Seit das Projekt Relief enthüllt ist, zweifeln viele am Sinn der Mediation. Kann sie noch zum Erfolg führen? Ein Soziologe und Lärmexperte ist skeptisch.
Mit Andreas Meyer sprachen Niels Walter und René Staubli (TA, 14.7.04)
Auszug:
Dennoch: Mediation ist zurzeit das Zauberwort. Vor allem Politiker klammern sich an diesen Strohhalm. Weshalb?
Im Laufe der Zeit haben sich die konventionellen und bewährten Mittel der Konfliktlösung erschöpft. Die Politik ist regelrecht ins Offside gelaufen. Heute weiss niemand mehr weiter in dieser Sache. Weil Frankfurt und Wien auf die Mediation gesetzt haben, stürzte sich auch die hiesige Politik auf dieses «Zaubermittel».
Die Parteien müssen über etwas verhandeln, das eigentlich niemand will: Fluglärm.
Das ist ein wesentlicher Punkt. Es gibt nichts Positives zu verteilen. Fluglärm zu verteilen, ist in der Regel ein Nullsummenspiel - wenn die einen weniger belastet werden, müssen die anderen mehr übernehmen. Die Mediation aber strebt per Definition einen einstimmigen Konsens an. Man kann sich ausrechnen, wie schwierig das wird.
Kommt dazu, dass eine der Basisregeln der Mediation lautet, dass Werte nicht verhandelbar sind.
Genau. Neben materiellen Aspekten wie Wertverminderungen von Boden und Liegenschaften geht es beim Fluglärm sehr stark auch um Wertfragen wie Wachstum, Ruhe, Lebens- und Standortqualität. Über solche Werte lässt sich nur streiten, nicht aber eine Mediation führen. Dazu ein Beispiel: In der katholischen Kirche kann man über die Abtreibung oder über die Rolle der Frau in der Kirche streiten, aber nicht verhandeln. Würde die Kirche darüber eine Mediation durchführen, käme nichts dabei heraus. Eine Mediation kann Werteprobleme nicht lösen, das geht nur über gesellschaftlichen Wandel.
Trotzdem setzen die Spitzenpolitiker voll auf die Mediation. In vorderster Reihe Bundesrat Leuenberger und der Zürcher Stadtpräsident Ledergerber. Wie erklären Sie sich das?
Da kann ich nur spekulieren. Die Politiker haben Angst vor der Komplexität dieser Angelegenheit, vor den Konflikten,die inzwischen mitten durch die Parteien gehen. Man hofft, die Mediation könne das lösen, womit man selber überfordert ist. Ein Kantonsrat hat kürzlich gesagt,die Mediation sei eine Selbstkastration der Politik. Das tönt harmlos, hat abereinen ernsthaften Hintergrund. Bundesrat Leuenberger und andere Politiker sagen regelmässig: «Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, was die Mediation bringt.» Damit verabreichen sie dem Volk eineBeruhigungspille. Gewählt wurden sie aber nicht, um auf Zeit zu spielen, sondern um heikle politische Entscheidungen zu treffen.