Asymmetrien in der Debatte um den Landesflughafen Zürich (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Luftverkehr ist mehr als Luxus und Lärm. Das zeigte der Luftfahrtkongress, den der Wirtschaftsverband Economiesuisse diese Woche in Anlehnung an ein deutsches Modell lanciert hatte. Allein die Tatsache, dass dieser Kongress im «Event-Dock», einem stillgelegten Teil des Flughafens Zürich, stattfand, belegt sinnbildlich, dass in der schweizerischen Luftfahrt vieles noch nicht stimmt.

Ökonomisch hat der Luftverkehr zwar das Schlimmste hinter sich. Der Flughafen Zürich und die flugnahen Betriebe der ehemaligen SAirGroup konnten dem grossen Strudel des Swissair-Konkurses entrinnen, vor allem dank ausländischen Kapitalgebern, die überzeugt sind, dass Luftverkehr in der Schweiz Zukunft hat. Der Bund, viele Kantone und Schweizer Multis haben das Gründungskapital für eine neue nationale Fluggesellschaft bereitgestellt, um dem Wirtschaftsplatz Schweiz weiterhin viele Direktflüge ab Zürich zu sichern.

«SHOPPING STATT SHIPPING»

Die Zahl der Passagiere im Flughafen Zürich wächst wieder (4,6 Prozent im laufenden Jahr), ebenso wie jene seines grössten Kunden, der Swiss (9,9 Prozent im letzten Jahr). Unique lebt aber vom Geschäft am Boden («Shopping statt Shipping») und dürfte erst etwa in fünf Jahren im Flugbetrieb schwarze Zahlen erreichen. Die Swiss steht nach einer Rosskur mit der Halbierung von Flotte und Destinationen sowie einem Personalabbau um 40 Prozent an der Schwelle zum operativen Gewinn, ist jedoch noch weit davon entfernt, ihre Kapitalgeber ansprechend zu bedienen.

Die Schweiz ist schon vom Einzugsgebiet her für eines der grossen Drehkreuze (Mega- Hub) im europäischen Luftverkehr zu klein. Die sind fix an London, Paris und Frankfurt sowie - mit Abstrichen - an Amsterdam und Madrid vergeben. Die Deutsche Bank reiht in ihrer Drehkreuz-Studie den Flughafen Zürich in die Kategorie der Sekundär-Hubs ein. Zu diesen mittleren Hubs zählen Flughäfen wie München, Barcelona, Mailand, Manchester, Kopenhagen, Stockholm oder Wien. Zurzeit liegt Zürich beim Passagieraufkommen nach einem Abstieg in Europa noch an 17. Stelle. Mit einem breiteren Kunden-Mix (Linie, Charter, Billig-Flieger) als in Swissair-Zeiten und einem attraktiven Shoppingcenter hat Zürich nachfrageseitig gute Aussichten, den Status als Sekundär-Hub im System der Lufthansa und der Star Alliance zu halten.

Dass Zürich in der Zukunft dennoch ein Abstieg in die Kategorie der Flughäfen fast ohne Interkontinentalverkehr (Valencia, Barcelona, Köln, Genf, Lyon, Turin) droht, liegt an der lähmenden Rechtsunsicherheit und an der asymmetrischen politischen Debatte über die negativen Seiten eines Verkehrsträgers von internationaler Tragweite.

Der Konflikt mit Deutschland über die An- und Abflüge ist zweieinhalb Jahre nach der einseitigen Durchführungsverordnung nicht nur ungelöst, die im April 2005 binnen Jahresfrist versprochene Aufnahme der Gespräche zwischen den beiden Staaten lässt immer noch auf sich warten. Das von der deutschen Regierung diktierte Anflugregime zulasten dicht besiedelter Gebiete im Osten und Süden des Flughafens Zürich hat eine kantonale Volksinitiative provoziert, mit der die Zahl der Bewegungen limitiert und die Öffnungszeiten des Flughafens um weitere zwei Stunden verkürzt werden sollen.

PLAFONIERUNG AM GOTTHARD?

Landesflughäfen, erst recht das interkontinentale Drehkreuz in Zürich, sind nationale Infrastrukturen, werden aber in der Schweiz immer noch wesentlich von den Kantonen gesteuert. Dies führt in der direkten Demokratie unweigerlich zu Zielkonflikten. Bei Schienen- und Strassenprojekten nationaler Tragweite können direkt Betroffene nicht autonom entscheiden. So wäre es unmöglich, dass etwa die Urner analog zu den Zürchern per Volksinitiative eines Tages am Gotthard die Plafonierung der Auto- und Zugfahrten oder eine Nachtsperre für Personenwagen einführen könnten. Man darf sich mit Fug fragen, warum für den nicht minder wichtigen Luftverkehr nicht Gleiches gelten soll.

