Fluglärm ohne Grenzen (UNI ZH)

Publiziert von VFSNinfo am

UNIVERSITÄT ZÜRICH UNIREPORT 2006: Umstrittener Flughafen, von Markus Binder

Für die einen ist der Flughafen ein Albtraum, für die anderen ein Wirtschaftsmotor. Für die Juristen ist er ein interessanter Fall. So viele Gesetze und Verträge greifen selten an einem einzigen Ort ineinander.

Ausserhalb der Stadt Zürich wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Flughafen gebaut. In den folgenden 50 Jahren wucherte um den Flughafen die Glatttalstadt. Seit zwei Jahren fliegen Flugzeuge über beide Städte hinweg und beschallen diese ordentlich mit Lärm, weil Deutschland den Anflug über den Schwarzwald nicht mehr unbeschränkt akzeptiert. Norden, Westen, Süden, Osten – alle kämpfen gegen alle. Eine verzwickte Situation, und je nach Himmelsrichtung sind die Deutschen, Bundesrat Moritz Leuenberger, die Regierungsrätinnen Rita Fuhrer und Dorothée Fierz, die Flughafenbetreiberin Unique oder die Villenbesitzer im Süden die Bösewichte. «Ein Challenge», sagt Tobias Jaag, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Zürich, und lächelt dabei.

Nicht dass ihm so viel Streit recht wäre. Aber die Frage reizt ihn, was denn bei so viel Komplexität noch Recht ist. Deshalb hat er als Präsident der «Stiftung juristische Weiterbildung Zürich» eine Tagung zu Rechtsfragen rund um den Flughafen organisiert und einen Tagungsband publiziert. Getragen wird die Stiftung von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, den Zürcher Gerichten, dem Zürcher Anwaltsverband sowie dem Zürcherischen Juristenverein. Teilgenommen haben externe Experten, zumeist Rechtsanwälte, die die verschiedenen Parteien vertreten. «Ich wollte die individuellen praktischen Erfahrungen mit einer Weiterbildungsveranstaltung einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen und zu einem kleinen Forschungsprojekt zusammenfügen», sagt Jaag. Auf nationaler Ebene steht die Frage im Vordergrund, weshalb die Flughafenregion trotz des Fluglärms so stark wachsen konnte. Weshalb hat das Raumplanungsgesetz dieses Wachstum in den letzten 25 Jahren nicht verhindert? Weil das Gesetz unvollständig ist, sagt Alain Griffel, Privatdozent an der Universität Zürich und Amtschef der kantonalen Baurekurskommission. Der Bund legt die Grundsätze fest, und die Kantone konkretisieren diese. Die Kantone müssen also nicht nur vollziehen, was der Bund bestimmt. Dieses föderalistische System aber habe versagt, Griffel spricht von einem «negativen Kompetenzkonflikt»: «Während Jahren hielt sich niemand für zuständig, das umzusetzen, was der eidgenössische Gesetzgeber mit dem Erlass des Raumplanungsgesetzes bereits 1979 wollte.»

Hinzu komme, dass niemand beauftragt sei, diese Untätigkeit zu sanktionieren, weil ein Kontroll- und Aufsichtsmechanismus fehle, etwa ein Beschwerderecht. Dabei wären die Ziele der Raumplanung klar formuliert und unmittelbar anwendbar. Artikel 1 des Raumplanungsgesetzes nennt unter anderem als Ziel, «wohnliche Siedlungen und die räumlichen Voraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen und zu erhalten». Konkreter heisst das, dass «Wohngebiete vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen möglichst verschont» werden sollen, wie in Artikel 3 steht. Eine Verteilung des Lärms widerspreche diesen Zielen eindeutig. Griffel räumt allerdings ein, dass eine Verteilung wegen der «jahrzehntelangen raumplanerischen Fehlentwicklung» aus übergeordneter Perspektive ein «hinzunehmendes Übel» sein könne. Griffel kritisiert damit auch den Bund und den Kanton.

Der Bund hat bisher das Objektblatt zum Flughafen Kloten im Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt nicht ausgearbeitet und dennoch dem Flughafen eine Betriebskonzession und eine Betriebsbewilligung erteilt. Der Kanton habe erst wenige konkrete Schritte unternommen, den kantonalen Richtplan zu revidieren. Aus diesem Planungsdefizit resultiere ein Demokratiedefizit: «Im Zusammenhang mit der Neuordnung des An- und Abflugregimes rund um den Flughafen Zürich fand bislang weder zum SIL-Objektblatt noch zum Richtplan ein Mitwirkungsverfahren statt.» Analysiert werden auch das Umweltrecht und die Entschädigungsfrage. Peter Ettler, Rechtsanwalt aus Zürich, kritisiert, dass das Lärmbelastungsmass Leq am Tag über mehrere Stunden gemittelt wird und Spitzenwerte nicht angezeigt werden: «Der Leq hat als störwirkungsadäquates Mass ausgedient.» Drei Jumbojets über dem Stadthaus Opfikon würden gleich viel Schall erzeugen wie 200 Airbus-Maschinen. Diese Unterschiede aber spiegle das Lärmmass Leq nicht. Viel besser käme dies im Fluglärmbelastungsmass NAT (Noise Above Threshold) zum Ausdruck. Solange dies nicht gesetzlich etabliert sei, könne nur ein Bewegungsplafond den störenden Fluglärm begrenzen.

Das Forschungsprojekt zum Flughafen ist für all jene ein gefundenes Fressen, für die der Flughafen ein Albtraum oder einfach nur Wirtschaftsmotor ist. Der Ansatz des Projekts ist nicht rechtspolitisch. Es geht weniger um die Änderungen, die die Politik an den Gesetzen vornehmen soll, obwohl auch Empfehlungen gemacht werden. Angesetzt wird vielmehr beim geltenden Recht. «Ziel war eine Auslegeordnung, nicht eine Lösung der Probleme rund um den Flughafen», sagt Jaag, der die Resultate demnächst in einem Aufsatz nochmals zusammenfassen wird.


PROJEKT:
Rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit juristischen Problemen rund um den Flughafen Zürich-Kloten.

FINANZIERUNG:
Stiftung juristische Weiterbildung, Zürich

VERANTWORTLICH:
Prof. Tobias Jaag, Rechtswissenschaftliches Institut der Universität Zürich, Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht

E-MAIL: lst.jaag@rwi.unizh.ch

WEBSITE: http://www.rwi.unizh.ch/jaag/home.htm

Fluglärm ohne Grenzen (PDF, 100KB, Seite 28 und 29)
Der ganze Unireport 2006: Golbal forschen (PDF, 5.3 MB)