Regierungsrätin Carmen Walker Späh sieht im Ruf des Bundes nach mehr Einfluss auf die Landesflughäfen ein unbegründetes Misstrauensvotum. Dem Zürchervolk will sie zu Ausbauten das letzte Wort geben.
Frau Walker Späh, Sie wehren sich gegen die Pläne des Bundes, mehr Einfluss auf die Landesflughäfen zu nehmen. Der Bund muss doch sicherstellen, dass sich diese national zentralen Infrastrukturen nachfragegerecht entwickeln können.
Die nötigen Instrumente dazu hat er schon. Gebrauch gemacht davon hat der Bundesrat erst kürzlich: Er genehmigte den kantonalen Richtplan nicht und bestand auf dem Eintrag der Pistenverlängerungen. Die Kompetenzen noch mehr nach Bern zu verlagern, kommt für die Regierung nicht infrage. Es gibt keinen Anlass für ein solches Misstrauensvotum gegenüber dem Kanton Zürich.
Die Debatte in Zürich steckt doch aber in einer Sackgasse.
Das sehe ich anders. Die Zürcher Bevölkerung hat sich mehrfach zum Flughafen bekannt, auch in wichtigen Abstimmungen. Zuletzt hat sie sich gegen ein Pistenausbaumoratorium ausgesprochen. Der Flughafen Zürich ist zudem ein erfolgreiches Unternehmen, auch die Swiss ist in einem ausgesprochen kompetitiven Umfeld gut unterwegs und kann mehrere Milliarden Franken in die Flotte investieren. Im Kanton Zürich kann flughafenpolitisch also nicht alles im Argen liegen.
Es zeichnen sich aber Kapazitätsprobleme ab, in Spitzenzeiten führen sie heute schon zu Verspätungen. Bundesrätin Doris Leuthard will nun die langfristige Planung stärker zentralisieren: über Leistungsziele in den Sachplänen. Ist das ein akzeptabler Weg?
Heute gibt es am Flughafen Zürich knapp 18 Prozent weniger Flugbewegungen als im Jahr 2000. Und die vom Bund vor einigen Jahren in Auftrag gegebenen Prognosen zum Bewegungswachstum sind tiefer als erwartet. Selbstverständlich darf der Bund Ziele vorgeben. Als Zürcher Regierungsrätin ist für mich aber zentral, dass die Diskussion über die Zukunft des Flughafens geordnet und transparent geführt wird. Wenn einzelne Bundesstellen unvermittelt Ideen wie den Südstart geradeaus in die Welt setzen und Sicherheit und Kapazität vermischen, ist das einer strukturierten Diskussion nicht förderlich. Im Gegenteil: Dies führt zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung und heizt das Klima unnötig an.
Anzunehmen ist, dass der Bund Südstarts geradeaus über Mittag in den Sachplan zum Flughafen Zürich aufnehmen will. Was halten Sie davon?
Für einen solchen Entscheid braucht es saubere Entscheidungsgrundlagen, die bis heute nicht vorliegen. Wann wird geflogen, auf welcher Route, wie oft, was sind Auswirkungen und Alternativen? Der neu zusammengesetzte Regierungsrat hat grundsätzlich nichts an seiner Flughafenpolitik geändert. Er ist sich der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Flughafens bewusst, berücksichtigt aber auch den Lärmschutz. Ziel ist es, möglichst wenig Menschen mit Fluglärm zu belasten. Dicht besiedelte Gebiete zusätzlich mit Fluglärm zu belasten, ist weder im Sinne der Regierung noch des Flughafens. Dieser ist auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen.
Wenn Sie nicht wollen, dass sich Bern stärker einmischt, müssen Sie selber Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen.
Wir erwarten von den zuständigen Akteuren fundierte Grundlagen und konkrete Vorschläge, so dass eine seriöse Diskussion geführt werden kann. Auch hier gilt: Die Bevölkerung soll sich zu den Vorschlägen artikulieren können. Wir sind in einem demokratischen Rechtsstaat. Nur weil sich die Bevölkerung für ihre legitimen Interessen einsetzt, darf man Aufgaben noch lange nicht zentralisieren.
Jean-Michel Cina, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen, verlangt den Einbezug aller Kantone in Fragen zu den Landesflughäfen. Diese argumentierten sachlich, nicht emotional, meint er. Wie kommt das bei Ihnen an?
Es ist bemerkenswert, wenn sich ein Interessenvertreter der Kantone so äussert. Offenbar kennt er die spezielle Belastung nicht, die ein Standortkanton eines Landesflughafens zu tragen hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Flughafen nicht gegen eine Mehrheit der Bevölkerung des Standortkantons betrieben werden kann.
Positiv steht der Regierungsrat der Initiative «Pistenausbauten vors Volk» gegenüber. Neu sollen auch ablehnende Entscheide des Kantonsrats zu Pistenverlängerungen referendumsfähig sein. Referenden sind doch aber auf zustimmende Beschlüsse beschränkt.
Zum Flughafen haben wir bereits heute eine Spezialgesetzgebung, das Flughafengesetz. In diesem ist die demokratische Mitwirkung der Bevölkerung heute nicht ausgewogen geregelt. Bei Ausbauten hat das Volk das letzte Wort, beim Verzicht auf ein solches Vorhaben liegt der Schlussentscheid beim Kantonsrat. Das ist eine demokratische Lücke, da beide Fragen gleich wichtig sind.
Kritiker sprechen von einer «Lex Flughafen». Warum soll der neu definierte Referendums-Begriff nicht auch auf weitere Themen ausgedehnt werden?
Im vorliegenden Fall erscheint es der Regierung gerechtfertigt, das Volk auch bei einem negativen Kantonsratsentscheid abstimmen zu lassen.
