137 Gemeinden haben nach einer fairen Verteilung der Belastung verlangt – und jetzt reden wieder alle vom Fluglärm. Wird in Zürich die Sicherheit vernachlässigt?
Nein, der Flughafen Zürich ist sicher. Sonst müssten wir sofort eingreifen. Was aber stimmt: Die Sicherheitsmarge könnte grösser sein. Zudem wäre es möglich, den Betrieb einfacher abzuwickeln. An einem Tag mit Bise funktionieren wir zum Beispiel nicht nach aviatischen, sondern nach politischen Prinzipien. Aus aviatischer Sicht müsste man über Süden geradeaus starten und würde so bedeutend weniger Verspätungen anhäufen. Heute müssen wir bei diesem Wetter ab der Piste 10 gegen Osten starten, was viele Pistenkreuzungen zur Folge hat. Die Kapazität ist entsprechend tief.
Welche Verbesserungen sind aus Sicht der Flugsicherung Skyguide besonders dringlich?
Die Lösung des erwähnten Problems ist dringlich. Wir fordern, dass an Tagen mit Bise auf einen Betrieb mit Südstarts geradeaus umgestellt werden kann. Das hätte einen grossen Effekt auf die Sicherheitsmarge und die operative Kapazität. Wenn wir bis am Mittag Verspätungen ansammeln, nehmen wir diese bis am späten Abend mit – und die letzten Flüge kommen zu spät rein. Langfristig muss der Flughafen insgesamt mehr nach aviatischen Prinzipien organisiert werden. Flughafen, Airlines, Bevölkerung und Politik müssen das gemeinsam angehen. Unsere Rolle ist die des Experten. Wir legen den Finger darauf, dass Fragen der Sicherheit konsequent umgesetzt werden.
Bezüglich Südstarts geradeaus bei Bise wäre der Flughafen am Ball – im Sachplan ist diese Variante als Möglichkeit enthalten, der Flughafen könnte sie beantragen. Ist er zu zaghaft?
Man darf natürlich die Kräfte nicht unterschätzen, die in dieser Frage verschiedenste Beteiligte ausüben. Letztlich müssen wir als Gesellschaft einen Konsens finden, wie sich der Flughafen Zürich entwickeln soll. Wir als Flugsicherung müssen aufzeigen, welche Kapazität und Entwicklung je nach Betriebsvarianten verantwortbar ist.
Politisch ist das Dossier blockiert. Strittige Themen wie Südstarts geradeaus oder Pistenverlängerungen sind hinausgeschoben worden in der Meinung, der Staatsvertrag mit Deutschland sei bald unter Dach und Fach. Der liegt aber auf Eis. Muss die Schweiz nun vorwärtsmachen und einen entsprechenden Sachplan noch dieses Jahr auflegen?
Aus unserer Sicht ist prioritär, dass wir bei Bise anders fliegen können als heute; diese Option ist im Sachplan bereits enthalten, der Ball liegt wie erwähnt beim Flughafen. Langfristig ist zu überlegen, wie viel Wachstum am Flughafen Zürich über die nächsten 10 bis 20 Jahre möglich sein soll. Wir sind der Meinung, dass der Südstart geradeaus in der Spitze am Mittag ermöglicht werden soll – in dieser Zeit bringt er für einen sicheren und robusten Betrieb besonders viel. Man muss der Bevölkerung gegenüber ehrlich sein. Wenn der Flughafen wachsen soll, hätte er dank dieser neuen Variante die Möglichkeit dazu. Sonst ist er weitgehend blockiert, und das wäre aus meiner Sicht unverantwortlich. Die Nachfrage nach Wachstum wird nämlich voraussichtlich vorhanden sein. Diese Fragen müssen aber die Politik und die Bevölkerung entscheiden, nicht Skyguide.
Das tönt ehrenhaft – Ihnen und der Branche wird aber oft vorgeworfen, Sie wollten die Südstarts geradeaus quasi durch die Hintertüre einführen, zuerst bei Bise, dann über Mittag – und schliesslich den ganzen Tag.
