufsichtsbehörde von ihr erwartet.
Viele Mitarbeiter der Skyguide sind über den Inhalt des BAZL-Berichts nicht überrascht. Sie berichten, dass die Skyguide-Leitung die Einführung eines einzigen Kontrollzentrums für den oberen Luftraum in Genf - zurzeit gibt es zwei Zentren in Zürich und Genf - als «Prestigeobjekt» vorangetrieben habe. Intern sei wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich Skyguide einen Sektor am zukünftigen einheitlichen europäischen Luftraum, am «Single European Sky», sichern müsse. Ein einziges Kontrollzentrum für den oberen Luftraum (ab 7500 Meter über Meer) verbessere die Position der Skyguide im Wettbewerb unter den Flugsicherungsunternehmen.
Die Mitarbeiter berichten ausserdem, dass die Geschäftsleitung der Skyguide in dem von ihr proklamierten «Überlebenskampf» Bedenken gegen die Einrichtung des neuen Kontrollzentrums auf Mitte März nicht genügend Beachtung geschenkt habe. Die Lotsen behalfen sich auf ihre Weise: Sie sandten gleich mehrere anonyme Briefe an das Bundesamt für Zivilluftfahrt und an einzelne Bundesräte. In den Warnungen finden sich Sätze wie: «Da zu wenig Zeit bleibt, finden die Tests (des neuen Systems) im März sozusagen am Kunden statt.»
Skyguide-Chef Alain Rossier sagte Ende März an einer Informationsveranstaltung vor dem Personal, dass unter anderem die anonymen Briefe die termingerechte Einführung des neuen Kontrollzentrums verhindert hätten. Diese Schuldzuweisung wurde von den Mitarbeitern mit ungläubigem Staunen aufgenommen - die Mängelliste des BAZL lässt keinen Spielraum in der Erörterung der Frage, wieso das neue Kontrollzentrum vorerst gescheitert ist. Alain Rossier und Carlo Bernasconi, der Leiter des Flugsicherungs- Betriebs, mussten sich an derselben Veranstaltung anhören, es gebe ihnen gegenüber ein «Vertrauensproblem».
Frust und Ärger
Alain Rossier erklärt auf Anfrage, er könne es nachvollziehen, wenn jemand so empfinde. Der Frust und Ärger sitze bei gewissen Leuten tief, auch bei ihm. «Nun braucht es Arbeit und Überzeugung, um das Vertrauen in alle Instanzen wiederherzustellen», so Rossier. Indem er die Briefe erwähnt habe, hätten diese eine Bedeutung erhalten, die sie nicht verdienten hätten. Skyguide arbeite nun mit dem BAZL an einem neuen Projektplan. «Die Anliegen der Skyguide-Mitarbeiter wurden und werden ernst genommen», betont er.
Der Skyguide-Chef steht unter grossem Druck. Die Bewältigung der Katastrophe von Überlingen war in keiner Weise optimal, mit dem untauglichen System «Atmas» setzte Skyguide nach eigenen Angaben 25 Millionen Franken in den Sand - und nun droht erneut eine technische Neuerung zu scheitern. Geniesst Rossier noch den Rückhalt des Skyguide-Verwaltungsrats? Präsident Guy Emmenegger weicht aus. Der Verwaltungsrat der Skyguide nehme den Bericht des BAZL ernst, schreibt er in einer Stellungnahme. Es gelte jetzt, die richtigen Lehren und Konsequenzen daraus zu ziehen.