Von Hans- Peter Bieri
Zürich. – Die Studie wurde vom St. Galler Raumplanungsbüro Strittmatter Partner AG im Auftrag der in Zumikon domizilierten unabhängigen Stiftung gegen den Fluglärm erstellt. Untersucht wurden 38 betroffene Gemeinden, die meisten in der Südschneise, einige wenige in der Ostschneise (Grafik). Gemäss Studie verlieren die Immobilien in diesen Gemeindenwegen des seit einem Jahr geltendenneuen Flugregimes mit Süd- und Ostanflügen 8,4 bis 13,2 Prozent an Wert. Bei einem Gesamtwert der Immobilien in diesen Gemeinden von 140 Milliarden Franken sind das zwischen 11,8 und 18,4 Milliarden Franken Verlust – 15,1 Milliarden im Mittelwert. Eine Wertverminderung kann beispielsweise wirksam werden bei Handänderungen oder Wertberichtigungen durch die Banken.
«Vernichtung von Volksvermögen»
Die Wertminderung sei « die grösste Vernichtung von Volksvermögen seit Gründung der Schweizerischen Eidgenossenschaft » , meinte Stiftungspräsident Jacob Zgraggen gestern bei der Vorstellung der Studie: «Der Schaden entspricht den Baukosten der Neat. » Die Stiftung beziffert die Steuerausfälle für den Kanton über die Studie hinaus auf über 100 Millionen Franken jährlich. Die Studie ging vom vorhandenen Grundlärm aus und ermittelte dann den absoluten und relativen Lärmzuwachs nach Einführung des neuen Flugregimes. Ausgehend vom Mittelwert der Immobilien in jeder einzelnen Gemeinde, wurde der Mittelwert der Wertverluste im neu beschallten Gemeindegebiet errechnet. Eine Einschränkung machte Studienleiter Hanspeter Woodtli gestern freilich selber:« Wir sind uns bewusst, dass die für die Studie verwendete Methode sehr grob ist » , sagte er an der Pressekonferenz.
Subjektives Lärmempfinden
Konkret ermittelte das Planungsbürodie Flächen an Wohn- und Mischzonen in den betroffenen Gemeinden und rechnete von hier aus auf Grund der jeweils geltenden Baumassenziffern, der Bodenpreise und der Baukosten den theoretischen Wert der Immobilien hoch. Sie kam so auf den Gesamtwert von 140 Milliarden Franken für die 38 Gemeinden. Man habe bei einer Gegenkontrolle in zwei Gemeindengesehen, dass der theoretisch errechnete Wert dem effektiven Wert der realen Überbauungen in genügender Genauigkeit entspreche, wurde gesagt. Bei der Berechnung der Wertverluste geht die Studie vom subjektiven Lärmempfinden aus. Massgebend ist nicht der Grenzwert von 55 Dezibel, bei dem gemäss Lärmschutzverordnung ein erhöhtes Lärmschutzbedürfnis auftritt, sondern eine durchschnittliche Belastung von50 Dezibel. Erfasst wurden zudem auch Gebiete, die nicht auf den Durchschnitt von 50 Dezibel kommen, sondern nur zu gewissen Tageszeiten zusätzlichen Lärmertragen müssen. Auch solche Lärmimmissionen könnten wertvermindernd sein, heisst es in der Studie. Die Wertminderung wird von der Studie für die Gebiete mit einem Durchschnittswert von über 50 Dezibel auf 10 bis30 Prozent geschätzt, für jene unter 50Dezibel auf 5 bis 17,5 Prozent. Auch dies seien «grobe Schätzungen» , meinte Woodtli. Gestützt werden sie durch eine frühere Studie der Strittmatter Partner AG, Aussagen von Immobilienhändlern und einzelne Verkäufe sowie durch Neubewertungen durch die Banken, schliesslich durch eine neue Studie des Hauseigentümerverbandes für die Gemeinde Zumikon. Der Wertverlust für die 38 Gemeinden liegt gemäss Studie «mit hoher Wahrscheinlichkeit, d. h. 68 Prozent », innerhalb des Bandes von 11,8 bis 18,4 Milliarden Franken. Erhöhe man die Wahrscheinlichkeit auf 95 Prozent, liege der Wertverlust immer noch zwischen 8,5 und 21,7 Milliarden Franken.
Gegen Südanflüge
Angesichts der Wertverluste spricht sich die Studie deutlich gegen Südanflüge aus. Unter Berufung auf das Umweltschutzgesetz widerspricht sie auch Forderungen nach einer «Demokratisierung» des Fluglärms. Im Mittelpunkt der gesetzgeberischen Bemühungen sei bisher immer die Konzentration des Lärms gestanden. Stiftungspräsident Zgraggen verlangte, die Wertverluste dürften nicht länger ein Tabuthema sein. Die Verursacher stünden vor der Wahl, «den Schaden voll zu ersetzen oder Alternativen zu finden, die den Schaden im Interesse des Flughafens und der Bevölkerung drastisch verkleinern». Volkswirtschaftliche Überlegungen legten es nahe, Flugrouten über wenig besiedeltem Gebiet festzulegen. Damit könne der Schaden auch bei voller Entschädigung reduziert werden. Die Stiftung will weitere Auswirkungen des Fluglärms untersuchen lassen. Zgraggen versprach Studien über die psychologischen, physiologischen und sozialen Auswirkungen des Fluglärms.
Tages-Anzeiger, 21.10.2009, Seite 15