Conrad Weinmann, Zürich
Gemäss Andreas Schürer wird bei Flughafendiskussionen der Fluglärm zu sehr und die Wirtschaft zu wenig gewichtet. Kritisiert wird besonders der Zürcher Fluglärm-Index, weil er Lärmereignisse nach 22 Uhr zu stark berücksichtige – man nehme an, dass ab 22 Uhr alle Anwohner schliefen. Zu Recht erhalten jedoch Lärmereignisse zwischen 22 und 6 Uhr weltweit einen Zuschlag von 10 Dezibel, aber auch solche von 18 bis 22 Uhr bereits einen solchen von 5 Dezibel. Die hohe Lärmempfindlichkeit während der Abendund Nachtstunden beruht eben nicht nur auf der Schlafstörung. Kinder schlafen jedoch bereits um 22 Uhr und viele alte Leute ebenfalls. Dies sind die lärmempfindlichsten Bevölkerungsgruppen. Die akustische Aufwachschwelle sinkt im Lauf des Lebens mit jedem Jahrzehnt massiv, obwohl das Gehör abnimmt. Das Ohr schläft nie. Es braucht zur Schlafstörung kein Aufwachen. Schon ab Lärmspitzen von 50 Dezibel fallen wir aus dem Traum- und dem Tiefschlaf, ohne die eine seelische und eine körperliche Erholung nicht möglich sind. Die vielfach bewiesenen gesundheitlichen Folgen des Fluglärms, etwa Herzinfarkt und Hirnschlag, kommen überwiegend durch den Nachtfluglärm zustande.
Die Studie der ZKB von 2005 zum Einfluss des Fluglärms auf die Immobilienpreise hält fest, dass jedes zusätzliche Dezibel oberhalb eines Durchschnittspegels von 50 Dezibel bei Eigentumswohnungen einen Wertverlust von 1,2 Prozent zur Folge hat. Und weiter: «Besonders empfindlich reagiert der Markt auf Immissionen von 21 bis 24 Uhr.» Regierung und Flughafen tun gut daran, das legitime Ruhebedürfnis der Bevölkerung nicht zu unterschätzen – auch im Interesse eines prosperierenden und breit akzeptierten Flughafens.
Hans Göschke, Binningen
Lärm macht krank, dieser Ausspruch ist nicht neu und wissenschaftlich-medizinisch vielfach belegt. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Neben der Lärmwerden alle weiteren Umweltbelastungen der rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise geopfert oder sogar negiert. Die Flugmaschinen fliegen meines Wissens nicht mit Zuckerwasser. Wenn man aber weiss, dass eine Stunde Anflug einer Belastung von 800 Lastwagen pro Stunde an einer Hauptverkehrsachse entsprechen, so muss man sich schon Gedanken machen. Auch wenn man wirtschaftsfreundlich eingestellt ist, wird der sogenannte Wirtschaftsmotor «Kloten», der gerade einmal vier Prozent der Wertschöpfung des Kantons Zürich ausmacht, derzeit immer wieder überschätzt, vor allem, wenn dafür Tausende Bewohner rund um Zürich nervös und krank gemacht werden. Es darf nicht sein, dass man der «schweizerischen» Lufthansa und allen anderen Fluggesellschaften auf Kosten der Zürcher Bevölkerung rund um den Flughafen unkontrolliert noch mehr Tür und Tor öffnet. Dem Argument, dass die Flughauptund Nebengeschäfte moderat wachsen können müssen, möchte man ebenfalls «moderat» entgegnen: «So viel wie notwendig und so wenig wie möglich.»
Roger Berclaz, Zürich
Andreas Schürers Artikel zum Fluglärmstreit dokumentiert beispielhaft die Auswüchse eines hemmungslosen Kapitalismus mit dem diesen kennzeichnenden Wirtschaftswachstums-Wahn. Warum eigentlich muss der Zürcher Flughafen ständig wachsen? Weshalb kann man sich mit dem gegenwärtig Erreichten nicht zufriedengeben? Der Flughafen schafft laut der vom Autor zitierten Studie 28 000 Arbeitsplätze, generiert pro Jahr eine Wertschöpfung von 5 Milliarden Franken – ist das nicht genug?
