Mit Ruedi Lais sprachen Hans- Peter Bieri und Ruedi Baumann
Sie sind Mitinitiant einer Initiative, die mit Sicherheit nicht umgesetzt wird. Wann ziehen Sie sie zurück?
Das sehen wir ganz anders. Die Plafonierungsinitiative wird mit Sicherheit umgesetzt, wenn das Volk ihr zustimmt. Die Initiative verlangt eine Plafonierung der Flugbewegungen auf 250 000. Das ist nicht viel weniger, als wir seit einigen Jahren haben. Das ist sicher umsetzbar. Dann wollen wir 9 Stunden Nachtruhe. Die Regierung hat eine Verlängerung von 5,5 auf 6,5 Stunden durchgesetzt, Unique wehrt sich noch heute dagegen.
Die Initiative ist ein Wunsch an Bern, und Bern sagt Nein.
Es ist kein Wunsch an Bern, sonst hätten wir eine Standesinitiative vorgeschlagen. Es ist ein Auftrag an die Zürcher Regierung und die Zürcher Instanzen, sich für diese Ziele einzusetzen. Das Zürcher Flughafengesetz gibt der Regierungsvertretung bei der Flughafen AG ein Vetorecht bei « Gesuchen um Änderungen des Betriebsreglementes mit wesentlichen Auswirkungen auf die Fluglärmbelastung » . Es kann also kein solches Betriebsreglement nach Bern geschickt werden, ohne dass die Zürcher Regierung zustimmt. Der Auftrag an die Zürcher Regierung verlangt neben dem Einsatz in Bern auch den im Verwaltungsrat der Unique.
Der Luftfahrtbericht des Bundesrats will ein nachfrageorientiertes Wachstum und die internationale Anbindung des Flughafens. Beides ist mit der Initiative nicht machbar. Also nochmals: Weshalb sollte Ihre Initiative umsetzbar sein?
Der Luftfahrtbericht ist ein Bericht. Entscheidend aber sind Beschlüsse und Gesetze. Beispielsweise der Sachplan Infrastruktur Luftfahrt ( SIL), der auch für den Bundesrat bindend ist. Darin steht wörtlich, dass der Flughafen Zürich seine Chance als eine der grossen europäischen Drehscheiben wahrnehmen können soll. Eine Kann- Formulierung. Wenn Zürich sich entscheidet, einen anderen Plan zu verfolgen, darf Bern dem nicht im Wege stehen. Zürich entscheidet.
Das ist illusionär. Bundesrat Moritz Leuenberger erklärt, der Bundesrat fühle sich an den Bericht gebunden, sein Departement erklärt, der Bund müsse eine Lösung finden, um die nationalen Interessen zu wahren, wenn Zürich dagegen entscheide.
Der Luftfahrtbericht orientiert über den Stand der Schweizer Luftfahrt und die möglichen Strategien aus der Sicht der Politik. Moritz Leuenberger sagt selber, die Strategien der Luftfahrtbranche müssten auch zu Marktbedingungen funktionieren können. Aber zur Sicht der Politik gehören nicht nur die Regierung und das Parlament in Bern, sondern in einer Direktdemokratie vor allem die Bevölkerung. Wenn die Bevölkerung des grössten Schweizer Kantons sich für eine bescheidene Reduktion des heutigen Luftverkehrs entscheidet, dann sollte das Gewicht haben.
Angenommen, Ihre Initiative wird realisiert. Was bringt das?
Es brächte sicher die Möglichkeit, verschiedene Probleme rund um den Flughafen neu und unverkrampfter anzugehen.
Wir haben heute ungefähr 250 000 Bewegungen, und es herrscht nichts als Streit und Hader. Weshalb soll die Fixierung dieser Zahl die Situation entkrampfen?
Weil der heutige Zustand eben nicht einfach die 265 000 Bewegungen für 2005 bedeutet. Viele Studien propagieren ein sehr starkes Wachstum, und das erzeugt Ängste. Wir erachten diese Ängste als unrealistisch, aber sie sind politische Tatsache. Man muss wegkommen von diesen Angst machenden Wunschkatalogen, damit die Bevölkerung wieder Vertrauen fasst.
Trotzdem arbeiten Sie mit diesen Ängsten, um Ihre Initiative durchzubringen.
