Die Grösse eines Hubs lässt sich politisch nicht steuern (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Folgen einer Plafonierung von Flugbewegungen und Betriebszeiten aus Netzwerksicht 

Von Thomas Bieger *


siehe auch:
Leserbriefe in der NZZ vom 15.06.06: Hubstrategie für Zürcher Flughafen?


Die Plafonierungsinitiative für den Flughafen Zürich will die Zahl der Flugbewegungen und die Betriebszeiten einschränken. Der Autor beschreibt die Wirkungen solcher Beschränkungen auf das Funktionieren eines Hubs aus der Sicht des Netzwerkmanagements von Fluggesellschaften. Mit dem Aufbau der Swiss und der fünften Ausbauetappe des Flughafens Zürich wurde das Ziel verfolgt, der Schweiz für die Zukunft in Zürich eine interkontinentale Luftverkehrsdrehscheibe, einen Hub, zu sichern. Wichtiges Element beim Verkauf der Swiss an die Lufthansa war die Perspektive, dass sich Zürich bei konkurrenzfähigen Rahmenbedingungen als Hub innerhalb des Multi-Hub-Systems der Lufthansa neben Frankfurt und München entwickeln kann. Eine Volksinitiative im Kanton Zürich, die eine Plafonierung der Flugbewegungen bei jährlich 250 000 und 9 Stunden Nachtruhe verlangt, erweckt den Eindruck, die Dimensionen eines Hubs liessen sich nach politischem Gutdünken fast beliebig steuern.

Überproportionaler Nutzen eines Hubs

Tatsächlich wirken bei einem Hub ökonomische Kräfte, die politisch nicht oder nur mit hohen Kosten übersteuert werden können. Ein Hub erhöht die Attraktivität von Fluggesellschaften für ihre Passagiere, indem über Umsteigeverbindungen mehr Verbindungen zwischen Ausgangs- und Zielpunkten angeboten werden können, als direkte Flugstrecken geflogen werden. Die Umsteigepassagiere ermöglichen der Fluggesellschaft eine Ausweitung und Verbesserung der Verkehrsanbindung des Drehkreuzes, indem mehr Verbindungen angeboten werden können. Der Nutzen eines Hubs wächst überproportional zu den gebotenen Flugverbindungen.
Im Interkontinentalverkehr gelten zudem starke Grösseneffekte. Die durchschnittlichen Kosten pro Sitzkilometer und auch der Treibstoffverbrauch sind bei grösseren Flugzeugen kleiner. Damit grosse Flugzeuge im Interkontinentalverkehr gefüllt werden können, braucht es entweder einen grossen Heimmarkt oder eine ausreichende Zahl von Umsteigeverbindungen. Damit die Umsteigezeiten für Kunden nicht unzumutbar lang werden, müssen Hubs in der Lage sein, in einem Fenster von etwa 90 Minuten möglichst viele Flugzeuge landen und starten zu lassen.

Limiten für Transferpassagiere

Der sinnvolle Anteil an Umsteigepassagieren ist beschränkt. Interkontinentale Umsteigetickets sind aufgrund der mit dem Umsteigen verbundenen Nachteile meist billiger als Direktflüge, bei Umsteigeverbindungen stehen Airlines auch im Wettbewerb mit anderen Hubs. Ist der Anteil Umsteigepassagiere zu gross, wird der Durchschnittserlös pro Sitzplatz auf den Interkontinentalflügen nicht mehr kostendeckend. Aufgrund dieser Mechanismen ist bei gegebenen Flugkosten und gegebener Zahlungsbereitschaft sowie der Grösse des Heimmarktes die Grösse eines Hubs bestimmt. Entsprechend gibt es heute Mega-Hubs, Drehkreuze mittlerer Grösse und Regional-Hubs.
Kostenstrukturen, Zahlungsbereitschaft und notwendige Marktgrössen verändern sich, wenn beispielsweise neue Flugzeuggenerationen wie der Airbus A380 in Betrieb kommen. Zudem stehen Hubs untereinander im Wettbewerb. Einzelne Hubs bauen ihre Infrastrukturen aus und sind dann konkurrenzfähiger. Im Moment werden zum Beispiel im Flughafen Barcelona das Pistensystem, die Terminalkapazitäten sowie die Zahl der pro Stunde möglichen Flugbewegungen verdoppelt, mit dem Ziel, sich als Tor nach Südamerika zu positionieren. Der Flughafen Zürich und die Swiss haben innerhalb der Lufthansa und der Star Alliance eine gute Chance, sich als dritter Hub neben Frankfurt und München zu entwickeln. Für die Lufthansa liegt aufgrund der dezentralen Städtestrukturen in Deutschland der Betrieb eines Multi-Hub-Systems nahe. Ein grosser Teil der deutschen Geschäftsreisenden muss so oder so irgendwo auf Langstreckenflüge umsteigen. Zu verschiedenen Tageszeiten werden Verbindungen über verschiedene Hubs angeboten. Das Netzwerk ist damit nicht so anfällig auf den Ausfall eines Hubs wie beispielsweise jener von British Airways beim Streik in London Heathrow im vergangenen Jahr.

