Am 15. April 2007, heute in einem Jahr also, bestimmen Zürcherinnen und Zürcher ihr Kantonsparlament und ihre Kantonsregierung neu - Zeit für eine Zwischenbilanz und den Blick nach vorn. Der neu gewählte Kantonsrat werde sich «etwas mehr Effizienz angewöhnen müssen», war in dieser Zeitung Anfang Juni 2003 über eine der ersten Sitzungen zu lesen, die das Parlament nach den Wahlen durchführte. Man könne kaum glauben, «dass diese 180 Ratsleute dazu gewählt worden sind, harte politische Gefechte auszutragen, etwa das bevorstehende zum Sanierungsprogramm der Regierung».
Zwölf Stichentscheide
Die Befürchtung erwies sich als unbegründet. Der Kantonsrat hat in den letzten drei Jahren harte Gefechte ausgetragen, nur schon deshalb, weil die Mehrheitsverhältnisse nach den Wahlen alles andere als eindeutig waren. FDP und SVP kamen zusammen genau auf die Hälfte aller Sitze, waren also auf die Unterstützung des einzigen Schweizer Demokraten oder der CVP angewiesen, die von Fall zu Fall entschied und sich nicht in einen Bürgerblock einbinden liess. Dass es oft hart auf hart ging, zeigt sich schon daran, dass der Ratspräsident in den letzten elf Monaten zwölf Stichentscheide zu fällen hatte.
Trotz dem Patt brachte der Kantonsrat der Legislatur 2003/07 fertig, was zuvor bei klaren Mehrheitsverhältnissen keine Selbstverständlichkeit gewesen war: Er verabschiedete Jahr für Jahr rechtzeitig ein Budget. Zudem verhinderte er im letzten Dezember (mit Stichentscheid) eine Steuerfusserhöhung, die unverständlich gewesen wäre angesichts des Geldsegens, den der Erlös aus dem Verkauf des Nationalbankgoldes der Zürcher Staatskasse bescherte. Zu den Pluspunkten der kantonsrätlichen Finanz- und Steuerpolitik zählt auch, dass er einen ausgewogenen Gegenvorschlag zur Volksinitiative für eine gesunde Steuerdisparität ausarbeitete. So konnte er die Initianten zum Rückzug ihres Volksbegehrens bewegen und eine Abstimmung verhindern, die zu Konfrontationen zwischen reichen und armen Gemeinden geführt hätte. Dass der Kantonsrat dann gleich bei der ersten Anwendung seines eigenen Gegenvorschlages den Initianten eine lange Nase drehte und höhere Zahlungen der steuerkräftigen Gemeinden in den Finanzausgleich ablehnte, nahm dem politischen Kunststück allerdings einen Teil seines Glanzes.
Zwar war die Haushaltsanierung in den vergangenen drei Jahren das dominierende politische Thema, doch spielte der Kantonsrat dabei nur eine bescheidene Rolle. Das lag auch daran, dass die Regierung ihm wenig Gelegenheit zu grossen Auftritten gab. Sie konzipierte die beiden Sparpakete dieser Legislatur so, dass der Kantonsrat nur beim ersten und auch dort nur am Rande mitreden konnte. Dieser wartet zudem immer noch auf eine Vorlage, welche die unbestrittenen Mängel der Ausgabenbremse behebt. Finanzdirektor Hans Hollenstein ist sie dem Rat bisher genauso schuldig geblieben wie sein Vorgänger Christian Huber. Und Markus Notter kündigte kürzlich an, erst der neue, in einem Jahr zu wählende Kantonsrat werde sich mit der Reform des Finanzausgleichs beschäftigen können - Notter hat den Termin für seine Vorlage ein weiteres Mal hinausgeschoben.
In anderen Bereichen kann sich die Bilanz des Kantonsrates sehen lassen. Er brachte im zweiten Anlauf ein Volksschulgesetz zustande, das eine Mehrheit fand. Er sicherte, ebenfalls durch eine Volksabstimmung bestätigt, die Weiterführung der Integrationskurse für Jugendliche. Er zog, nach der Vorarbeit des Regierungsrates, einen Schlussstrich unter den Polizeistreit zwischen Stadt und Kanton Zürich. Er bestätigte seinen Willen, den öffentlichen Verkehr grosszügig zu fördern, etwa mit dem Kredit für die dritte Teilergänzung der S-Bahn oder dem Nein zu Anträgen der SVP, die dem Zürcher Verkehrsverbund weniger Mittel zur Verfügung stellen wollte. Er ermöglichte die Gründung der Zürcher Filmstiftung, die Kultur- ebenso wie Wirtschaftsförderung betreibt. Und er verabschiedete zwei Vorlagen, die den kantonalen Spitälern ein bisschen mehr unternehmerische Freiheit bringen; sie müssen noch die Hürde der Referendumsabstimmung nehmen.
In dieser Aufzählung fehlt der Flughafen. Hier gingen vom Kantonsrat kaum Impulse aus, auch wenn Flughafendebatten zum Repertoire seiner Sitzungen gehörten. Das hat seinen Grund nicht nur darin, dass die Einflussmöglichkeiten gering sind. Zu stark war er auf das Thema Lärm fixiert, zu stark orientierten sich Kantonsräte an regionalen Wünschen, so dass eine klare Haltung schon bei den einzelnen Fraktionen kaum zu erkennen ist. Der Kantonsrat beschränkt sich darauf, ab und zu einen Warnschuss abzugeben. So tat im letzten November eine Mehrheit kund, über einen Ausbau des Pistensystems dürfe nicht einmal nachgedacht werden.
Die Folgen selber tragen
Was bleibt für das letzte Viertel der Legislatur? Noch einmal der Flughafen: Die Plafonierungsinitiative, welche die Zahl der Flugbewegungen auf 250 000 begrenzen möchte, wird zurzeit in der Kommission beraten. Weil Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer einen wenig ausgegorenen Gegenvorschlag präsentiert hat und weil in einem Jahr Wahlen sind, weibeln Kantonsräte für einen Plafond bei 320 000 Bewegungen - Gegner von Begrenzungen dürften es schwer haben, mit wirtschaftlichen Argumenten Gehör zu finden. Ob Dorothée Fierz\' Revision des Planungs- und Baugesetzes nach einer durchs Band negativen Vernehmlassung überhaupt in den Rat kommt, ist fraglich. Das gilt auch für ihren angekündigten Versuch, die EKZ an die kurze Leine zu nehmen. Das neue Kirchengesetz schliesslich, obwohl in der Vernehmlassung begrüsst, bietet Angriffsflächen: Es ermöglicht das Ausländerstimmrecht in kirchlichen Angelegenheiten.
Wenn im Frühling 2007 gewählt wird, bekommen Kantonsräte für einmal die Folgen ihrer Arbeit ganz direkt zu spüren. Erstmals werden die Mandate nämlich nach dem neuen Verfahren zugeteilt, das er beschlossen hat. Es wird dazu führen, dass die Grossen, SVP und SP, Sitze verlieren; die SP etwa muss ihren Wähleranteil um drei bis fünf Prozent steigern, wenn sie nur schon ihre Sitzzahl halten will. Profitieren dürften kleine Parteien wie die EDU, die Alternative Liste oder die Grünliberalen. Und vielleicht ziehen gar regionale Gruppierungen und Ein-Themen-Bewegungen ins Rathaus ein. Der Kantonsrat wird bunter werden. Wie sich das auf seine Arbeit und seine Entscheide auswirkt, weiss heute niemand. Sicher ist nur, dass er ein genaueres Abbild jenes Teils der Bevölkerung sein wird, der sich für Politik interessiert.