Regierungsrätin Rita Fuhrer stellt sich den Vorwürfen der Südanflug-Gegner
Der «Wide Left Turn» ist sistiert, und der gekröpfte Nordanflug wird bald getestet. Gute Neuigkeiten für die über 600 Schneiser, die am Dienstagabend in der Fällander Zwicky-Fabrik am 600. Tag der Südanflüge den Ausführungen ihres Präsidenten zugehört haben. Im Zentrum stand die bange Frage: «Wie weiter mit den Südanflügen?» Regierungsrätin Rita Fuhrer präsentierte Antworten.
Von Daniel Fritzsche
Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein (VFSN), ist kürzlich zum dritten Mal in seinem Leben geflogen. Nach Namibia in die Ferien. Mitgebracht hat er ein Ferienfoto, das er seinen Schneiser-Genossen an deren Versammlung in der Fällander Zwicky-Fabrik zu Beginn seines Referats präsentierte. Darauf zu sehen ist der grösste Flughafen Namibias, umgeben von einer riesigen Waldfläche. «Das nenne ich nicht dicht besiedeltes Gebiet», rief Morf und leitete über zu seiner Fundamentalkritik am jetzigen Anflugregime des Flughafens Kloten.
Angst vor dem «Straight Start»
«Um das klarzustellen, wir sind nicht gegen den Flughafen», erläuterte der Schneiser-Patron, «aber er soll mit Vernunft genutzt werden.» Das heisst, die Kapazität des Flughafens soll nicht weiter ausgereizt oder gar erhöht werden. Ein Schritt in die richtige Richtung sei da die vorläufige Sistierung des «Wide Left Turn». Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung für Beschwerden gegen das neue Abflugverfahren (siehe «ZSZ» vom Mittwoch) wertete Morf als Erfolg für die Beschwerdeführer, sprich den VFSN, das Fluglärmforum Süd und die Volkswirtschaftsdirektion von Regierungsrätin Rita Fuhrer.
Gegen den «Wide Left Turn» spricht laut Morf, dass damit neue Gebiete (beispielsweise Dübendorf) stark mit Lärm belastet würden. Er befürchtet ausserdem, dass Flugzeuge mit dieser neuen «schwammigen Abflugroute» zukünftig gerade per «Straight Start» starten würden, also direkt über die Seegemeinden.
Speditiv zum gekröpften Nordanflug
Ein Wermutstropfen sei die um eine Woche verschobene Testphase für den Entlastung versprechenden gekröpften Nordanflug. «Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben», beruhigte Thomas Morf die über 600 Schneiser in der zum Bersten gefüllten Zwicky-Fabrik. Vom «Gekröpften» verspricht sich der «oberste Südanfluggegner» nach wie vor viel. Er soll als Ersatz für den direkten Nordanflug während den deutschen Sperrzeiten dienen. Der nötige Grenzabstand zu Deutschland, eine nautische Meile, würde eingehalten und «der Rhein nicht überflogen». Morf machte deutlich, dass der angestrebte Termin zur Einführung der alternativen Flugroute mit dem Jahr 2007 zu spät angesetzt sei: «Der gekröpfte Nordanflug kann technisch bereits Ende 2005 realisiert werden – wenn politischer Wille und Druck vorhanden sind.» Das Bewilligungsgesuch, das derzeit beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) vorliegt, müsse speditiv genehmigt werden.
Künstliche Nachfrage geschaffen?
Schwere Vorwürfe erhob Morf gegen die Studie zur «Volkswirtschaftlichen Bedeutung der schweizerischen Landesflughäfen». Sie wurde von der Flughafenbetreiberin Unique und dem Regierungsrat zusammen mit dem umstrittenen Betriebsreglement 6, das den «Wide Left Turn» und das «Dual Landing» vorsieht, publiziert. Die Studie arbeite mit unrealistischen Zahlen, sagte Morf. Es werde mit zu vielen zukünftigen Flugbewegungen gerechnet und damit eine «künstliche Nachfrage» geschaffen. Der Zeitraum der offiziellen Studie erstreckt sich bis ins Jahr 2020. Als Konsequenz forderte der VFSN-Chef eine Anpassung der Prognosen. Laut den errechneten wesentlich tieferen Zahlen der Fluglärmgegner wären in Zukunft keine Südanflüge und keine zusätzlichen Ostanflüge nötig.
