«Schneisen»-Präsident Thomas Morf rührt erneut die Werbetrommel für eine Grossdemonstration. Die Aktion soll beweisen, dass der Widerstand gegen die Südanflüge ungebrochen ist.
Lukas Matt und Andreas Schürer
Herr Morf, die Regierung bekennt sich zur Nordausrichtung des Flughafens, der gekröpfte Nordanflug wird vorangetrieben. Trotzdem rufen Sie unverhofft zur Demonstration auf - möchten Sie einfach Ihre Vereinsfreunde wiedersehen?
Thomas Morf: Die Demonstration kommt nicht unverhofft. Bekenntnisse genügen nicht. Seit zwei Jahren werden wir jeden Morgen um sechs Uhr überflogen. Es ist wieder Zeit, der ganzen Schweiz zu zeigen, dass der Widerstand ungebrochen ist. Und dazu ist eine grosse Demo auch medial das beste Mittel.
Also doch eine Selbstinszenierung?
Keineswegs. Wir wollen endlich Taten sehen. Dazu braucht es den Druck der Strasse. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt und Skyguide erfinden laufend Ausreden, um die Einführung des gekröpften Nordanflugs zu verzögern. Regierungsrätin Rita Fuhrer lässt verlauten, dass gleichzeitige Landungen von Osten und Süden, das so genannte Dual Landing, Kapazitätsreserven bringe. Da stehen mir die Haare zu Berge.
«Unsere Geduld hat Grenzen» heisst das Motto der Demonstration. Reisst den Schneisern bald der Geduldsfaden?
Die Ungeduld ist bei vielen gross - und sie wächst. Das macht mir Angst.
Wird sich Ihr Verein radikalisieren?
Für viele ist der Südanflug extrem belastend, für sie ist das Fass voll. Wir machen uns Sorgen, dass es zu einer Eskalation kommt. Substantielle Verbesserungen müssen nun schnell spürbar sein, sonst kann das Fass überlaufen.
Implizit eine Drohung, die Sie schon mehrfach geäussert haben.
Gedroht haben wir nie. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass wir nicht die Illegalität der Südanflüge anprangern und selber gegen das Gesetz verstossen können - dann wären wir nicht mehr glaubwürdig. Mit einer Radikalisierung würden wir auch die politischen Kontakte gefährden - vor allem die guten Beziehungen zu manchen Bundesparlamentariern.
Nicht alle Menschen im Süden des Flughafens sind so ungeduldig wie Sie. Viele haben sich nie an den Südanflügen gestört, oder sie haben sich daran gewöhnt.
Da wird bewusst auf Zeit gespielt. Unser Widerstand ist aber nach wie vor breit abgestützt – wir sind mit über 5000 Mitgliedern der grösste Verein im Kanton. Die einen wehren sich, weil sie Angst haben, wenn ihnen die Flieger in nur 250 Metern Höhe über die Köpfe donnern. Andere wehren sich, weil sie jeden Morgen aus dem Bett geholt werden - auch Leute vom linken Zürichseeufer und aus dem Linthgebiet. Wieder andere sagen: Der Fluglärm tut mir nicht weh, aber mir macht Angst, dass der Rechtsstaatmit Füssen getreten wird.
Wie fällt Ihre Bilanz nach rund zwei Jahren Schneiser?Widerstand aus?
Positiv. Wenn der Widerstand nicht so vehement wäre, gäbe es heute bereits mehr Südanflüge, der Wide left turn würde im Herbst eingeführt, und der gekröpfte Nordanflug wäre kein Thema. Wir haben uns Respekt verschafft.
Und was bringt Ihnen dieser Respekt?
Mir persönlich - viel Arbeit. Im Ernst, dieser breite Widerstand wurde von den Verantwortlichen nicht erwartet. Ein Beispiel: An einem Podium habe ich einmal Regierungsrat Ruedi Jeker gesagt, dass der gekröpfte Nordanflug möglich sei. Danach hat er mir im stillen Kämmerlein die Leviten gelesen – wie einem kleinen Schulbuben. Jetzt haben erste Probeanflüge stattgefunden, und es existiert ein Betriebsreglement für den Gekröpften.
