Beim Südstart geradeaus hört die Einigkeit aufSind Südstarts geradeaus zeitweise zumutbar? Ist der Süden kompromisslos? Franz Bieger, Gemeindepräsident von Bachenbülach, und Lothar Ziörjen, Stadtpräsident von Dübendorf, im Streitgespräch. Interview von Andreas Schürer
Herr Bieger, Sie vertreten Gemeinden aus dem Osten, Westen und Norden des Flughafens Zürich. Kürzlich präsentierten Sie ein Positionspapier zum Flugregime, eine sogenannte Konsenslösung. Der Streit ist aber mitnichten beigelegt.
Franz Bieger: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass eine gute Lösung gefunden wird. Hinter unserem Papier stehen zwei Leitgedanken. Zum einen sind die geltenden deutschen Sperrzeiten nicht wegzubringen. Zum anderen müssen die Interessen der Betroffenen rund um den Flughafen berücksichtigt werden, also auch jene des Südens und von Süddeutschland. In diesem Sinn ist unser Papier ein ausgewogener Kompromiss.
Dem Süden haben Sie vorgeworfen, dass er keine Kompromissbereitschaft zeige, ein Dialog sei nicht möglich. Nun sitzen Sie doch mit Lothar Ziörjen zusammen.
Bieger: Die Südgemeinden und die Stadt Zürich haben 2002 eine Kompromisslösung zu Fall gebracht, die der runde Tisch ausgehandelt hat – seither harzt es. Verlautbarungen aus dem Süden sind stets schwarz-weiss und kompromisslos gehalten.
LotharZiörjen: Das kann man im Fluglärmstreit allen Beteiligten vorwerfen. Das Positionspapier der Gemeinden, das Franz Bieger stark prägte, ist legitim, jeder kann seine Interessen vorbringen. Den Süden als nicht gesprächsbereit zu taxieren, ist aber unfair – wir wurden in diesem Prozess gar nicht erst angefragt. Es ist also verwegen, zu behaupten, dass es sich um eine Konsenslösung handelt.
Sie, Herr Bieger, schlagen die Einführung von Südstarts geradeaus von 10 bis 14 Uhr vor. Das Zürcher Stimmvolk hat sich aber stets für eine Kanalisierung ausgesprochen und etwa 2009 die Fairflug-Initiative wuchtig abgelehnt.
Bieger: Diese Interpretation teile ich nicht. Viele der bisherigen Vorlagen hatten einen wirtschaftsfeindlichen Charakter. So lässt sich in Zürich keine Flughafen-Abstimmung gewinnen. In unserem Konzept ist der Südstart geradeaus das einzige neue Element, wobei wir von etwa 20 Starts am Tag reden, zwischen 10 und 14 Uhr. Mit dieser Massnahme könnten vor allem die Südgemeinden Opfikon, Wallisellen und Dietlikon sowie die dichtbesiedelte engere Flughafenregion um Bassersdorf-Kloten entlastet werden. Es geht also nicht um zusätzliche Starts Richtung Süden, sondern nur um eine Lärmoptimierung unter den Südgemeinden. Zudem würden pro Flug rund zwei Flugminuten eingespart, und es könnte das Kollisionsrisiko mit durchstartenden Flugzeugen auf der Piste 14 entschärft werden. Dem Flughafen würde eine unnötige Leistungsminderung erspart.
Ziörjen: Die Südstarts werden gerne mit dem Argument Sicherheit kombiniert. Es geht dabei aber nicht um die Sicherheit des heutigen Betriebs, sondern um eine erwünschte Verdichtung, um höhere Stundenkapazität. Zudem: Klar würden Gemeinden wie Wallisellen entlastet. Aber neu würde ein sehr dicht besiedeltes Gebiet beschallt, namentlich auch Teile der Stadt Zürich. Wer in Dübendorf die Zeit erlebt hat, als Südstarts geradeaus kurze Zeit wegen betrieblicher Gründe geflogen werden mussten, der weiss, was das heisst.
Es geht aber nur um rund 20 Starts am Tag zwischen 10 und 14 Uhr.