Hoffen auf Gegenvorschlag
Morf stört sich über die «Angstmacherei mit überrissenen Arbeitsplatzverlusten», die er in der Unique-Studie ausmacht. 56 000 Stellen gingen laut deren Berechnungen bis ins Jahr 2020 verloren. «Hat denn der Abstimmungskampf um die Plafonierungsinitiative bereits begonnen?» Diese vom VFSN lancierte Initiative sieht eine Begrenzung der jährlichen Flugbewegungen auf 250 000 vor. Die Unique rechnet mit 420 000 Bewegungen pro Jahr. Der Verein zeigt aber Kompromissbereitschaft: Mit einem regierungsrätlichen Gegenvorschlag, der sich auf maximal 320 000 Flugbewegungen belaufen würde, wären die Schneiser einverstanden.
Szenenapplaus für Fuhrer
Eigentlich sollte im Anschluss an Morfs Ausführungen ein Podiumsgespräch mit Vertretern von Unique, Bazl und der Zürcher Kantonsregierung folgen. Von diesen drei hatte lediglich Regierungsrätin Rita Fuhrer «den Mumm», sich den harten Schneiser-Fragen zu stellen, wie dies Thomas Morf ausdrückte. Darum bat der Präsident die lärmgeplagten Zuschauer, während Fuhrers Referat statt zu buhen und zu pfeifen nur unauffällig mit den Zähnen zu knirschen.
Rita Fuhrer, die als Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zürich das Flughafen-Dossier betreut, bemühte sich, auf alle offenen Fragen einzugehen. Sie bekräftigte das Anliegen des Regierungsrates, den Flugverkehr «so weit es irgendwie geht» nach Norden, in ein nicht dicht besiedeltes Gebiet, auszurichten. Sie arbeite mit Hochdruck daran, die «unsäglichen deutschen Restriktionen» aus dem Weg zu schaffen. Für dieses Votum erntete die SVP-Regierungsrätin Szenenapplaus. «Der aufgezwungene Flugbetrieb ist neben allen anderen Nachteilen längerfristig auch ökonomisch unsinnig», sagte Fuhrer, «auch für Baden-Württemberg.»
«Gift für die Rechtssicherheit»
Momentan gingen die Verhandlungen mit Deutschland angesichts der vorgezogenen Bundestagswahlen schleppend voran. Bis nach den Wahlen im Herbst wird auf dem bilateralen Verhandlungs-Weg wenig zu erreichen sein.
Auf Morfs Forderung nach Korrekturen an den prognostizierten Wachstumszahlen für den Flughafen Zürich erwiderte Fuhrer, dass dadurch unnötig Zeit verloren ginge und zusätzliche Kosten entstehen würden. Das sei «Gift für die Rechtssicherheit», sieht sie diese Methode als kontraproduktiv an.
«Wir müssen jetzt mit diesen Zahlen arbeiten», forderte die Volkswirtschaftsdirektorin. Sie verteidigte die «vorsichtigste aller möglichen Studien». Diese diene auch dazu, die Bevölkerung in Anbetracht einer bevorstehenden Abstimmung vollumfänglich zu informieren.
Weniger Lärm, mehr Kontrolle
Mit dem gekröpften Nordanflug müsse jetzt rasch weitergefahren werden, verlangte Rita Fuhrer. Dieser soll als Alternative zu den Südanflügen und nicht wie von einigen Schneisern vermutet als Kapazitätssteigerung für den Flughafen eingeführt werden. Mit Hochdruck werde momentan an einem «technisch anspruchsvollen» Instrumentenanflug gefeilt.
Insgesamt nehme Rita Fuhrer die Forderungen der Bevölkerung nach weniger Lärm und mehr Kontrollmöglichkeiten wahr. Auf die Frage aus dem Publikum, wie die betroffenen Schneiser die Südanflüge endgültig beseitigen könnten, antwortete die Regierungsrätin: «Das Volk und ihr Verein üben energisch Druck auf die Entscheidungsträger aus. Das wird auch in Bern gehört.»