«Daran gewöhnt man sich nicht» (BZ)

Publiziert von VFSNinfo am

SÜDANFLÜGE AUF DEN FLUGHAFEN ZÜRICH

Zwischen Zürichsee und Greifensee sind die gelben Symbole des Protestes gegen die Südanflüge allgegenwärtig. Hier hält man sich für berechtigt, laut zu protestieren. Und Moritz Leuenberger ist der grosse Buhmann.

Der Unterschied zum Rest der Schweiz ist gelb: Plakate an Gartenzäunen, Balkonen, Kleber an Autos und Strassenlampen – «Flugschneise Süd Nein». Dörfer wie Gockhausen oder Binz liegen unter der seit 2003 wegen der deutschen Beschränkungen benutzten Flugroute auf den Flughafen Zürich. Zwischen 6 und 7 Uhr, am Wochenende bis 9 Uhr sowie am Abend darf der Flughafen nicht aus Norden, sondern muss – wenn es das Wetter zulässt – aus Süden oder Osten angeflogen werden.

300 Meter Abstand

«Nein, daran gewöhnt man sich nicht, auch nicht nach zwei Jahren.» Der weisshaarige Herr, der seinen Geländewagen vor dem Volg in Zumikon parkiert hat, zeigt verärgert in die Luft. An jedem nicht nebligen Morgen werde er von den dröhnenden Maschinen aus dem Schlaf gerissen. Ausschlafen könne man vergessen, am Wochenende erst recht. Es sei beängstigend, wenn der Lärm näher komme und die Flieger dann in 250 oder 300 Meter Abstand über ihr Haus donnerten und durchs Dachfenster zündeten, erzählt eine Frau in Gockhausen.

Die Region über und hinter der Goldküste ist beileibe nicht die einzige, die unter Fluglärm leidet, aber hier wird am lautesten protestiert, mit gelben Ballonen, Plakaten, T-Shirts. Der «Verein Flugschneise Süd Nein» (VFSN) ist mit 5000 Mitgliedern die grösste der vielen Organisationen im Kampf gegen Fluglärm. Mehrere hundert «Schneiser», wie sie sich nennen, marschieren jeweils auf, um mit Fackeln Mahnwache zu halten, zum Beispiel zum 2. Jahrestag der Anflüge. Oder sie pilgern zu Tausenden nach Bern, bringen den Fluglärm per Lautsprecher mit. «Wir müssen protestieren, damit uns die Politiker nicht vergessen», sagt eine Frau aus Zumikon, eine der reichsten Gemeinden im Kanton, wo viele Villen überflogen werden.

50 Jahre lang wars klar

«Logo, wehrt sich der Süden am meisten», sagt Thomas Morf, Präsident des VFSN. «Die anderen haben einfach nicht die gleiche Berechtigung.» 50 Jahre lang sei klar gewesen, dass von Norden her angeflogen werde, dass es dort Lärm gebe. Für den Süden und den Osten hingegen sei eine plötzliche Veränderung eingetreten, ausgelöst durch Missachtung von Raumplanungs- und Umweltschutz- gesetz. Nun werde eines der dichtbesiedeltsten Gebiete der Schweiz in geringer Höhe überflogen und belärmt. «Die VFSN-Mitglieder kämpften gegen den Krach, aber auch dagegen, dass Recht mit den Füssen getreten wird.»

Personifizierte Zielscheibe

Ihr Lieblingsfeind ist Moritz Leuenberger. Er wird verantwortlich gemacht für die Anflüge, welche bei einem Treffen mit dem deutschen Verkehrsminister Stolpe festgeschrieben wurden. Zwar wissen auch die Schneiser, dass das Parlament den Staatsvertrag mit Deutschland abgelehnt hat, aber der Bundespräsident stellt eine personifizierte Zielscheibe dar in der verfahrenen Flughafenpolitik, in der sich wenig bewegt. Als Fluglärmgegner Leuenbergers Privatadresse im Internet veröffentlichten, intervenierte sein Departement, weil er und seine Nachbarn beunruhigt seien und die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden müssten. Morf spricht von einer ungefährlichen Situation – wie auch bei den beiden Rentnern, welche 2004 festgenommen wurden, als sie mit Scheinwerfern gegen Flugzeuge zündeten. Es gebe keine Radikalisierung bei den Schneisern, sagt Morf, aber sehr wohl «Leute, die einfach am Anschlag sind. Ich mache mir Sorgen, dass einmal wirklich etwas passiert.»

Resignation spürbar

Man hört aber auch Selbstkritik. «Die Zumiker fliegen dermassen viel, da müssen sie auch ein bisschen Fluglärm ertragen», sagt eine Zumikerin, fügt aber gleich an, dass hier kaum jemand ihre Meinung teile. Es gebe eine Art Gruppendruck zum «Protest in Gelb», sagt ein Mann. Bei einigen ist Resignation zu spüren, nicht zuletzt, nachdem klar wurde, dass der gekröpfte Nordanflug so schnell nicht realisiert wird. Andere möchten wegziehen, sind aber verunsichert, weil sie ihre Immobilien nur mit Verlusten verkaufen können. Ein Exodus findet aber nicht statt, es werden weiterhin Wohnungen gebaut in der Anflugschneise.

Es müsse eine rasche Lösung her, fordert Thomas Morf, auch für den Flughafen, der nicht gegen den Willen der Bevölkerung betrieben werden könne. Neben der Abschaffung der Südanflüge plädiert er für eine Beschränkung der Flüge, denn «Lärm wird es immer geben, irgendwo müssen wir einfach einen Riegel schieben.»

Am Freitag gibt die Zürcher Regierung ihre bis zum letztmöglichsten Termin hinausgezögerte Stellungnahme zur Volksinitiative «für eine realistische Flughafenpolitik» bekannt.
Das Begehren fordert eine Beschränkung (Plafonierung) der Flugbewegungen auf 250 000 pro Jahr und eine Nachtruhe von neun Stunden. «Der Kanton Zürich wirkt, insbesondere im Bund, darauf hin, dass der Flughafen in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der von Flugemissionen betroffenen Wohnbevölkerung betrieben wird», heisst es im Text. Die offene Formulierung machte die Initiative erst möglich: Würde sie ein Gesetz fordern, wäre sie für ungültig erklärt worden.
Dennoch klärt der Bund ab, ob nicht nationale Erlasse oder gar internationale Abkommen verletzt werden. Für den Regierungsrat und insbesondere Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer (SVP) ist das Geschäft heikel, weil der Kanton Hauptaktionär des Flughafens ist und die Wirtschaft Druck ausübt, andererseits beim Thema Fluglärm breite Bevölkerungskreise – nicht nur in der Südanflugschneise, sondern rund um den Zürcher Flughafen – äusserst sensibel reagieren (BZ, 05.01.06, Niels Anner)


Kommentar:
Nicht alle Tatsachen scheinen den Weg bis nach Bern gefunden zu haben. Hier einige Richtigstellungen:
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