Kann der Zürcher Fluglärmstreit beigelegt werden? Ja. Falls Politiker ins Spiel kommen, die fähig sind, unpopuläre Entscheide durchzusetzen.
Von Lukas Hässig
Die Hoffnungen auf die Flughafenmediation waren riesig. Nach dem brutalen Ende stellt sich die Frage: Gibt es im Zürcher Fluglärmstreit überhaupt keine Lösung?
So paradox es klingen mag: Seit der Streit um die Lärmverteilung ausbrach, standen die Chancen auf einen Ausweg noch nie so gut. Denn das Scheitern der Mediation zeigt: Die gerechte Verteilung von Fluglärm ist eine Illusion. Wenn sich zerstrittene Organisationen nicht einmal auf die Zusammensetzung eines Leitungsteams einigen können, erübrigt sich die Diskussion über freiwilliges Verteilen. Die Lage wird sich erst beruhigen, wenn Zürich Kloten zum Zustand zurückkehrt, der bis zum deutschen Flugverbot jahrzehntelang galt. Damals blieb der Verkehr vor allem auf schwach besiedelte Gebiete konzentriert. Der Flughafen erfreute sich der Unterstützung bei einer Mehrheit des Volks und konnte im Gleichschritt mit der Region wachsen.
Der Abschied von der Idee, den Luftverkehr gerecht zu verteilen, fällt vielen schwer. Auch ich habe bis zum Scheitern der Mediation an ein Gelingen des Vorhabens geglaubt. Es gab gute Gründe für den Versuch. So sollten die Anwohner der lärmigsten Gebiete zwischendurch zu etwas Ruhe kommen. Und weil Luftverkehr langfristig wächst, sollte er gerechter auf mehrere Gebiete verteilt werden.
Hinzu kam, dass einige Grüne und Sozialdemokraten insgeheim hofften, mittels Verteilung den Flugverkehr beschränken zu können. Wer bisher verschont blieb – so die Überlegung –, der würde Fluglärm nur akzeptieren, wenn eine Maximalgrenze fixiert wäre.
Auch viele bürgerliche Anwohner begrüssten eine Verteilung. Sie fühlten sich wie Bewohner zweiter Klasse, die man hinters Licht führen konnte. Zum Beispiel versprach der Regierungsrat vor der ersten Ausbauabstimmung im Jahr 1957, dass die zukünftigen Düsenjets «den Lärm auf das Ausmass der heutigen Kolbenflugzeuge reduzieren» würden. Als die ersten Jets Kloten ansteuerten, übertraf der Lärm die ärgsten Befürchtungen.
Möglichst wenig Menschen beschallen
Hoffnung auf Gerechtigkeit und Hoffnung auf Beschränkung haben die Verteilidee bis heute am Leben gehalten. In die Welt gesetzt hat sie Ruedi Jeker. Als FDP-Kantonsrat reichte er 1993 sein Postulat für eine «gerechtere» Lärmverteilung ein. Im Rückblick erstaunt, dass Jeker 1999 trotzdem in die Regierung gewählt wurde und sogar mit dem Flughafendossier betraut wurde. Erst als Deutschland ein Jahr später das Abkommen über unbeschränkte Anflüge aufkündigte, begann dem bis dato lärmverschonten Restkanton zu dämmern, dass Jekers Idee die eigene Lebensqualitiät beschneiden könnte. Da war es schon zu spät.
Es sind vier Gründe, warum die Verteilung von Fluglärm scheitern musste. Erstens: Lärm ist und bleibt etwas Unangenehmes. Wenn alle von Lärm betroffen sind, will niemand mehr einen Flughafen, aber jeder Entschädigungen. Das kann nicht finanziert werden. Die Erkenntnis lautet daher: Flughäfen bleiben nur dann entwicklungsfähig, wenn sie lediglich eine Minderheit mit Lärm belästigen.
Zweitens: Hört jemand hundert Flugzeuge am Tag landen, spielt es für ihn kaum eine Rolle, wenn ein weiteres hinzukommt. Die Gesamtbelastung bleibt praktisch unverändert, und es entstehen keine neuen Ansprüche auf Lärmentschädigungen. Ganz anders verhält es sich für jemanden, der neu von einem Jet aus dem Schlaf gerissen wird. Er fühlt sich massiv gestört und fordert eine Entschädigung.
Drittens: Alle wussten, dass es rund um Kloten lärmig sein würde. Die Immobilienpreise waren entsprechend tiefer, dafür siedelten sich wegen der guten Erreichbarkeit grosse Unternehmen an, die die Steuerkassen füllten. Nirgends ist die Dichte an Turnhallen und Freizeitbädern grösser als in der Flughafenregion. Dafür herrschte am rechten Zürichsee Ruhe, was die Preise nach oben zog. Wird dieses System über Nacht auf den Kopf gestellt, geht die Berechenbarkeit verloren.
Viertens: Die Bedeutung von Kloten für den Standort Zürich und die Schweiz wird von Lobbyorganisationen manchmal überzeichnet. Unterschätzt werden sollte sie trotzdem nicht. Die Wirtschaft ist angewiesen auf einen Flughafen, der wachsen kann.
Vor Wochenfrist wurde ein neuer Bericht namens «Relief» vorgestellt, erarbeitet von unabhängigen Raumplanungs- und Flugverkehrsexperten. Diese kamen zum Schluss, dass ein zukünftiges An- und Abflugsystem erstens sicher sein muss und zweitens möglichst wenig Menschen beschallen soll. Der Verkehr soll konzentriert statt verteilt werden. Weil trotzdem Tausende von Anwohnern belästigt wären, schlagen die Experten erstmals Kompensationszahlungen vor. Das «Relief»-Modell wurde stark kritisiert. Doch es könnte den Zürcher Fluglärmstreit zu einem guten Ende führen.
Dafür braucht es aber Politiker, die unangenehme Entscheide fällen und diese der betroffenen Minderheit verständlich machen können. Der Zürcher Regierungsrat nahm den angefeindeten Jeker Anfang Jahr aus dem Spiel. Weil der Bund eine entscheidende Rolle spielt, sollte dort das Gleiche passieren. Verkehrsminister Moritz Leuenberger hat nicht mehr den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, um unpopuläre Entscheide durchzusetzen.