Ziörjen: Luftstrassen sind wie Autobahnen zu sehen: Ist eine gebaut, wird sie auch benutzt. Es ist ja schön, wenn Franz Bieger sagt, es gehe nur um 20 Starts über Mittag. Wir sind aber nicht blauäugig. Die Südstarts geradeaus würden, wären sie einmal eingeführt, sehr bald ausgebaut. Kommt dazu, dass auf dem Flugplatz Dübendorf ja auch die Geschäftsfliegerei angesiedelt werden soll. Dann hätten wir also permanent Fluglärm: Fliegen die einen nicht, fliegen die anderen. Das kann es sicher nicht sein. Bieger: Wichtig ist, dass wir bezüglich Südstarts vom Gleichen reden. Bei der Flugsicherung Skyguide und in der Industrie gibt es Vorstellungen, dass alle Starts geradeaus über Süden verlaufen und faktisch ein Parallelpistensystem betrieben werden kann. Davon reden wir nicht. Wir fordern den Südstart geradeaus über Mittag für jene Maschinen, die ohnehin Richtung Süden starten, weil sie zu schwer sind für einen Weststart Richtung Lägern. Wir müssen die Gesamtbeschallung möglichst tief halten, aber auch den Flughafen nicht unnötig behindern. Die Leistungsfähigkeit des Flughafens künstlich tief zu halten, weil man Angst hat vor dem Wachstum, das ist unsinnig. Ziörjen: Ich kann nicht nur auf das antworten, was Sie vertreten. Mit Ihrem Papier bieten Sie dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) einen Steilpass. Die wollen den Südstart geradeaus schon lange, und im Betriebsreglement 2020 wird er sicher enthalten sein. Wenn Sie dann das Mengengerüst eindämmen wollen, werden Sie merken, dass Ihr Verbund nicht relevant ist. Ich habe in Bern genug erlebt, wie man dort die regionale Haltung einschätzt. Sie interessiert schlicht nicht. Bieger: Wenn alle Regionen um den Flughafen inklusive die hauptbetroffenen süddeutschen Gemeinden hinter einer Lösung stehen, wird weder die Zürcher Regierung noch Bern an ihr vorbeikommen. Bis jetzt hatten beide ein leichtes Spiel, weil sie uns auseinanderdividieren konnten.
Auch Ihr Positionspapier berücksichtigt Sicherheitsaspekte zu wenig, Herr Bieger. Die Piste 28 ist zu kurz, doch sie bekämpfen eine Verlängerung.
Bieger: Für die Piste 28 wird derzeit ein Überrollbremssystem am Pistenende realisiert, das die Sicherheit markant erhöht. Damit wird das Ostkonzept für den heutigen Betrieb genügend robust sein. Die Kritik aus dem Süden, dass Skyguide abends teilweise leichtfertig vom Ost- auf das Südkonzept umstellt, kann ich nachvollziehen. Deswegen sind aber keine Pistenverlängerungen nötig. Wenn die Regionen geeint wären, könnten wir eben auch in dieser Frage höheren Druck erzeugen.
Ziörjen: Pistenverlängerungen lösen die Probleme nicht, sind aber ein wichtiges Element, das es braucht, um das System robuster zu machen. Dass Skyguide Umstellungen zwischen Ost- und Südkonzept häufig nicht den tatsächlichen Wetterverhältnissen entsprechend vornimmt, ist leider eine Tatsache.
Sicherheitsexperten kritisieren, in Zürich kusche der Bund vor dem lokalen Konflikt: Sicherheitsfragen würden vernachlässigt. Ist diese Einschätzung falsch?
Ziörjen: Das trifft nur insofern zu, als das Bazl alles verzögert, um den Problemen aus dem Weg zu gehen. Dessen Vertreter verstecken sich seit Jahren hinter dem lokalen Konflikt.