Erste Tests zeigen aber, dass diese Anflugroute sehr anspruchsvoll ist - vor allem die scharfe Rechtskurve, die am Schluss geflogen werden muss.
Moment. Diese Rechtskurve wird automatisch geflogen, der Pilot muss nur zuschauen. Alle Linienflugzeuge, die den Flughafen während der deutschen Sperrzeiten anfliegen, sind mit den entsprechenden Instrumenten ausgerüstet.
Der Gekröpfte bleibt für Sie das Wundermittel gegen den Südanflug. Müssten Sie nicht kompromissbereiter werden?
Der gekröpfte Nordanflug ist der beste Kompromiss während der deutschen Sperrzeiten. Er hat in etwa die gleiche Kapazität wie der gerade Nordanflug. Er macht die Süd? und die zusätzlichen Ostanflüge überflüssig. Er ist umweltschonend, da nur halb so lange wie die Südanflüge. Zudem gibt er Deutschland die Möglichkeit zu einer neuen Lösung ohne grossen Gesichtsverlust.
Wann erwarten Sie, dass der gekröpfte Nordanflug eingeführt wird?
Operationell sinnvoll wäre der Flugplanwechsel im Frühling 2006.
Ist das nicht reichlich unrealistisch?
Absolut nicht. Die Ostanflüge konnte man über Nacht, die Südanflüge innert weniger Monate einführen. Und die Realisierung des Gekröpften soll Jahre dauern? Technisch wäre es kein Problem, ihn noch in diesem Jahr zu fliegen. Zudem gibt es positive Zeichen seitens der Politik.
Die da wären?
Während der Debatte zum Luftfahrtbericht haben fünf Nationalrate die sofortige Einführung des Gekröpften gefordert. Aber eben: Die Mühlen mahlen langsam. Wenn ich im Bundeshaus bin, läuft meine Uhr etwa fünfmal langsamer..
Lobbyieren Sie oft in Bern?
Ich versuche in jeder Session zwei Tage in Bern zu sein. Überraschend war für mich, auf wie viel Verständnis wir mit unseren Anliegen bei den Bundespolitikern gestossen sind. Auch Aargauer Nationalräten ist klar, dass die Südanflüge dem Flughafen schaden und dass es den Gekröpften braucht.
Welche Aargauer Nationalräte?
Namen kann ich keine nennen. Vertraulichkeit ist wichtig, wenn hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.
Der Protest der Bevölkerung und der Aargauer Regierung ist aber gross. Nochmals: Müssten Sie nicht eine gewisse Anzahl Südanflüge akzeptieren?
In diesem «Business» gibt es kein «Bitzeli». Wenn im Betriebsreglement Südanflüge enthalten sind und auf der Piste 34 das Instrumentenlandesystem installiert ist, kann der Südanflug unbeschränkt benutzt werden. Das ILS ist wie eine Autobahn, die gebaut worden ist. Verkehr ist programmiert.
Diese «Autobahn» baut der Flughafen ja nicht zum Spass - sondern weil die Leute, privat oder beruflich, fliegen wollen.
Das Problem sind nicht die Passagiere, die von Zürich aus in die Ferien oder zu einem Geschäftstermin fliegen. 250 000 Flugbewegungen reichen für die Bedürfnisse des Heimmarkts. Das Problem sind die Umsteigepassagiere. Die fixe Idee, dass Zürich eine bedeutende europäische Drehscheibe für den
Weltluftverkehr sein soll, ist ein absoluter Stumpfsinn.
Stumpfsinn? Ein prosperierender Flughafen ohne Beschränkungen bringt bis im Jahr 2020 Tausende Arbeitsplätze, wie eine Studie des Büros Infras zeigt. Diese Arbeitsplätze gefährden Sie.
