Der Flughafen Zürich muss seine Kapazität reduzieren - die Verspätungen nehmen noch mehr zu
Francesco Benini
Nach einem Fastzusammenstoss über dem Flughafen Zürich haben die Behörden eine Reduktion der Flugbewegungen angeordnet. Die Zahl der «Near Misses» über der Schweiz steigt. (NZZ, 15.2.04)
Im August 2003 ist es über dem Flughafen Zürich zu einem Fastzusammenstoss zweier Flugzeuge gekommen. Dies hat auf Anfrage Andrea Muggli bestätigt. Er ist Beauftragter für die Sicherheit der Zivilluftfahrt im Generalsekretariat des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Nach einer Zwischenauswertung des Vorfalls hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) das Flugsicherungsunternehmen Skyguide aufgefordert, die Kapazität auf dem Flughafen Zürich zu reduzieren. Wie Skyguide-Pressesprecher Patrick Herr auf Anfrage erklärte, gilt die Beschränkung seit dem 12. Dezember 2003.
Drastische Massnahme
Da der Untersuchungsbericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU) noch nicht abgeschlossen ist, sind keine Details über den Beinahezusammenstoss bekannt. Vom BFU war weder zu erfahren, an welchem genauen Datum sich der sogenannte Near Miss ereignete, noch welche Fluggesellschaften involviert waren und wie nahe sich die Flugzeuge kamen. Fest steht jedoch, dass der Vorfall mit dem Gebrauch der nach Norden ausgerichteten Pisten 14 und 16 in Zusammenhang stand: Eine Maschine startete auf der Piste 16 in nördlicher Richtung und flog dann wie vorgesehen eine Kurve. Ein anderes Flugzeug, das auf Piste 14 hätte landen sollen, musste durchstarten, flog ebenfalls eine Kurve - worauf es zur gefährlichen Annäherung kam.
Die vom BAZL erlassene Kapazitätsbeschränkung ist massiv: Beim parallelen Gebrauch der Piste 16 für Starts und der Piste 14 für Landungen sind nur noch 23 bis 28 statt wie bisher 36 bis 40 Landungen pro Stunde erlaubt; die Zahl der Starts wurde von 44 auf 30 pro Stunde reduziert. Mit dieser Staffelung soll ausgeschlossen werden, dass es nach einem Durchstart über der Piste 14 zu einer Katastrophe kommt. Das Flugregime mit Starts auf Piste 16 und Landungen auf Piste 14 wird nach Angaben von Skyguide-Sprecher Patrick Herr vor allem während der Verkehrsspitze morgens zwischen 10 und 12 Uhr angewandt.
Bei der Fluggesellschaft Swiss ist die Kapazitätseinschränkung mit Ernüchterung zur Kenntnis genommen worden. «Dies ist ein weiteres Hindernis für unsere Pünktlichkeit», sagt Swiss- Sprecher Jean-Claude Donzel auf Anfrage. Es sei Besorgnis erregend, dass die Swiss immer mehr Restriktionen unterliege. Die Fluggesellschaft hatte schon vor der neuen Beschränkung mit viel zu häufigen Verspätungen zu kämpfen. In einer Anfang Februar veröffentlichen Rangliste der Association of European Airlines belegt die Swiss bezüglich Pünktlichkeit nur den 21. Platz unter 30 Fluggesellschaften.
Noch schlimmer sieht es für den Flughafen Zürich aus, der im vergangenen Jahr der europäische Flughafen mit den meisten Verspätungen war. Unique-Sprecher Andreas Siegenthaler weist darauf hin, dass unter anderem die deutsche Flugverordnung negative Auswirkungen auf die Pünktlichkeit habe; die im Dezember angeordnete Kapazitätsbeschränkung führe zu weiteren Verspätungen.
Der Fastzusammenstoss über dem Flughafen war im vergangenen Jahr kein Einzelfall. Das Büro für Flugunfalluntersuchungen registrierte laut gut unterrichteten Quellen 19 Near Misses über schweizerischem Territorium. Diese Zahl ist noch nicht definitiv gesichert; die detaillierte Statistik liegt in wenigen Wochen vor. Fest steht auf alle Fälle, dass es mehr Beinahezusammenstösse gab als im Jahr 2002, als 15 Near Misses gezählt wurden. Der Delegierte für die Sicherheit der Zivilluftfahrt, Markus Mohler, spricht in diesem Zusammenhang von einer «Enttäuschung». 19 Beinahezusammenstösse seien eindeutig zu viel.
Besserung steht noch aus
In den Jahren 1994 bis 1996 gab es jeweils nur 2 Near Misses; damals war die Erfassung der Vorfälle allerdings noch weniger präzise als heute. Unbestritten ist aber, dass das Sicherheitsmanagement der Zivilluftfahrt in der Schweiz in den neunziger Jahren schlechter wurde. Im Juni 2003 konstatierte ein niederländisches Institut in einem Bericht, den Bundesrat Moritz Leuenberger nach einer Serie von Flugunfällen in Auftrag gegeben hatte, bedenkliche Missstände bei den für die Flugsicherheit zuständigen Institutionen. Das Departement Leuenberger erliess daraufhin einen Aktionsplan zur Verbesserung der Sicherheit in der Zivilluftfahrt.
Die im Plan aufgelisteten Massnahmen sind noch lange nicht umgesetzt. Eine Subkommission des Ständerats ist am Freitag in einer Zwischenbeurteilung zum Schluss gekommen, dass «das Management des Sicherheits-Systems der schweizerischen Luftfahrt nach wie vor als nicht hinreichend stabil» erachtet werden müsse. Die ungenügenden qualitativen und quantitativen Kapazitäten der Flugsicherung Skyguide seien ein grosses Problem. Die vom Urner Ständerat Hansruedi Stadler präsidierte Subkommission weist mit Nachdruck darauf hin, dass für die Umsetzung des Aktionsplans zusätzliche finanzielle Mittel nötig seien. Laut Bundesrat Leuenbergers Pressesprecher Hugo Schittenhelm wird derzeit ein Nachtragskredit ausgearbeitet, der sich auf einen «tiefen zweistelligen Millionenbetrag» belaufe.