Südanflüge: Die schwarze Liste der Credit Suisse (Cash)

Publiziert von VFSNinfo am

Immobilien in der Flugschneise werden bei der Hypothek klammheimlich heruntergestuft.

Banken haben lange geleugnet, dass sie die Immobilien in den lärmgeplagten Regionen um den Flughafen Zürich neu bewerten. Jetzt taucht eine Negativliste der Credit Suisse auf. (Cash, 30. September 2004)

Leo Müller

Die «schwarze Liste» der Credit Suisse benennt das Klumpenrisiko auf dem Immobilienmarkt mit Postleitzahlen: Gockhausen, Schwamendingen, Witikon, Pfaffhausen, Binz, Ebmatingen, Zollikerberg, Zumikon und Forch. Es sind die Ortschaften in der Anflugschneise Süd des Zürcher Flughafens.

Eigenheimbesitzer aus diesen Gemeinden sind bei Hypothekarverhandlungen mit der Credit Suisse schlechter gestellt. Das Geldhaus hat Anfang Jahr die Belehnungsgrenze für Immobilienkredite in dieser Region um fünf Prozent reduziert. Das Gleiche gilt für die Zürcher Gemeinden, welche unter dem Ostanflug leiden: Kloten, Bassersdorf, Nürensdorf, Kemptthal, Winterberg, Kyburg und Lindau.

Dies geht aus einer internen Richtlinie der Credit Suisse hervor, die der CASH-Redaktion vorliegt. Das Papier definiert die Immobilienportfolio-Politik der Grossbank. Darin werden die Belehnungsgrenzen für Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser in der lärmgeplagten Region neu festgesetzt, «da wegen der neuen An- und Abflugkorridore des Flughafens Kloten Wertverluste künftig möglich sind».

Das Institut hat solche Korrekturen bislang geleugnet. Wie alle grossen Hypothekarbanken verfolgte die Grossbank eine marktstützende Kommunikationspolitik. Das Motiv ist einleuchtend: Eigenheimbesitzer sollen nicht verunsichert werden.

Die Banken wollen nicht die Ersten sein, die das Entschädigungskarussell in Schwung bringen. Denn am Ende könnten sie selbst mit den Risiken belastet werden. Immerhin geht es laut einer Studie der Gesellschaft für Siedlungsentwicklung und Umwelt (GSU) um ein Immobilienvolumen im Marktwert von 80 Milliarden Franken.

Futter für die Kläger: Der Abschlagstarif ist ermittelt.

Die Klagewelle hat die Gerichte bereits erreicht: Mieter gegen Hausbesitzer, Eigentümer gegen die Flughafengesellschaft. Alle Beteiligten haben sich mit Gutachten versorgt: der Flughafen, die Klägeranwälte, Gerichte und nicht zuletzt die Hypothekarbanken.

Grundsätzlich besteht kein Zweifel, dass die enorme Lärmbelastung durch die Linienjets zu erheblichen Werteinbussen führt. Immobilien-Forscher Donato Scognamiglio von der Beratungsfirma Iazi resümiert zahlreiche jüngere Studien, die weltweit zum Thema erstellt wurden: «Mehrheitlich sind sich die Autoren einig, dass der Fluglärm einen signifikanten Einfluss auf den Immobilienwert hat.» Scognamiglio untersuchte selbst den Wertverlust am Beispiel einer Musterwohnung im Bereich des Ostanflugs auf Kloten. Er kam auf einen Abschlag von rund 17 Prozent. Hochgerechnet auf die belastete Region bedeutet dies einen Multimilliarden-Schaden. Futter für jahrelange Rechtsstreitigkeiten.


Leises Drehen am Geldhahn

Hausbesitzer in der Flugschneise Süd erhalten bei der Credit Suisse weniger Darlehen.

Die Zürcher Hypothekarbanken verbreiten Schönwetternachrichten über die Lage des Immobilienmarktes in den lärmgeplagten Gemeinden. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Banken sind ein Hort der Kundentreue, selbst in Zeiten der Not. Zumindest im Selbstbild ihrer eifrigen Pressesprecher. «Neeeiiiin», höhere Hypothekarzinsen für Liegenschaften in der Einflugschneise sind kein Thema. Lärmschutzauflagen für Neubauten? Nein, alles bleibt beim Alten. Neue Belehnungsgrenzen für die Kunden in den betroffenen Gemeinden? Natürlich nicht.