Wir verwahren uns gegen diesen Vorwurf. Wir sind transparent und sagen, was nötig ist, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Es ist eine Unterstellung, wir wollten heikle Änderungen durch die Hintertüre einführen. Natürlich wäre es aviatisch gesehen sinnvoll, den Südstart den ganzen Tag über zuzulassen. Das ist aber politisch kaum möglich. Darum stehen wir hin und sagen, dass wir wichtig finden, im Sachplan zumindest die Möglichkeit für Südstarts über Mittag zu schaffen. Skyguide ist offen – zum Beispiel in diesem Interview, versteckte Salamitaktik gibt es bei uns nicht.
Kritiker sagen, das Sicherheitsargument sei vorgeschoben. Letztlich gehe es um die Erhöhung der Stundenkapazität. Mit Südstarts geradeaus muss nicht gewartet werden, bis eine Maschine von Norden her gelandet ist, weil ein Durchstart kein Kollisionsrisiko böte.
Ein Kollisionsrisiko auszuräumen, ist doch ein Fortschritt bezüglich Sicherheit. Selbstverständlich hat der Ruf nach Südstarts über Mittag auch mit der Kapazität zu tun. Im Moment wächst der Flughafen Zürich, eine gewisse Wachstumsmöglichkeit braucht es wohl auch in Zukunft, um die Bedürfnisse der Volkswirtschaft und allgemein der Passagiere abzudecken. Skyguide sagt: Wir haben eine Grenze erreicht, es kann kein Wachstum mehr geben, ohne dass etwas verändert wird. Man kann es mit einem Turm von Briketts vergleichen. Lädt man eines zu viel darauf, wird der Turm instabil. Am Flughafen Zürich muss man Briketts wegnehmen.
Der Widerstand ist gross, das Argument gegen Südstarts geradeaus liegt auf der Hand: Das am dichtesten besiedelte Gebiet im Raum Zürich würde zusätzlich belastet.
Ich verstehe die Bevölkerung, ich verstehe jeden, der in diesem Gebiet wohnt und sich über mehr Lärm beklagt. Allerdings sind es oft Leute, die auch vom Flughafen profitieren. Und wenn sie im Flugzeug sitzen, sind sie sicher froh, wenn die Flugsicherung dafür besorgt ist, dass alles sicher abläuft. Insgesamt wird aber zu viel über die Südstarts geredet. Es gibt andere Massnahmen, mit denen die Sicherheitsmarge verbessert werden kann, die auch wichtig sind.
Welche?
Zentral ist auch die Entflechtung des Ostkonzepts, das heute in der Luft gekreuzt betrieben wird. Startende und landende Flugzeuge müssen getrennt werden. Landende sollen tendenziell über den Norden auf den Ostanflug geführt werden. Die Starts sollten nach Norden erfolgen, um dann, wie bereits heute, in einer weiten Linkskurve südlich am Flughafen vorbei nach Osten zu fliegen. So ergäbe sich im Ostkonzept eine höhere Sicherheitsmarge.
Sie sprechen das Betriebsreglement 14 an, das Deutschland blockieren kann, wenn es sein Einverständnis verweigert.
Wir fokussieren uns auf Sicherheitsüberlegungen und arbeiten eng mit der deutschen Flugsicherung zusammen. Auf Fachebene sind wir uns einig, dass diese Entflechtung sinnvoll ist. Was die Politik daraus macht, muss sie entscheiden. Eines sollte dabei aber nicht vergessen gehen: Wir operieren in der Schweiz im dichtesten und komplexesten Luftraum in Europa. Er ist stark eingeschränkt durch verschiedene Rahmenbedingungen und wird sehr intensiv genutzt.
Gibt es Möglichkeiten, das Ostkonzept auf eine Weise zu entflechten, die keine Zustimmung aus Berlin benötigt?
Nein.
Ein Glaubenskrieg findet auch bezüglich der Pistenverlängerungen statt. Sind diese nur nötig, wenn das Ostkonzept zum Beispiel wegen deutscher Einschränkungen ausgedehnt werden müsste? Oder würden Pistenverlängerungen unabhängig davon die Sicherheit erhöhen?