Klaus Kellermann, Männedorf
Die in der NZZ erschienene Kritik am ZFI geht an der Ursache des schweren Lärmkonflikts um den Flughafen Zürich meines Erachtens deutlich vorbei. Es macht nicht den entscheidenden Unterschied, ob man nun den ZFI-Wert oder die Anzahl Personen über dem Immissionsgrenzwert als prioritären Bewertungsmassstab für die Lärmbelastung der Anwohner nimmt, das Problem ist, dass beide Instrumente von der Politik weitgehend ignoriert werden. Kein Wunder, findet man so weder schweizintern noch mit Deutschland eine sinnvolle Regelung. Zu Recht weist Andreas Schürer in seinem Artikel darauf hin, dass eine Kanalisierung von Flugbewegungen raumplanerisch die bessere Lösung ist als deren Verteilung. Ebenso korrekt ist, dass emotionale Schlagworte wie «Gerechtigkeit» oder «Goldküste» (welche nicht die Hauptleidtragende der Südanflüge ist) eine sachliche Diskussion verhindern. Nicht korrekt ist, dass es seit 2003 keine Alternativen zu den allmorgendlichen Südanflügen mehr gibt. Man könnte – nebst Ostanflügen oder «Gekröpften» – den Flughafen erwiesenermassen auch von Westen auf Piste 10 anfliegen, konform mit den Vorgaben der internationalen Zivilluftfahrtbehörde. Das wäre eine Lösung, die sowohl bezüglich ZFI als auch hinsichtlich Immissionsgrenzwerten und sogar Flughafenkapazität wohl besser abschneiden würde als der heutige Betrieb – und man kehrte damit auch noch weitgehend ins Lärmkorsett vor den einseitigen deutschen Schikanen zurück.
Thomas Stäubli, Lufingen
Es ist richtig, dass Andreas Schürer in seinem Artikel «Zürcher Sonderlösung heizt Fluglärmstreit an» (NZZ 28. 11. 17) die Abschaffung des Zürcher FluglärmIndexes (ZFI) fordert. Die Stiftung gegen Fluglärm fordert dies schon seit Jahren, da er seine Untauglichkeit bewiesen hat. Schlimm ist jedoch, dass vor zehn Jahren die Zürcher SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer diesen Index als Gegenprojekt gegen die Volksinitiative «Für eine realistische Flughafenpolitik» selbst einführte. Noch schlimmer ist es, dass seither weder der Flughafen Zürich noch die dort federführende deutsche Lufthansa mit ihren Schweizer Tochtergesellschaften Anstalten machten, diesem Index Folge zu leisten. Er wird seit Jahren überschritten.
Andreas Schürer und die NZZ unterstützen die Expansionspolitik des Zürcher Flughafens, ohne auf die Interessen von rund 300 000 Menschen rund um den Flughafen auch nur im Geringsten Rücksicht zu nehmen. Lärmschäden, Gesundheitsschäden und Umweltschäden, die wissenschaftlich längst bewiesen sind, werden im Artikel ebenso wenig erwähnt wie das totale Versagen der Zürcher und Berner Politiker, sich für ihre eigene Bevölkerung einund durchzusetzen. Im Gegenteil: Die Schweizer Politiker haben sich zu Wasserträgern grüner Stuttgarter und schwarzer Berliner Politiker machen lassen, deren Bevölkerung im Süden Baden-Württembergs mit geringer Lärmbelastung über alle Massen geschont wird.
Es ist paradox: Der Zürcher Landesflughafen wird zu über 70 Prozent von den Flugzeugen des deutschen Lufthansa-Konzerns benutzt, rund ein Viertel der Passagiere und des Cargos, die in Kloten einund umgeladen werden, kommen aus Deutschland. Aber die Umweltlasten werden zu fast 100 Prozent von der Schweiz, vor allem von der Zürcher Bevölkerung, getragen.
Adolf Spörri, Präsident Stiftung gegen Fluglärm, Zürich
NZZ, 01.12.2017, Leserbriefe zum Artikel Zürcher Sonderlösung heizt den Fluglärmstreit unnötig an (NZZ, 28.11.2017)