Man hätte deshalb zum leidigen Thema Plafonierungsinitiative und Fluglärmfonds gerade in Zürich klärende Worte vom zuständigen Bundesrat für die nationalen Infrastrukturen erwartet. Verkehrsminister Leuenberger auferlegte sich aber auch am Luftfahrtkongress grosse Zurückhaltung, die ihm in anderen Fragen - man denke etwa an Ausfälligkeiten gegen Lenker von Offroad-Fahrzeugen - fremd ist. Eine Einmischung des Bundes in die Zürcher Abstimmungsdebatte wäre nach Ansicht von Leuenberger «mit Sicherheit kontraproduktiv». Erst nach der Abstimmungsanalyse werde sich zeigen, ob durch eine Limitierung der Flugbewegungen und eine Ausweitung der Nachtsperre auf einem interkontinentalen Drehkreuz auch Landesinteressen gefährdet würden.

Das weckt den Argwohn, hier wolle der Verkehrsminister einen Konflikt einfach bis zu seinem eigenen Rücktritt aussitzen, genauso wie das Problem der angeschlagenen Führung im dafür zuständigen Bundesamt für Zivilluftfahrt.

Von einem nationalen Verkehrsminister muss man erwarten dürfen, dass er Führungsverantwortung wahrnimmt und die Stimmbürger eines Kantons rechtzeitig davor warnt, das schädliche deutsche Anflugregime durch ebenso schädliche Zürcher Restriktionen zum Nachteil des nationalen Hubs zu kumulieren. Leuenberger steht als Bundesrat und Zürcher hier in einer doppelten Verantwortung. Und auch sein Ceterum censeo, mit der Annahme des Staatsvertrags durch das nationale Parlament wäre für den Flughafen Zürich alles besser gekommen, wird durch Wiederholung nicht richtiger. Hätte die Schweiz diesen Vertrag ratifiziert, hätte sie freiwillig zu noch mehr Südanflügen Hand geboten, als ihr heute von Deutschland aufgezwungen werden. Und über deutsches Gebiet könnten noch weniger Jets anfliegen als heute.

Zürich hat die strengste Nachtflugsperre für einen interkontinentalen Flughafen. Wird die Sperre morgens und abends um je eine Stunde ausgedehnt, gerät die Vernetzung der Lang- und Kurzstrecken durcheinander. Die Deutsche Bank malt in ihrer Studie für Zürich nicht den Teufel an die Wand. Sie verweist lapidar auf mögliche Rückentwicklungen des Flughafens und in der Folge auch der Wirtschaftsregion Zürich durch politisch erzwungene Einschnitte. Wertschöpfung und Arbeitsplätze verlagern sich dann, nicht von heute auf morgen, auf ausländische Flughäfen. So wie heute schon ein grosser Teil der Luftfracht von Camions in der Schweiz abgeholt und auf der Strasse ins Ausland gekarrt wird, weil das Nachtflugverbot in Zürich kein eigenes Cargo-Geschäft zulässt.

So wie sich der Bund bei der Plafonierungsinitiative mit Verweis auf kantonale Hoheit vornehm zurückhält, stuft auch die deutsche Bundesregierung den Streit um das Anflugregime auf Zürich bis jetzt als regionale Angelegenheit im «Hotzenwald» fernab von Berlin ein und dispensiert sich von Verbesserungen an der Verordnung. Nach den informellen Kontakten der letzten Monate gibt es weder Wahlen noch sonstige Hindernisse, um das Gespräch unter befreundeten Regierungen nun auch formell, wie 2005 von den beiden Verkehrsministern vereinbart, wieder aufzunehmen. Der Bundesrat sollte dabei dem Departement für auswärtige Angelegenheiten, konkret dessen Staatssekretär Ambühl, die Federführung für die Mission übertragen. Zum einen, weil damit ersichtlich wird, dass es für die Schweiz um nationale Interessen und nicht nur um flugtechnische Probleme geht. Zum andern, weil Ambühl früher als Direktor des Integrationsbüros bewiesen hat, dass die kleine Schweiz mit Kreuzkonzessionen auch der grossen EU bilaterale Kompromisse in komplexen Dossiers abringen konnte.

NZZ, 03.06.06