Inakzeptable Irrwege (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Flughafenpolitik

Dass der Bundesrat nur schon in Betracht zieht, alle anderen Kantone über Lebensqualität und raumplanerische Konsequenzen für den Kanton Zürich entscheiden zu lassen, ist bedenklich.

Bundesbern hat die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Immer mehr Kompetenzen sollen von den Kantonen zum Bund übergehen und zentral geregelt werden. So verspürt nun auch das Departement Leuthard entsprechenden Handlungsbedarf beim Luftverkehr. Die Fragen der Flughafenpolitik sollen künftig vom eidgenössischen Parlament mit referendumsfähigen Beschlüssen entschieden werden. Die Landesflughäfen Genf und Basel-Mülhausen sind in internationale Vereinbarungen eingebettet, so dass die Ideen des Uvek vornehmlich den Flughafen Zürich ins Visier nehmen. Wie es herauskommt, wenn Mehrheiten im Bundesparlament über die Interessen des Wirtschaftsstandortes Zürich, des Wirtschaftszentrums der Schweiz, entscheiden, zeigt sich schmerzhaft teuer beim Finanzausgleich. In der Flughafenpolitik geht es aber nicht nur um Geld, sondern auch um Lärm und um Raumplanung. Offenbar dürfen auch in diesen Themen, die ausschliesslich in die Kompetenz der Kantone fallen, sowohl der Bund wie alle anderen Kantone in Zürich mitmischen.

Die CVP-Allianz ist in dieser Frage vielleicht keine zufällige. Der Walliser Staatsrat und Präsident der Kantonalen Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz, Jean-Michel Cina, hat die Vorschläge aus dem Uvek jedenfalls über den grünen Klee gelobt und sich sogar zur theoretischen Behauptung verstiegen, die Fragen um den Betrieb von Landesflughäfen wie demjenigen von Zürich könnten auf eidgenössischer Ebene im Parlament weit weniger emotional erläutert und entschieden werden als im vom Lärm betroffenen Kanton Zürich selber. Weit gefehlt. Die Erinnerungen an die Reaktionen der Nachbarkantone auf die Neuausrichtung des Flughafenregimes nach der einseitigen deutschen Verordnung zum Flugverkehr sprechen Bände.

Die Quadratur des Zirkels erreichte nach den zürcherischen Regionen gleich die Nachbarkantone und sogar Kantone, die weit weg liegen. Allesamt wehrten sich diese mit Nachdruck gegen Lärmbelastungen, die mit dem neuen Flugregime auf sie zukommen könnten. Wohlgemerkt, über 90 Prozent des Fluglärms fallen im Kanton Zürich an. Die Flugzeuge erreichen ab Start schnell Höhen, um in den Nachbarkantonen bei guter Sicht nur noch gesehen, kaum aber gehört werden zu können – die Rede ist vom «gesehenen Lärm».

Thurgau, Appenzell, selbst St. Gallen trauten ihren Ohren kaum und wehrten sich gegen vermutete Mehrbelastungen im Osten. Nicht minder heftig die Proteste aus dem Aargauer Rheinabschnitt, wo immerhin Lärm – wenn auch deutlich unter den Grenzwerten – zu hören ist und die Kantonsregierung denn auch flugs ein Einvernehmen über die Landesgrenzen hinaus, mit den süddeutschen Flughafengegnern, zu finden wusste.

Die mit Fakten und Daten von den Zürcher Flughafen-Komitees und von der Regierung ergriffene Informationsarbeit gegenüber Behörden, Wirtschaftsverbänden und Medien in der Nachbarschaft fruchtete wenig. Eine positive Haltung zum Flughafen, die über die Lippenbekenntnisse hinausging, wollte und konnte sich offenbar keine politische Instanz der freundnachbarlichen Entscheidungsträger leisten. Es würde wundern, sollten sich eidgenössische Parlamentarier aus den vielen Nachbarkantonen von ihren Abwehrreflexen befreien können.

Sollte das eidgenössische Parlament künftig zu entscheiden haben, dürfen wir schon heute die Wette darauf abschliessen, dass der freundeidgenössische Kompromiss bei der gleichmässigen Lärmverteilung für alle Nachbarkantone enden dürfte. So wären wir dann bei jener Lösung angelangt, die auf die Interessen des Kantons Zürich keine Rücksicht mehr nehmen würde. Schlimmer noch: Es wäre jener Ansatz, der möglichst viele anstatt möglichst wenige Menschen mit Lärm belasten würde. Das kümmert die Nachbarn kaum, die ja Lärm höchstens sehen, selten aber hören können. Im Kanton Zürich, der über 90 Prozent der Immissionen auf sich nimmt, wäre aber die Katastrophe in der Raumplanung und mehr noch in der Umweltqualität für Zehntausende von Menschen vorprogrammiert. Lärmverteilung ist die schlechteste aller möglichen Lösungen im Flughafenbetrieb in einer dichtbesiedelten Agglomeration. Dazu braucht es weder eidgenössische Beschlüsse noch nationale Volksabstimmungen, die über das geplante Referendum möglich werden. Diese Erkenntnis ist in den Fachkreisen, auch im Uvek in Bern, längst bekannt. Dass aber der Bundesrat nur schon in Betracht zieht, alle anderen Kantone über Lebensqualität und raumplanerische Konsequenzen für den Kanton Zürich entscheiden zu lassen, ist staatspolitisch bedenklich und schlicht inakzeptabel.

Der Kanton Zürich zahlt bereits mehr als genug für die zentralen Leistungen als Wirtschaftszentrum – Flughafenbetrieb und Nutzen daraus eingeschlossen. Sollte der Bund meinen, dass jetzt alle über den Zürcher Flughafenbetrieb als volkswirtschaftlichen Schlüsselfaktor entscheiden dürften, dann würde der Finanzausgleich aus Zürich zu den Nachbarn obsolet. Vielmehr müssten die Nachbarn die Kosten übernehmen, die Zürich aufgrund der übermässigen Lärmbelastung und der unausweichlichen Entschädigungszahlungen an Grundeigentümer und Lärmbetroffene entstehen. Denn wer befiehlt, soll auch die Zeche dafür bezahlen.

Robert E. Gubler ist Ehrenpräsident des Kantonalen Gewerbeverbands (KGV) Zürich und Vorsitzender des Forums Zürich, Plattform der Zürcher Wirtschaftsverbände.

NZZ, 07.11.2015