Der Lärm im Süden existiert offiziell nicht
Der Flughafenausbau ist abgeschlossen. Beat Spalinger, Finanzchef der Flughafenbetreiberin Unique, räumt ein, dass der Zeitrahmen für die vielen Bauten (all-)zu gedrängt war. Ein etappenweises Vorgehen wäre ihm lieber gewesen. (ZU 01.12.04)
Patrick Huber und Oliver Steimann
Auszüge:
«Zürcher Unterländer»: Der Flughafen steht vor einer ungewissen Zukunft. Die Bevölkerung steht nicht mehr hinter ihm. Dazu kommen zahlreiche Entschädigungsforderungen. Wie hat sich Unique dagegen gewappnet?
Beat Spalinger (CFO Unique): Ich bezweifle, dass die Bevölkerung nicht mehr hinter dem Flughafen steht. Die Erlebnistage im September haben ein anderes Bild vermittelt. Das Problem ist, dass man vor allem die negativen Stimmen hört. Nicht ganz unschuldig an der ganzen Lärmproblematik ist der Bundesrat, der 2001 zwar erstmals Lärmgrenzwerte für Flughäfen festlegte, es aber unterliess, die dazugehörigen Spielregeln zu formulieren. Ungeklärt blieb auch die Frage, wer überhaupt Anrecht auf Entschädigungen hat.
Gehen wir vom aktuellen Stand der Rechtssprechung aus, muss der Flughafen mit 1,2 bis 1,5 Mrd. Franken an Entschädigungsforderungen rechnen. Deren Refinanzierung läuft einerseits über die Lärmgebühren wie den ‹Lärmföifliber›, den jeder Passagier bezahlen muss. Andererseits kommen die Landegebühren hinzu.
Wie viel Geld kommt da im Jahr zusammen?
Das sind jährlich ungefähr 40 bis 50 Mio. Franken, was nicht genügen würde, wenn unsere Schätzung eintreffen würde. In einem solchen Fall müssten wir diese Gebühr wohl auf 10 Franken pro Passagier erhöhen. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Kosten höher sein könnten als die Einnahmen.
Der Süden beziffert den Wertverlust wegen der Südanflüge auf
10 Mrd. Franken. Hat Unique ein Szenario auf Lager, um auch mit einer solchen Summe fertig zu werden?
Grundsätzlich darf der Flughafen, weil ihm eine zentrale Bedeutung als Verkehrsinfrastruktur zukommt, übermässig viel Lärm produzieren. Nur ein limitierter Teil von Eigentümern hat Anrecht auf eine Entschädigung, und auch nur, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind. Es kann durchaus sein, dass ein Eigentümer eine Wertverminderung in Kauf nehmen muss, aber kein Anrecht auf Entschädigung hat.
Gibt es dafür Kriterien?
Selbstverständlich. Gemäss Bundesgericht müssen mehrere Faktoren erfüllt sein: Der Immissionsgrenzwert muss überschritten sein, die Liegenschaft muss vor 1961 gekauft worden sein, die Schwere des Schadens muss mindestens 10 Prozent betragen. Zudem darf die Forderung nicht verjährt sein. Zusätzlich spielt die Höhe des Überflugs eine Rolle. In Bezug auf Überflüge legte das Bundesgericht im Falle von Genf fest, dass beide Flügelspitzen über das Dach einer Liegenschaft hinausragen müssen. Diese Kriterien sind südlich von Schwamendingen nicht erfüllt.
Weshalb nicht?
Für den Immissionsgrenzwert wird, nicht nur beim Flugverkehr, der Lärm in vier Zeitfenstern gemessen. Das Pech des Südens ist, dass die Lärmbelastung dort unter der Woche «nur» von 6 bis 7 Uhr dauert, die Messung aber für die gesamten 16 Tagesstunden erfolgt. Damit ist der Lärm offiziell praktisch inexistent. Grundsätzlich habe ich Verständnis dafür, dass sich der Süden deshalb ungerecht behandelt fühlt. Man muss aber in der ganzen Angelegenheit sehr vorsichtig sein: Mit der gleichen Argumentation könnten auch Anwohner einer lauten Strasse wegen einer Spitzenbelastung im morgendlichen Stossverkehr Entschädigungen einfordern.
Was ist, wenn nun aber der Süden damit durchkäme und für
die Lärmmessung ein zusätzliches Zeitfenster geschaffen würde?
Dann müsste man - rein betriebswirtschaftlich argumentiert - sagen: Gut, aber ab morgen fliegen wir 16 Stunden pro Tag von Süden an, denn dann sind in diesem Gebiet die Entschädigungen ja bereits bezahlt worden.
Kommentar VFSN: Danke für die klaren Aussagen. Speziell auch für den Hinweis auf 16 Stunden Südanflüge. Über die Kriterien für Entschädigungsforderungen werden die Gerichte entscheiden müssen. Es ist gar nicht so klar, wie Herr Spalinger dies gerne hätte.