«Nicht mit dem Bauch abstimmen» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Abstimmungskampf um die Plafonierungsinitiative für Flugbewegungen ist eröffnet.
Regierungsrätin Rita Fuhrer wirbt für den Gegenvorschlag.

Mit Rita Fuhrer sprachen Hans- Peter Bieri und Edgar Schuler


siehe auch:
Leserbriefe im Tagesanzeiger vom 08.06.06: «Ein Riesenmumpitz, den Frau Fuhrer da von sich gibt»


Studien, ein Luftfahrtkongress: Die Wirtschaft hat den Abstimmungskampf um die Plafonierungsinitiative eröffnet. Dabei weiss man noch nicht einmal, wann sie vors Volk kommt. Wann stimmen wir ab?
Die Initiative hat sehr viele Emotionen und Erwartungen in der Bevölkerung ausgelöst. Mein Ziel – und wohl auch das des Flughafens und von Economiesuisse – ist es, bei den Menschen so viel Wissen über die Konsequenzen einer Plafonierung zu deponieren, dass sie nicht einfach mit dem Bauch abstimmen.
 
Aber wann ist die Abstimmung?
Das bestimmt der Kantonsrat, bei dem jetzt der Gegenvorschlag der Regierung liegt. Der letztmögliche Termin für eine Volksabstimmung ist März 2008.
 
Fürchten Sie nicht, dass das gegenwärtige Trommelfeuer der Wirtschaft kontraproduktiv wirkt?
Nein. Mir würde es Sorgen machen, wenn das erst unmittelbar vor der Abstimmung käme. Aber wenn die Information jetzt kommt, kann jeder, der will, sie überprüfen. Zum Beispiel die Tatsache, dass 40 Prozent der Exportwerte aus der Schweiz via Flughäfen ausgeführt werden.
 
Spielen Sie auf Zeit, weil Sie Ihrem Gegenvorschlag nicht recht trauen?
Nein, im Gegenteil. Gerade weil ich meinem Gegenvorschlag sehr traue, ist es mir recht, dass es bis zur Abstimmung noch dauert. Das gibt ihm eine Chance. Der Gegenvorschlag bringt ein ganz sauberes Controlling über die Entwicklung am Flughafen. Mit dem Richtwert erprobt und installiert der Kanton Zürich im Übrigen weltweit etwas Neues.
 
Der Richtwert mag eine Weltneuheit sein, vorläufig aber ist er vor allem eine Wundertüte. Was genau ist er eigentlich?
Die Regierung entwickelte die Idee im Herbst 2004, heute arbeiten die Wissenschafter an der Berechnungsformel. Die werden die Leute so wenig verstehen wie ich, aber das ist auch nicht nötig. Bei der Berechnung der Luftschadstoffe verlassen wir uns auch auf eine Formel, die von Wissenschaftern berechnet wurde und die das erträgliche Mass an Schadstoffen bezeichnen soll. Was die Leute verstehen müssen, ist der Mechanismus.
 
Die Lärmgegner halten dagegen, sie hätten schon eine verständliche Formel: maximal 250 000 Flugbewegungen im Jahr. 
Sie machen den Leuten damit weis, dass so das Lärmproblem reduziert wird. Das ist erwiesenermassen falsch. Das Lärmempfinden orientiert sich nicht an den Bewegungen, sondern daran, wie viel Lärm die einzelne Lärmquelle produziert, in welchem Rhythmus und zu welchen Zeiten.
Wir haben heute eine tiefe Bewegungszahl im Vergleich mit anderen Jahren. Trotzdem sind die Leute unzufrieden.
 
Der Gegenvorschlag ist nicht auf Gegenliebe gestossen. Der Kantonsrat und betroffene Gemeinden wollen lieber eine sanftere Plafonierung bei 320 000 Bewegungen. Schwenkt die Regierung darauf ein?
Der Regierungsrat hat mehrfach deutlich gesagt, dass er keine Bewegungsplafonierung will. Er will eine Begrenzung der Belastung, und das können wir mit dem Richtwert anbieten. Der Regierungsrat will, dass sich der Flughafen entwickeln kann. Und vor allem will er kein Signal der Stagnation aussenden.
 