Bei der Credit Suisse scheint man keine Probleme bei den Zürcher Gemeinden unterhalb der südlichen Jumbo-Schneise zu beobachten. Der Markt habe die Fluglärmproblematik in den Kaufpreisen berücksichtigt. Die bisherigen Preisveränderungen würden die Immobilienexperten des Hauses «generell als nicht gravierend einstufen». Und auch zur Maximalhöhe der Darlehensfinanzierung gibt es eine klare Auskunft: «In den vom Südanflug betroffenen Gemeinden haben wir die möglichen Belehnungssätze nicht verändert.»

Merkwürdig. In einer internen Anleitung zur «Immobilienportfoliopolitik» der CS steht das Gegenteil. Das CASH vorliegende Dokument vom 1. Januar gilt für das gesamte Hypothekargeschäft der Credit Suisse. Auch die Tochtergesellschaften müssen die Richtlinie befolgen.

Das Papier enthält eine «schwarze Liste» aller Gemeinden, die im Osten und Süden des Zürcher Flughafens besonders vom Fluglärm betroffen sind (siehe Faksimile).

Die CS finanziert Liegenschaften in diesen Ortschaften grundsätzlich nicht mehr mit dem jeweiligen maximalen Belehnungssatz. Entsprechend erhöht sich der Eigenkapitalbedarf für die Hausbesitzer. Ausnahmen müssen individuell vereinbart werden.

Diese Gemeinden galten früher als «attraktive Region». Hier erhielten die Hypo-Kunden der Credit Suisse beim Kauf eines Einfamilienhauses im besten Fall eine Belehnung bis 90 Prozent - wenn die persönlichen und finanziellen Verhältnisse entsprechend solide waren. Denn bankintern liegt der Grenzwert für lukrative Standorte deutlich über der 80-Prozent-Marke, die der Kundschaft geläufig ist.

Im Backoffice wird Risikomanagement betrieben

Speziell für die lärmgeplagten Gemeinden hat die CS die Belehnungsgrenze um fünf Prozent reduziert. Die CS-Berater dürfen dort nur noch Darlehen bis 85 Prozent der Kaufsumme gewähren. Begründung: «Wegen der neuen An- und Abflugkorridore des Flughafens Kloten sind Wertverluste künftig möglich.» Ebenso wurden die Belehnungssätze für Mehrfamilienhäuser von 85 auf 80 Prozent gesenkt. Dies kann die Bauherren grösserer Überbauungen empfindlich treffen.

Hinter der Kulisse der Schönredner ist in aller Stille längst abgewertet worden, um kommende Risiken zu vermindern. Die Kommunikationsstrategen hingegen betreiben das Geschäft der Marktstützung. Denn keine Bank hat derzeit ein Interesse daran, dass der Immobilienmarkt jenseits des Pfannenstiels ins Rutschen gerät. Schliesslich geht es um ein Hypothekarvolumen im Milliardenbereich.

Niemand will die Kundschaft aufschrecken. «Entscheide werden in jedem Fall auf individueller Basis in Absprache mit der Kundschaft getroffen», erklärt die Migrosbank. Mit einem klaren «Nein» antwortet die UBS auf die Frage nach einer Neubewertung ihrer Immobilienpolitik. Auch die ZKB verneint eine Anpassung der Belehnungssätze: «Für Änderungen bestand keine Veranlassung.» Die Zinssätze würden «wie bisher individuell nach Bonität des Kunden und Qualität der Liegenschaft festgelegt». Die Bank Coop erklärt, sie habe bei ihrer jüngsten Bestandsaufnahme «keine speziellen Risiken festgestellt».

So weit die Theorie. Den schmerzlichen Praxistest durfte die Neue Aargauer Bank (NAB) im Mai bei der Zwangsversteigerung einer exklusiven Landhausvilla in Zumikon erleben. Die einstige «Top-Lage» ist nicht mehr ganz so prickelnd. Heute donnern die Jumbos ab sechs Uhr in der Früh über Zumikon. Täglich, auch samstags und sonntags.

Im Januar 2002 wurde die Villa noch mit vier Millionen Franken bewertet. Im Gantlokal erschienen rund 20 Gäste, wie üblich meist «Gwundernase». Nur ein Zumiker Bürger erhob die Hand zum Gebot: 2,2 Millionen war sein letztes Wort. Fürderhin wurde der Ruf des Auktionators nur noch vom Vertreter der Hauptgläubigerin, der Neuen Aargauer Bank, erwidert. Der steigerte seinen Einsatz im Alleingang auf 2,95 Millionen. Nur so konnte die Bank ihren Abschreibungsbedarf niedrig halten.