Das bestreite ich. Wir haben nie Ängste geweckt. Wir haben keine Angst, dass der Flughafen in den nächsten zwanzig Jahren auf 450 000 Bewegungen anwächst. Nichts deutet darauf hin, dass der Verkehr in Kloten wesentlich über die 340 000 oder 320 000 Bewegungen hinauswächst, die von der Infrastruktur her möglich sind. Die Wachstumsprognosen sind absolut unrealistisch.
Die Menschen, die Ihre Initiative unterschrieben haben, die sich in Leserbriefen und Verlautbarungen äussern, sind aber getrieben von diesen Ängsten, und Sie tun nichts, um sie ihnen zu nehmen. Im Gegenteil: Ihre Initiative profitiert davon.
Natürlich werden Leute mit diesen Ängsten nach diesem Strohhalm greifen, wie nach anderen Strohhalmen auch. Aber wir geben ihnen einen Lösungsvorschlag. Wir wollen jenen Leuten, die Angst haben, eine Möglichkeit geben, auf demokratische Art ihrem Willen Ausdruck zu geben.
Es gibt auch die Angst vor einem Einbruch des Wirtschaftswachstums. Ihre Initiative würde kein weiteres Wachstum zulassen, obschon die Prognosen von einem starken Wachstum des Flugverkehrs und damit auch von zusätzlichen neuen Arbeitsplätzen ausgehen.
Die Prognosen sind für den Flughafen Zürich falsch. Die Infras- Studie 1995 beispielsweise rechnete mit einer Auslastung von 72 Personen pro Flugzeug, wir hatten im Mai 2006 86 Leute. Eine einzige Person mehr pro Flugzeug ist schon das Äquivalent von 3500 Flugbewegungen am Flughafen. Wir haben seit sechs Jahren keine Plafonierung, trotzdem ist es dem Flughafen nicht gelungen, den Verkehr zu steigern. Die Prognosen werden von den effektiven Zahlen nicht gestützt.
Die letzten fünf Jahre waren alles andere als normal, weltweit nicht, für den Flughafen Zürich schon gar nicht.
Das ganze Wachstum basiert auf der Annahme, dass Zürich ein Hub ist. Und die ganze Gegnerschaft zur Plafonierungsinitiative basiert auf der Annahme, dass Zürich eine der grossen Drehscheiben des Weltluftverkehrs werden kann. Aber der Flughafen rangiert in der zweiten Liga der europäischen Drehscheiben, er ist ein mittlerer Hub, kein grosser. Und als Hub ist er absolut abhängig von der Lufthansa. Das ist ein riesiges Risiko. Wenn die Lufthansa entscheidet, Zürich sei kein Hub mehr, dann gibt es auch kein Wachstum mehr. Auch Epidemien wie Sars oder Terroranschläge sind Risiken, mit denen die Luftverkehrsindustrie einfach rechnen muss. Zudem ist die Luftfahrt im Moment steuerlich extrem privilegiert. Wenn das Kerosin belastet würde wie das Autobenzin, gäbe es keinen interkontinentalen Massentourismus mehr. Und unter dem Druck der Klimaproblematik ist das ebenfalls ein Risiko. Wenn wir also ein forciertes Wachstum betreiben, setzen wir uns dem wirtschaftlichen Risiko mehr als notwendig aus. Wenn der Flughafen gemäss der Prognose der Infras wächst, bedeutet das 10 000 zusätzliche Arbeitsplätze im Raum Zürich, die von der Luftfahrt abhängig sind. Das macht mir Angst.
Lieber keine Arbeitsplätze als risikobehaftete?
Lieber die heutigen Arbeitsplätze so diversifizieren, dass sie sicher sind, als mehr Arbeitsplätze von dieser sehr risikobehafteten, luftfahrtabhängigen Form.
Die Exportindustrie und die internationalen Finanzdienstleister funktionieren nach eigener Aussage nur, weil Kloten die internationale Anbindung gewährleistet.
Die internationale Anbindung ist gewährleistet. Obschon die Hub- Funktion und die Bewegungszahlen in den letzten Jahren geschrumpft sind, ist Zürich wirtschaftlich im Aufschwung, gerade auch wegen der Finanzdienstleistungsbranche. Im Moment wächst die Wirtschaft, obschon die Bewegungen nicht wachsen. Wichtig sind häufige Beziehungen zu den grossen internationalen Finanzzentren. Aber dass dazu noch Millionen von Badetouristen durch den Flughafen geschleust werden müssen, ist von beschränktem Nutzen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, dem Drittlehrjahrstift zu ermöglichen, dass er mit der Freundin zweimal im Jahr nach Bali in die Badeferien fliegt. Unsere Aufgabe ist es, den Nachkommen eine nachhaltig lebensfähige Wirtschaft und eine intakte Umwelt zu übergeben.