Bieger: Im Fokus der Sicherheitsfragen steht der Südstart geradeaus – da finden wir, dass man einen Schritt machen müsste. Zweitens geht es um die Kreuzung der Pisten 28 und 16 tagsüber. Ähnliches gibt es auch auf dichter beflogenen Flughäfen. Solche vorhersehbare Risiken sind gut mit operativen und technischen Massnahmen zu beherrschen, im Gegensatz beispielsweise zu Durchstarts, die irgendwann auftreten können und Überraschungseffekte auslösen. Leider werden Sicherheitsfragen auch zur Begründung einer Ertüchtigung des Ostkonzepts herangezogen. Diese braucht man aber nur dann, wenn man es zeitlich ausdehnen und auch in Hauptverkehrszeiten einsetzen will.
Der Flughafen hat auch grosse volkswirtschaftliche Bedeutung. Nun ist Zürich wegen der strikten Auflagen schon benachteiligt, bald ist die nachfrageorientierte Entwicklung gefährdet.
Ziörjen: Es ist heikel, wenn eine Institution für sich in Anspruch nehmen will, dass sie sich entwickeln kann, solange die Nachfrage da ist. Es kann keinen Blankocheck geben. Die Bedürfnisse der Bevölkerung zählen auch. Nachfrageorientierung um jeden Preis wäre auch widersprüchlich. Mit dem Ja zur Kulturlandinitiative hat die Zürcher Bevölkerung starke Einschnitte beschlossen. Und beim Flughafen soll die Nachfrage das einzige Kriterium sein? Wir brauchen Qualität, nicht Quantität.
Bieger: Das Hemmnis für eine nachfrageorientierte Entwicklung sehe ich nicht. Klar, über Mittag gibt es Kapazitätsengpässe, aber die kann man mit Südstarts geradeaus entschärfen. Zudem stagniert die Zahl der Flugbewegungen seit über zehn Jahren. Die Intraplan-Studie, die ein starkes Wachstum voraussagte, entpuppte sich als völlig falsch, auch die angepasste Version wirkt nicht seriös. Das Passagierwachstum wird zwar anhalten, aber durch grössere Flugzeuge aufgefangen.
Die Einigung aller Regionen – sie bleibt eine Illusion, wenn man Ihnen zuhört.
Bieger: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn man realisiert, was auch von deutscher Seite her erwartet wird und was politisch machbar ist, werden wir in der Schweiz zu einem Konsens kommen. Sonst riskieren wir raumplanerische Unsicherheit über Jahre – und dass uns am Schluss von Deutschland der Tarif durchgegeben wird.
Ziörjen: Wir nehmen die Chance zum Gespräch wahr. Es wäre verfehlt, jetzt schon von einem Scheitern zu reden. Es kann sicher nicht darum gehen, den einen gegen den anderen auszuspielen. Was uns grundsätzlich stört, ist die im Jahr 2003 mit den Südanflügen eingeführte Systemänderung. Der Bund hat den bis damals stabilen Flugbetrieb unberechenbar gemacht, und mit jeder Verteildiskussion werden neue Emotionen provoziert.
Bieger: Darum stützt sich unser Positionspapier weitgehend auf bekannte Elemente. Ich verstehe, dass man sich wehrt. Gar nichts übernehmen zu wollen, liegt aber nicht drin. Das Argument, der Süden habe nicht mit Fluglärm rechnen müssen, ist heikel. So gesehen könnte man keine neue Umfahrungsstrasse, keine Eisenbahnstrecke und kein Kraftwerk mehr bauen. Rahmenbedingungen können sich ändern
Ziörjen: Hier wurde die Raumplanung auf den Kopf gestellt.
Bieger: Die deutschen Restriktionen haben die Situation verändert. Es liegt an uns, eine Lösung zu finden.
Ziörjen: Darum hat sich der Bund auf Notrecht berufen. Inzwischen sind aber mehr als zehn Jahre verstrichen. Dass der Bundesrat mit Deutschland keine Lösung finden konnte, ist beschämend. Für Süddeutschland ist der Flughafen Zürich schliesslich sehr bedeutungsvoll. Stattdessen schickt man mit dem Betriebsreglement 14 Vorschläge in die Vernehmlassung, die sowieso scheitern, weil Deutschland sie blockieren wird
Bieger: Wir erleben die süddeutschen Exponenten nicht als Hardliner. Unser Konzept nehmen sie wohlwollend auf. Sie wehren sich aber dagegen, dass der Flugbetrieb kanalisiert werden soll, weil sie dadurch, gleich wie die Nord-, Ost- und Westgemeinden, stärken betroffen wären. Wir sollten alle miteinander reden – wenn das Problem nicht von oben gelöst werden kann, machen wir es eben von kommunaler Stufe her.