Intern haben die Banken längst Expertisen über den Wertverlust eingeholt. Zum Beispiel vom Beratungsunternehmen Iazi aus Bülach, das jährlich Renditeobjekte im Marktwert von 35 Milliarden einschätzt. Iazi-Gutachter Donato Scognamiglio bringt das Resultat auf eine simple Faustformel: «Pro Dezibel Lärmsteigerung muss der Wert um rund 1,5 Prozent nach unten korrigiert werden.»

In vormals besonders ruhigen Orten kann der Lärm, wenn er den «Alarmgrenzwert» von 65 Dezibel übersteigt, zu Werteinbrüchen von 30 Prozent führen (siehe Grafik links).

Gockhausen ist ein solches Beispiel, wenige Minuten vom Zürichberg entfernt. Der Ort galt als Oase der Ruhe. Jetzt fliegen die Jets 300 Meter über den Dächern von Gockhausen. Im Dorf wird der Lärmpegel täglich gemessen. Auf die Minute genau schnellen die Nadeln des Grafikschreibers um 6.04 Uhr nach oben, von 55 Dezibel auf über 80 (siehe Grafik).

Rechtsschutz für widersinnige Lärmverteilungspolitik

Seit Dienstag wissen die Lärmgeschädigten, dass die ökonomisch widersinnige Lärmverteilungspolitik sogar höchstrichterlichen Segen hat. Das Bundesgericht hat dem Flughafen erlaubt, sofort mit dem Bau des Instrumentenlandesystems (ILS) für die östliche Piste 28 zu beginnen. Das ILS für die Südpiste 34 wird bereits im Oktober in Betrieb genommen. Dann wird bei jedem Wetter geflogen.

Gockhauser Eigenheimbesitzer bauen verzweifelt neue Lärmschutzfenster mit elektrischer Schliessmechanik ein, die auf eine Zeitschaltuhr reagieren. Sie ist auf 6.00 Uhr eingestellt. Mieter ergreifen kollektiv die Flucht, wie kürzlich in einem Haus am Dorfplatz.

Ein wenig Trost kommt von der Credit Suisse. Pressesprecherin Nicole Pfister sinniert über die Marktsituation: «Gockhausen ist nach wie vor eine bevorzugte und gesuchte Wohnlage.»

Ach ja, kurz vor Redaktionsschluss noch eine kleine Korrektur. Nach der Konfrontation mit den hausinternen Richtlinien zur Immobilienportfoliopolitik korrigiert die Mediensprecherin der Credit Suisse: «Es ist richtig, dass per 1. Januar 2004 die maximale Obergrenze der über der banküblichen Norm liegenden Belehnungssätze leicht gesenkt wurde.»
Blick durchs Cockpit auf ein Klumpenrisiko: Der Flug über den Pfannenstiel Richtung Kloten
belastet Immobilien im Wert von 80 Milliarden Franken.

Die «schwarze Liste» der Credit Suisse: «Nur für internen Gebrauch».

Unerträglicher Lärm, Tragbare Mietzinse

Ein Lärmschicksal vor Gericht: Im September 2001 erschienen der Mieter und Hausbesitzer einer 21/2-Zimmer-Wohnung in Wallisellen ZH vor der Einzelrichterin für Mietsachen des Bezirks Bülach. Der klagende Mieter verlangte eine Mietzinsreduktion. Während der Bauarbeiten an der Westpiste des Flughafens Zürich wurde das Haus zwei Monate lang überflogen. 11 391 Flugzeuge donnerten in dieser Zeit über das Haus. Das Urteil der Mietrichterin beschreibt die Auswirkungen: «Als stark beeinträchtigt und zeitweise gar unmöglich» wurden selbst gewöhnliche Tätigkeiten «wie Telefonieren, Radiohören, Fernsehen, Gesprächeführen, konzentriertes Arbeiten, Ausruhen oder Schlafen» bezeichnet.

Zeugen beschrieben den Lärm übereinstimmend als «unerträglich». In seinem Unglück sass der Mieter ausgerechnet an seiner Dissertation. «Dem Lärm konnte sich der Kläger somit nur durch das Verlassen seiner Wohnung entziehen.» Er flüchtete in ein Büro in Zollikon. Wegen «Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit der Wohnung», so das Juristendeutsch, wurde dem Kläger eine Mietzinsreduktion um 30 Prozent zugesprochen.

Mehrheitlich geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Mangel geltend gemacht werden
kann, wenn die Lärmbelastung vor Vertragsschluss nicht bekannt war. Klagen werden rund
um die Landepisten zum Massengeschäft, fein verteilt wie der Fluglärm: Mieter gegen
Hausbesitzer, Eigentümer gegen die Zürcher Flughafen AG.