Ganz konkret: Würde der Regierungsrat in einem solchen Fall Initiative wie Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen?
Das wäre die Konsequenz aus den heutigen Regierungsbeschlüssen.
 
Was immer die Zürcher abstimmen, der Entscheid liegt letztlich beim Bund. Der Bund hat seine Interessen im Luftfahrtbericht offen gelegt, aber in der Diskussion um die Plafonierung hält er sich vornehm zurück. Fühlen Sie sich im Stich gelassen?
Nicht im Stich gelassen. Immerhin hat Bundespräsident Moritz Leuenberger gesagt, der Bundesrat fühle sich an diesen Luftfahrtbericht gebunden. Und es ist bekannt, was darin steht: nachfrageorientiertes Wachstum und internationale Anbindung des Flughafens, entsprechend seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung für die ganze Schweiz. Aber er glaubt – und da steckt ein Stück Wahrheit drin – , dass es zu Staatsverdrossenheit führt, wenn der Bundesrat sagt, die Abstimmung nütze nichts.
 
Wäre es nicht ehrlicher, wenn der Bundesrat klar sagen würde, er könne gar nicht anders, als gegen die Initiative zu entscheiden? Verdrossenheit entsteht auch, wenn falsche Erwartungen geweckt werden. 
Wir bieten mit dem Gegenvorschlag ja eine gute Alternative an, mit der er etwas anfangen kann. Die Bevölkerung muss spüren, dass sie mit dem Richtwert einen Spatz in der Hand hat statt der Taube auf dem Dach, die sie nie fangen wird.
 
Abgesehen vom Gegenvorschlag setzen Sie vor allem auf den gekröpften Nordanflug und Gespräche. Aber der « Gekröpfte » ist kein Allheilmittel. Er ist schwierig und braucht die Einwilligung der Deutschen. 
Wir haben ihn als Möglichkeit präsentiert, die Süd- und Ostanflüge zu verringern. Bundespräsident Leuenberger ist der Ansicht, das müsse im Einvernehmen mit Deutschland geschehen.

Es scheint, dass die Gespräche mit Deutschland allmählich auch in Gang kommen. Wie weit ist das gediehen?
Wir wollen jetzt konkrete Gespräche, die zu einem Vertrag führen können. Und wir wollen über das reden, was auch der Ministerpräsident von Baden- Württemberg, Günther H. Oettinger, schon mehrfach gesagt hat: dass wir zusammen mit Süddeutschland einen gemeinsamen Wirtschafts- und Lebensraum bilden. Für den ist die Verkehrsinfrastruktur wichtig, und Deutschland formuliert auch immer wieder Bedürfnisse.
 
Moritz Leuenberger mahnte am Luftfahrtkongress aber auch, die Schweiz brauche für Verhandlungen eine gemeinsame Position. Offenbar ist die noch lange nicht gesichert. Sehen Sie eine?
Wir hatten eine Zeit lang wirklich ein grösseres Problem: Die Nachbarkantone prügelten sehr stark auf Zürich ein. Das ist heute nicht mehr so. Der Aargau hat sogar öffentlich erklärt, dass er den gekröpften Nordanflug hinnehme, wenn die Probleme des Flughafens nicht anders zu lösen seien.
Die Aargauer wissen, dass eine ABB nicht in Baden bleibt, wenn der Flughafen nicht mehr interkontinental angebunden ist.

Nochmals, wie sähe eine gemeinsame Position aus?
Wir sind uns bewusst, dass wir nicht mehr ausschliesslich über den Norden anfliegen können. Das verlangen wir auch nicht. Allgemein anerkannt ist, dass uns das zeitliche Korsett am meisten belastet, die Überflugsperren morgens und abends, an den Wochenenden und Feiertagen. Nicht nur wegen der Südanflüge, sondern auch wegen des Flugbetriebs. Mit den Sperrzeiten können wir kein robustes Flugregime schaffen. Im Übrigen möchten wir den Gesprächen den gemeinsamen Wirtschaftsund Lebensraum zu Grunde legen.
 