Die Personen und das Positionspapier
asü. Lothar Ziörjen und Franz Bieger beschäftigen sich seit Jahren mit dem Flughafen Zürich. Ziörjen ist seit 2006 Stadtpräsident von Dübendorf, seit August 2014 präsidiert er das Fluglärmforum Süd, die Plattform der Gemeinden im Süden des Flughafens. Von 2011 bis Anfang 2015 sass Ziörjen für die BDP im Nationalrat. Bieger ist Gemeindepräsident von Bachenbülach, ehemaliger Swissair-Pilot und Leiter Flight Safety Investigation bei der Swiss. Er ist Mitglied im Vorstand der IG Nord und in der Steuergruppe der Nord-, Ost- und Westgemeinden.
Diese haben im Sommer ein Positionspapier vorgelegt , das für Gesprächsstoff sorgt (NZZ 8. 7. 15). Der geforderte Flugbetrieb orientiert sich am heutigen Regime, inklusive der deutschen Sperrzeiten am Morgen und am Abend. Auf Kritik aus dem Süden des Flughafens stösst die Forderung, dass neu von 10 bis 14 Uhr Südstarts geradeaus über Teile der Stadt Zürich, das Zürcher Oberland und die Zürichseeregion eingeführt werden sollen. Weitere Kernforderungen sind ein Verzicht auf Pistenverlängerungen und auf gekröpfte Anflugvarianten zur Entlastung des Südens. Angestrebt werden müsse eine faire Fluglärmverteilung, wie sie schon vor über zehn Jahren der Runde Tisch zum Flughafen Zürich definiert habe.
Ein paar Fragen und Bemerkungen zum Interview:
Warum sollte sich der Süden gemeinsam mit den anderen Himmelsrichtungen gegen eine Pistenverlängerung wehren (die Abendanflüge nehmen wegen der zu kurzen Piste immer mehr zu), solange die anderen Himmelsrichtungen als „Gegenleistung“ lauthals Südstarts geradeaus fordern?
Warum ist die „Sicherheit“ nur von 10-14 Uhr wichtig? Vielleicht deshalb weil dann die anderen Himmelsrichtungen (bzw. die dort wohnenden und zum grossen Teil am Flughafen arbeitenden Menschen) am meisten Kapazität brauchen?
«Verlautbarungen aus dem Süden sind stets schwarz-weiss und kompromisslos.»Halt genauso kompromisslos wie die andren Himmelsrichtungen die eine Pistenverlängerung kategorisch ablehnen. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Pistenverlängerung der Sicherheit und nicht der Kapazitätssteigerung dient und gegen keine Gesetze verstösst.
Das Argument „So gesehen könnte man keine neue Umfahrungsstrasse, keine Eisenbahnstrecke und kein Kraftwerk mehr bauen“ hinkt. 1. Wird eine Umfahrungsstrasse nicht im Notrecht gebaut. Und 2. Würde die Forderungen von Herr Bieger auf den Strassenverkehr umgelegt wie folgt aussehen: Man schliesst eine Fahrspur eine gefährlichen Stelle einer Autobahn und leitet den Verkehr stattdessen durch eine Wohnstrasse. Das ist für die Autofahrer sehr sicher. Für die Anwohner hingegen weniger. Niemand käme auf so eine absurde Idee.
Auch heute noch den „runden Tischt“ (der bestenfalls einen Halbkreis darstellt) zu bemühen ist peinlich. Dort haben 30% der Betroffenen über 95% der Stimmen verfügt. Zudem war der runde Tisch ein reiner Debattierklub, ohne jegliche rechtliche Legitimation. Ganz im Gegensatz zu Volksabstimmungen die sämtliche Forderungen des runden Tisches eine gehörige Abfuhr verpasst haben.
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