Aus aviatischer Sicht ist eine längere Piste immer gut. Piloten, die heute die Piste 28 anfliegen, können jederzeit verlangen, der längeren Piste 34 zugewiesen zu werden – sie haben das letzte Wort. Vor allem bei nassen Verhältnissen kommt das oft vor. Für uns bedeutet das, dass wir in solchen Fällen quasi das System anhalten müssen: Der vereinzelte Anflug auf die Piste 34 muss in aufwendiger Weise in den Anflugstrom auf Piste 28 integriert werden. Das ist machbar, aber es ist eben auch ein Brikett auf dem Turm. Die Pistenverlängerungen würden uns helfen, das System besser zu bewirtschaften.
Sie plädieren also für eine rasche Umsetzung der Verlängerungen der Pisten 28 und 32?
Nicht politisch, aber aviatisch ja, es würde etwas bringen.
Dübendorfs Stadtpräsident Lothar Ziörjen und Bachenbülachs Gemeindepräsident Franz Bieger haben in der NZZ kritisiert, dass Skyguide abends oft vom Ost- auf das Südkonzept umstellt, ohne dass dies wetterbedingt nötig wäre.
Ich frage mich, wie die beiden darauf kommen. Das machen wir sicher nicht. Wir arbeiten nur nach aviatischen Kriterien: Wetter, Pistenzustand, Maschinengewicht. Klar ist, dass Wettervorhersagen manchmal unpräzise sind, zumal wir hier von komplexen Prognosen reden: Es geht um einzelne Knoten, nicht nur am Boden, sondern in allen Luftschichten. Ich lege für unsere Leute aber die Hand ins Feuer. Sie entscheiden einzig nach dem Kriterium Sicherheit.
Ein Sicherheitsrisiko sind auch Freizeitpiloten, die unerlaubt in den Zürcher Luftraum einfliegen. Was ist zu tun?
In letzter Zeit hatten wir eine Häufung solcher Fälle. Das beschäftigt uns und hat auch mit der Sicherheitsmarge zu tun. Je mehr Flieger im Luftraum sind, vor allem auch solche, die unerlaubt unterwegs sind, desto komplexer wird das System. Die General Aviation, das Bundesamt für Zivilluftfahrt, der Flughafen und wir müssen die Problematik gemeinsam angehen. Ausbildung und Information müssen verbessert werden, zudem wäre hilfreich, wenn eine Transponderpflicht für Kleinflugzeuge eingeführt würde, die den Zürcher Luftraum nutzen wollen. Und dann braucht es wohl oder übel auch gewisse Restriktionen. Das tut uns weh, denn wir wollen den kleinen Verbänden ja helfen. Es gibt aber Grenzen, gerade im Zürcher Luftraum.
Der Bundesrat will die Geschäftsfliegerei von Zürich nach Dübendorf auslagern. Was würde das sicherheitstechnisch bedeuten?
Aviatisch würde es Entlastung bringen. Eine radikale Lösung wäre falsch. Aber im Laufe der Zeit sollte die Geschäfts- und Kleinfliegerei vom Flughafen Zürich weg. Dübendorf bietet die Möglichkeit, dass man die General Aviation aus dem System in Zürich herauslösen und ihr einen sinnvollen Platz anbieten könnte. Bei sauberer Priorisierung und Koordination mit Zürich wäre das für uns operativ problemlos.
Kommentar VFSN: \""Wir verwahren uns gegen diesen Vorwurf\"". Darauf kommen wir gerne in 10 Jahren zurück. Sobald der Flughafen während 16 Stunden mehr Kapazität braucht wird das \""Sicherheitsargument\"" statt nur auf die Mittagszeit eben auf 16 Stunden ausgeweitet. Etwas anderes zu erwarten wäre nach den gemachten Erfahrungen hoffnungslos naiv! Wir brauchen uns nur an das Versprechen eines Bundesrates (der unter Eid auf die Verfassung geschworen hat) zu erinnern: Südanflüge gibt es nur vorrübergehend und ausschliesslich morgens und NUR wegen der DVO. Sonst nicht. Inwiefern diese Aussage sich mit dem heutigen Zustand deckt kann jeder selber überprüfen...
siehe auch:
Der Süden lehnt Südstarts geradeaus zur Kapazitätssteigerung ab (VFSN)