Sie betonen die gemeinsamen Interessen mit Süddeutschland immer wieder. Aber die dortige Bevölkerung sieht sie offenbar nicht. 
Die Politiker sehen das sehr wohl. Sie wissen sehr gut, wie wichtig die Anbindung an den Flughafen Zürich ist. Sonst würden sie nicht mit einer derartigen Dringlichkeit S- Bahn- und Autobahnverbindungen zum Flughafen verlangen. Sie wissen auch warum. Verkehrsinfrastrukturen sind für einen Wirtschaftsraum fast der wichtigste Faktor, weit wichtiger als Steuern und Ähnliches. Die Hälfte der Unternehmen im Raum Konstanz beispielsweise ist exportorientiert und exportiert über den Flughafen Zürich.
 
Genügt das als Verhandlungsbasis?
Man muss das Verhältnis sehen. 211 000 Einwohner in der Region Zürich und Aargau wohnen in Gebieten, die mit 50 Dezibel und mehr beschallt werden. Im süddeutschen Raum sind es 750. Die Frage, die man sich stellen muss: Ist es, gemessen an den wirtschaftlichen Vorteilen, die Deutschland vom Flughafen hat, gerechtfertigt, dass es gegenüber der Schweiz derart restriktiv vorgeht? Umgekehrt müssen wir uns fragen angesichts der Bedürfnisse, welche die Deutschen formulieren: Dürfen wir einen derart wichtigen und aufstrebenden Teil des gemeinsamen Wirtschaftsraums wie Baden- Württemberg so abkoppeln wie heute? Immerhin gehen etwa 36 Prozent der schweizerischen Exporte in diesen Raum, und etwa 24 Prozent unserer Importe kommen von da.
 
Sie gehen also in die Verhandlungen mit dem Argument: Wenn ihr den Flughafen abwürgt, würgt ihr euch selber ab?
Ich möchte es mit meinen Worten sagen: Wenn die Deutschen unseren Flughafen derart in ein Korsett zwängen, dass er nicht mehr wettbewerbsfähig ist und zu einem Regionalflughafen wird, dann haben sie deutlich mehr Nachteile, als sie glauben. Schon heute haben sie deutlich mehr Vorteile vom Flughafen als Nachteile.
 
Was bieten Sie den Deutschen konkret an?
Wir haben keinen Katalog. Es geht nicht um einen Basar. Es geht darum, herauszufinden, was dem gemeinsamen Wirtschaftsraum gut tut und was für ihn wichtig und vernünftig ist.
 
Hoffen Sie, dass die Gespräche vor der Abstimmung über die Plafonierungsinitiative zu Ende geführt werden können?
Das wünscht der Bund, und das wünschen wir uns wirklich. So würde der Stimmbürger definitiv wissen, was bei einem Ja oder Nein auf ihn zukommt.
 
Warum soll ein Stimmbürger Nein sagen zu einer Plafonierungsinitiative, wenn er sich damit nicht nur mehr Lärm, sondern auch mehr Kosten für S- Bahn- Bauten, Autobahnen und Ähnliches einhandelt?
Weil er am Schluss selber von den Infrastrukturen profitiert. Zudem ist es immer wieder schön, zu sehen, wie die Bevölkerung an der Urne entscheidet. Wie beispielsweise eine Glattalbahn so gut angenommen wird, und dies nicht nur von denen, die dort wohnen und profitieren.
Ich bin überzeugt: Bis der Abstimmungszettel bei den Leuten zu Hause auf dem Tisch liegt, werden sie sich gut informieren und wissen, dass eine gute Verkehrsinfrastruktur enorm wichtig ist, und zwar für alle.

Tages-Anzeiger, 03.06.06 (Seite 19)