Halt. Sie kommen mir schon vor wie Regierungsrätin Fuhrer In der Studie ist von Arbeitsplätzen die Rede, die es noch gar nicht gibt. Gegenfrage: Wissen Sie, wie viele Arbeitsplätze uns 1995 mit der fünften Ausbauetappe des Flughafens versprochen worden sind? Ich sage es Ihnen: 4000, und zwar für die Abwicklung von 250 000 Flugbewegungen. Und was haben wir erlebt? Arbeitsplätze sind abgebaut worden.
Die Regierung und Unique sträuben sich vor allem gegen eine fixe Zahl an maximal möglichen Flugbewegungen.
Für diese Bedenken habe ich Verständnis. Die Initiative «Für eine realistische Flughafenpolitik» fordert die Beschränkung auf 250 000 Flugbewegungen, weil dies den Bedürfnissen des Heimmarkts genügt und die Stimmbürger 1995 dazu Ja gesagt haben. Wenn die Regierung aber einen vernünftigen Gegenvorschlag bringt, der ohne Plafonierung auskommt, kann ich dem zustimmen.
Wie könnte ein solch vernünftiger Gegenvorschlag lauten?
Zum Beispiel so: Für die Bedürfnisse der Schweizer Wirtschaft und der Bevölkerung gibt es keine Limitierung, und der Anteil der Umsteigepassagiere am Gesamtvolumen liegt im Bereich zwischen 10 und 20 Prozent. Das habe ich verschiedenen Politikern vorgeschlagen, auch Frau Fuhrer.
Ihr Verhältnis zu Rita Fuhrer scheint zwiespältig: Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass sie ihr voll und ganz trauen. Sie sparen aber nicht mit Kritik an ihr.
Ich traue ihr immer noch. Aber ihre Worte korrelieren zu wenig mit den Taten des Regierungsrates. Sie bekennt sich zwar zur Nordausrichtung, der Regierungsrat bekämpft aber nicht grundsätzlich den Wide left turn und das Dual Landing. Im Herbst beginnen die Gespräche über den Sachplan Infrastruktur Luftfahrt - dann wird man sehen, ob die Regierung ihren Worten Taten folgen lässt. Wir werden Frau Fuhrer wie allen anderen Akteuren genau auf die Finger schauen. Dies ist ebenso wichtig wie demonstrieren. Alle müssen wissen: Es nützt nichts, etwas zu verschleiern - wir bohren immer nach.
Die Lage spitzt sich vielleicht bald zu - in Deutschland spricht man davon, die Verordnungen zu verschärfen.
Wenn die süddeutsche Bevölkerung sähe, was die Auswirkungen der einseitigen Verordnung für die Menschen zum Beispiel in Schwamendingen sind, würde sie erschrecken. Politiker, die nun aus Eigennutz gar eine Verschärfung fordern, handeln zutiefst menschenverachtend. Die Forderungen zeigen aber auch, dass der Bundesrat endlich die betroffene Schweizer Bevölkerung schützen muss. Wir sind keine Kolonie Deutschlands und auch kein Spielball für den deutschen Wahlkampf.
Umfrage: Was meinen Sie?
Am Samstagnachmittag wird die Farbe Gelb die Zürcher Bahnhofstrasse dominieren - die Schneiser werden ein weiteres Mal gegen die Südanflüge demonstrieren. Wie halten Sie es mit den Südanflügen? Schreiben Sie uns, welche der folgenden Aussagen Ihrer Haltung entspricht.
- a) Die Südanflüge stören mich stark. Hoffentlich kommen mehrere tausend Schneiser an die Demo.
- b) Die Südanflüge stören mich. Statt zu demonstrieren, sollte jetzt aber in Ruhe die weitere Entwicklung abgewartet werden.
- c) Die Südanflüge stören mich. Auch der Süden muss aber einen Teil der Last tragen - zum Wohle eines gedeihenden Flughafens.
- d) Die Südanflüge sind für mich kein Thema.
- e) Die Südanflüge stören mich nicht. Dafür gehen mir die fanatischen Südschneiser auf die Nerven.
E-Mail: meinung@zsz.ch. Bitte Namen, Vornamen und Wohnort angeben. Zitate im Folgeartikel werden anonym wiedergegeben.