Was mit einer Mitte-Links-Regierung anders wäre (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Differenzen vor allem in der Finanz- und in der Verkehrspolitik

FDP und SVP stellen die kommende Ersatzwahl in den Regierungsrat plakativ unter den Titel «Links-Grün verhindern». Was würde mutmasslich ändern mit einer Mehrheit von Links-Grün im Zürcher Regierungsrat? Weniger, als auf den ersten Blick anzunehmen ist. Zumindest auf den Feldern Verkehr und Finanzpolitik bleiben gewichtige Unterschiede.

bto./ark. Liest man die ersten Wahlkampf-Stellungnahmen von SVP und FDP, so geht es in der Regierungsrats-Ergänzungswahl vom 9. Juli um alles oder nichts, Bürgerlich oder Links-Grün. Ursula Gut (fdp.) soll im Kanton eine Mitte- Rechts-Mehrheit sichern, die bei einer Wahl von Ruth Genner (gp.) zu Links-Grün kippen würde.

Tatsächlich dürften sich die beiden Kandidatinnen in ihren Positionen erheblich unterscheiden. Namentlich in der Finanzpolitik und in Einzelheiten der Verkehrspolitik kann die einmal gewählte Magistratin der Zürcher Politik ihren Stempel aufdrücken. Dennoch mag es überraschen, dass die vermeintlich alles entscheidende Grenzlinie zwischen Links und Bürgerlich auf zahlreichen Feldern der Zürcher Politik nur wenig Bedeutung hat.

Zahlreiche Bremsen

In den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheitswesen haben in der Vergangenheit oft Allianzen von SP und FDP Neuerungen und Lösungen zum Durchbruch verholfen. Konservative Kreise, obwohl scheinbar durch eine «bürgerliche Mehrheit» im Regierungsrat vertreten, hatten das Nachsehen. Zahllose weitere Bremsen sorgen dafür, dass eine ideologisch wie auch immer gefärbte Regierung das Steuer eines Kantons nicht von heute auf morgen herumreisst. So sind ihre Spielräume durch zahllose Gesetze eingeschränkt, und das Parlament und das Volk rücken allfällige Fehlentscheide wieder zurecht. Das Parteibuch gerät für Mitglieder von Regierungen auch darum in den Hintergrund, weil es im Gremium Mehrheiten zu finden gilt und weil sehr oft ideologisch kaum belastete Sachfragen zu entscheiden sind. Das zeigt der Blick auf aktuelle Themen: Sicherheit in Fussballstadien oder eine leistungsfähige Spitzenmedizin in Zürich sind Anliegen unterschiedlichster politischer Gruppierungen.

Dennoch gibt es auf kantonaler Ebene politische Felder, auf denen die ideologischen Differenzen zwischen Links und Rechts erheblich sind. Zu nennen ist vorab die Finanzpolitik, die zahlreiche andere Bereiche beeinflusst. Wer wie die Grünen bei vielen Problemen nach einer staatlichen Lösung ruft, muss gewillt sein, das notwendige Geld bereitzustellen, sprich die Steuern zu erhöhen. Doch auch da kann die parteipolitische Standhaftigkeit offenbar ins Wanken geraten: Der Antrag auf eine fünfprozentige Steuererhöhung für die Jahre 2005 stammte vom bisherigen, Mitte-Rechts-bestimmten Regierungsrat.

Genner für eine Plafonierung

Differenzen zu erwarten wären in der Energiepolitik, wo der Kanton Zürich als grösster Miteigentümer der Axpo wesentlich mitbestimmt, ob in der Schweiz ein weiteres Atomkraftwerk gebaut wird.

Deutliche Unterschiede zwischen einer Mitte- Links- und einer Mitte-Rechts-dominierten Regierung gäbe es wohl auch in der Verkehrspolitik, wo der Regierungsrat beispielsweise bei der Erschliessung von Einkaufszentren entscheidend mitreden kann. Da wäre von einer grünen Politikerin sicher eine andere Haltung zu erwarten als von einer Freisinnigen. Auch in der Flughafenpolitik hätte eine linke Mehrheit Konsequenzen. Allerdings wären sie wohl auch da kleiner, als auf den ersten Blick erwartet. Mit einer Zuwahl von Genner würden die Positionen im Rat zwar klar zuungunsten des Flughafens verschoben. Anders als die bisherige Amtsinhaberin Dorothée Fierz, die eine Plafonierung stets ablehnte und vorsorgliche Bauverbote im Hinblick auf allfällige Pistenveränderungen erliess, hat Genner keine Probleme mit einer Bewegungsbeschränkung, im Gegenteil: «Ich stehe ein für verbindliche Eckwerte: einen Plafond bei 250 000 Flugbewegungen und eine Nachtruhe von neun Stunden», schreibt die Kandidatin auf ihrer Homepage. Beide Forderungen, sie entsprechen dem Inhalt der sogenannten Plafonierungsinitiative, hätten starke Einschränkungen für den Flughafen zur Folge. Dieser verzeichnete letztes Jahr knapp 270 000 Flugbewegungen, Tendenz steigend *, und wird derzeit mit einer faktischen Nachtruhe von sieben Stunden betrieben.

Trotzdem würde die Flughafenpolitik des Regierungsrates durch Genners Wahl kurzfristig kaum anders. Anfang Jahr gab er seiner Ablehnung der Plafonierungsinitiative Ausdruck und präsentierte gleichzeitig den Entwurf eines Gegenvorschlags. Jetzt liegt die Verantwortung bei einer kantonsrätlichen Kommission. Gleichzeitig läuft auf eidgenössischer Ebene der Prozess zur Erarbeitung des Objektblatts Zürich des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Hier wirkt der Kanton als Koordinator zwar massgeblich mit. Das letzte Wort hat aber der Bundesrat.

Wankende Positionen

Allerdings scheinen auch in der Verkehrspolitik politische Ämter politische Positionen wanken zu lassen. Rita Fuhrer (svp.), obwohl durch das Parteibuch in keiner Art dem Kampf für den öffentlichen Verkehr verpflichtet, ist zurzeit wohl die fleissigste Lobbyistin zugunsten eines Ausbaus der Zürcher S-Bahn.

NZZ, 17.05.06


* Tendenz steigend??? siehe dazu:
Leserbrief in der NZZ vom 01.06.06