Der Osten und der Norden des Kantons wären von Ausbauten der Pisten 28 und 32 besonders betroffen. Diese Gegenden sehen in der Initiative keine Ausdehnung der Mitspracherechte – sie fürchten, von der Mehrheit überstimmt zu werden.
Es geht um die Schliessung einer demokratischen Lücke. Wir können im Widerstand gegen die Pläne des Bundes zur vermehrten Einflussnahme nicht sagen, das Zürchervolk müsse den Flughafen tragen, ihm dann aber gleichzeitig Mitspracherechte in zentralen Punkten verweigern.
Die Grünen werfen der Regierung vor, sie betreibe eine Flughafenstrategie nach dem Motto «Teile und herrsche». Die verschiedenen Regionen des Kantons würden gegeneinander ausgespielt. Was entgegnen Sie?
Das Volk herrscht bei uns, und das ist auch richtig so. Und genau dieses Volk hat sich klar gegen die in der Fairflug-Initiative postulierte Verteilung des Fluglärms ausgesprochen. Man sollte dieses Verdikt des Volkes nicht als gegenseitiges Ausspielen von Regionen interpretieren. Wir sind bestrebt, alle Regionen an einen Tisch zu holen, was wir im Übrigen gerade diese Woche getan haben, als ein Informations- und Meinungsaustausch zum Flughafen Kloten mit Gemeindevertretern stattgefunden hat.
Sind denn Pistenverlängerungen für Sie bald schon nötig – oder nur wenn der Staatsvertrag mit Deutschland doch noch umgesetzt werden sollte?
Die Regierung kann über die Notwendigkeit von allfälligen Pistenverlängerungen keinen seriösen Entscheid fällen, solange die Entscheidungsgrundlagen nicht auf dem Tisch liegen.
Der Regierungsrat unterstützt die Flughafen-Initiative
asü. Die Zürcher Regierung äussert sich kritisch zur luftfahrtpolitischen Strategie des Bundes. Im aktualisierten Bericht über die Luftfahrtpolitik strebt der Bund vermehrten Einfluss auf die Landesflughäfen an (NZZ 8. 10. 15). Vorgeschlagen wird, dass der Bundesrat in der Sachplanung Leistungsziele vorgeben kann und die Bundesversammlung die Kompetenz erhält, Grundsatzentscheide zu den Landesflughäfen zu fällen. Der Zürcher Regierungsrat ist mit dieser Stossrichtung nicht einverstanden, wie er am Dienstag mitgeteilt hat. Nicht hinnehmbar sei auch, dass zusätzliche Sicherheitskosten auf die Standortkantone abgewälzt werden sollen.
Positiv steht der Regierungsrat dagegen der kantonalen Volksinitiative «Pistenausbauten vors Volk» des Komitees Pro Flughafen gegenüber. Er befürwortet, dass in jedem Fall das Volk das letzte Wort hat, wenn die Flughafen Zürich AG das Pistensystem ausbauen will. In der Initiative wird verlangt, dass nicht nur zustimmende, sondern auch ablehnende Entscheide des Kantonsrats zu Ausbauvorhaben am Flughafen Zürich referendumsfähig sind. Für die Regierung ist das sinnvoll und verhältnismässig.
Mit der Initiative zielt das Komitee konkret auf Verlängerungen der Pisten 28 und 32, die der Kantonsrat noch in der Zusammensetzung der letzten Legislatur ablehnte. Um Kapazitätsverluste zu vermeiden, wäre der Ausbau aber nötig, sollte der Staatsvertrag mit Deutschland doch noch umgesetzt werden oder würde das Ostkonzept mit Landungen aus dem Osten aus anderen Gründen verstärkt angewendet.
Für das Komitee Weltoffenes Zürich öffnet die Position der Regierung den Weg zur Beseitigung eines Systemfehlers im Flughafengesetz. Bei dessen Schaffung im Zusammenhang mit der Verselbständigung des Flughafens sei übersehen worden, dass die Bevölkerung ein Ja des Kantonsrates zwar umstossen könne, zu einem Nein aber nichts zu sagen habe. Christian Bretscher, Geschäftsführer des Komitees Pro Flughafen, bezeichnet den Entscheid des Regierungsrats als Etappensieg. Bisher sei jeder Entwicklungsschritt des Flughafens mit der Zustimmung der Bevölkerung erfolgt. Das solle so bleiben.
Für die Grünen dagegen will der Regierungsrat seine Strategie «Teile und herrsche» nun im Flughafengesetz verankern. Heuchlerisch werde auf die Breitenwirkung von allfälligen Pistenveränderungen verwiesen. Da aber nur eine Minderheit übermässig belastet werde, könnten die Betroffenen gegeneinander ausgespielt werden. Die GLP kritisiert, dass das Referendumsrecht als Vetorecht des Volkes arg strapaziert werde. Die Regierung unterstütze Partikularinteressen, was ihrer Glaubwürdigkeit schade. Der Verein Bürgerprotest Fluglärm Ost bezeichnet die Haltung der Regierung als Günstlingspolitik.
Kommentar VFSN: Diejenigen Parteien, die die Initiative als \""heuchlerisch\"" abtun und befürchten, dass eine Minderheit noch mehr Fluglärm ausgesetzt werde, ist es offensichtlich egal, dass durch die Alternative zur verlängerten Piste, den Südstarts geradeaus, eine Mehrheit extrem viel mehr Fluglärm ausgesetzt wird. Wir würden aus diesen Kreisen gerne einmal einen ebenso vehementen Protest gegen die kapazitätssteigernden Südstarts geradeaus hören!
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