Sie reden seit einer Viertelstunde gegen Ihre eigene Initiative, indem Sie sämtliche Wachstumsprognosen anzweifeln und gegen unten korrigieren. Dann würde es Ihre Initiative ja gar nicht brauchen.
Es geht eben nicht nur um die Bewegungsplafonierung. Für die Betroffenen wichtiger ist die Verlängerung der Nachtruhe. Es stört die Leute in Schwamendingen, Esslingen, Gockhausen oder Turbenthal nicht, wenn tagsüber ein paar Flieger mehr über sie hinwegbrausen. Es stört sie aber massiv, wenn sie am Morgen oder spät am Abend immer wieder geweckt werden. Deshalb ist eine Verlängerung der Nachtruhe für die Wohnbevölkerung absolut zentral.
Unique behauptet, dass mit einer Nachtruhe von 9 Stunden kaum mehr Nonstop- Flüge von Asien her möglich wären.
Das ist durchaus möglich. Wir geben offen zu, dass Kloten mit einer 9- stündigen Nachtruhe nicht zu einer grossen internationalen Drehscheibe ausgebaut werden könnte. Die Güterabwägung ist klar: Müssen ein paar Hundert Badegäste beim Rückflug von Asien in Dubai kurz zwischenlanden und einen Kaffee trinken, oder werden jeden Morgen Zehntausende von Leuten aufgeweckt? Das Volk soll entscheiden, was wichtiger ist.
Zu Ihrer Initiative gibt es drei Gegenvorschläge, drei von vier Beschränkungsmodellen sind überflüssig. Könnten Sie sich vorstellen, die Initiative zu Gunsten eines der drei Gegenvorschläge zurückzuziehen?
Das hängt davon ab, ob einer der drei Gegenvorschläge attraktiv ist. Bis jetzt sehe ich keine Anzeichen dafür. Ich sage heute nicht, dass wir unbedingt eine Volksabstimmung erzwingen wollen. Aber wir ziehen die Initiative nur zurück für einen Gegenvorschlag, der etwas bringt. Von 1993 bis 2000 wurde fünfmal über den Luftverkehr abgestimmt. Heute ist viel mehr Leuten bewusst, was er für Lasten und politische Probleme mit sich bringt. Deshalb ist uns sehr wichtig, dass das Zürcher Volk erneut über die Flughafenpolitik abstimmt.
Die vier Szenarien für den Flughafen
Gegenwärtig gibt es vier Beschränkungsvorschläge für den Flughafen:
- Plafonierungsinitiative: Die Initiative wurde im Juli 2004 mit über 21 000 Unterschriften eingereicht. Sie verlangt eine Ergänzung der Kantonsverfassung mit der Forderung, der Kanton müsse insbesondere beim Bund darauf hinwirken, dass der Flughafen « in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der von Flugemissionen betroffenen Wohnbevölkerung » betrieben werde. Die jährliche Zahl der Flugbewegungen dürfe 250 000 nicht überschreiten, die Nachtflugsperre nicht weniger als 9 Stunden betragen.
- Gegenvorschlag der Regierung: Die Regierung will nicht die Bewegungszahl, sondern die Zahl der vom Lärm stark Be- troffenen plafonieren. Ausgangspunkt ist die Lärmbelastung des Jahres 2000 mit 326 000 Bewegungen. Für den Gegenvorschlag muss ein neues Messverfahren entwickelt werden. Der Regierungsrat hat sich schon 2000 auf eine Nachtruhe von 7 Stunden festgelegt.
- CVP- Gegenvorschlag: Die CVP schlägt in der vorbereitenden Kommission des Kantonsrats als Alternative zur Regierung einen Gegenvorschlag mit einem Plafond bei 320 000 Bewegungen und einer Nachtflugsperre von 7 Stunden vor.
- Behördeninitiative: Eine inzwischen von rund 70 Gemeinden unterstützte Behördeninitiative verlangt eine Beschränkung auf 320 000 Bewegungen und eine Nachtruhe von 8 Stunden.
Tages-Anzeiger, 26.06.06, Seite 13
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