Verbindungsdichte als zentraler Faktor

Interkontinentaler Umsteigeverkehr ist heute ein wichtiges Geschäft, auf das sich die neuen Fluggesellschaften im Mittleren Osten sogar spezialisieren. Auch für die Swiss sind solche Verkehrsströme wichtig, beispielsweise zwischen Mumbai und New York. Geographisch auf einzelne Regionen spezialisierte Hubs lassen dieses Geschäft nicht zu, es braucht Verbindungen in alle Himmelsrichtungen. Innerkontinental und interkontinental ist damit die Verbindungsdichte entscheidend. Fällt diese unter einen kritischen Wert, verliert der Hub an Wettbewerbskraft.
Mit einer Plafonierung der Flugbewegungen wird der Hub in eine maximale Grösse gegossen. Mit 250 000 Flugbewegungen (bei heute 267 000) würde der Flughafen Zürich voraussichtlich in eine tiefere Kategorie Hub absinken. Dieser Prozess verläuft nicht linear. Es können nicht einzelne Flugbewegungen abgebaut werden. Ab einem bestimmten Punkt wird die Verbindungsdichte ungenügend. Es gibt zu wenig Umsteigeverbindungen, und Flüge können nicht mehr ausgelastet werden, es muss damit eine grössere Serie von Flügen gestrichen werden. Mit der Zahl der Flugbewegungen kann damit ein Hub nicht einfach nach Wunsch gesteuert werden. Hub-Entwicklungen verlaufen in Stufen. Heute bietet Zürich gerade noch eine minimale Verbindungsdichte im Interkontinentalverkehr, die nächsttiefere Kategorie wäre ein Regional-Hub, der nur noch einzelne Interkontinentalflüge nach Nordamerika anbieten könnte.

Flugbetrieb von 6 bis 23 Uhr als Minimum

Der interkontinentale Flugverkehr ist aufgrund der Zeitverschiebungen auf bestimmte An- und Abflugszeiten zwingend angewiesen; sie können nicht nach politischem Gutdünken festgelegt werden. Im Falle eines Abflugs um Mitternacht in Singapur ergibt sich damit automatisch eine Landung in Zürich um etwa 6 Uhr Ortszeit. Ein Abflug nach Südamerika kann nicht weit vor 23 Uhr erfolgen, damit man in Sao Paulo nicht zu früh am Morgen ankommt. Ein Hub mit Verbindungen in alle Richtungen muss damit minimale Flugbetriebszeiten von 6 bis 23 Uhr aufweisen. Flugzeuge warten nicht einfach in der Luft. Flugpassagiere weichen bei unattraktiven Flugzeiten auf andere Hubs aus. Interkontinentaler und Innerkontinentaler Verkehr hängen bezüglich Verkehrsströmen und Flugzeiten zusammen. Dürften die Flugzeuge aus Asien, Afrika und dem Mittleren Osten in Zürich erst um 7 Uhr oder später landen, so könnten die europäischen Anschlussflüge Zürich frühestens um 8 Uhr verlassen. Dies dürfte dazu führen, dass die für die Geschäftskunden attraktiven Tagesrandverbindungen, die heute etwa ab 7 Uhr möglich sind, reduziert oder aber mit viel kleineren Flugzeugen bedient werden. Geschäftsreisende aus Zürich wären so später in den Zentren Europas, müssten dort übernachten oder hätten dort weniger Zeit zum Arbeiten. Längere Nachtruhezeiten limitieren auch die Nutzung des teuren Produktionsmittels Flugzeug. Aus Zürich operierende Fluggesellschaften hätten damit im Wettbewerb schlechtere Rahmenbedingungen.
Jede Plafonierung von Flugbewegungen schränkt die Entwicklung im Wettbewerb mit anderen Hubs ein und trägt den heute möglichen Fortschritten in Bezug auf Lärmschutz nicht Rechnung. Einschränkungen der Flugbetriebszeiten jenseits von 7 Stunden tangierten den Betrieb als 360-Grad-Hub. Weniger Interkontinentalverkehr schränkte auch das Marktpotenzial für Europaflüge ein. Zürich verlöre damit als Wirtschaftsstandort nicht nur die beim Aufbau der Swiss auch von der Politik geforderten interkontinentalen Direktverbindungen, sondern generell Anschlüsse im Luftverkehrssystem.

* Der Autor ist Ordinarius und Leiter des Instituts für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen.

NZZ, 29.05.06


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Leserbriefe in der NZZ vom 15.06.06: Hubstrategie für Zürcher Flughafen?