Treffpunkt Check-in 2, Destination Widerstand (AvU)

Publiziert von VFSNinfo am
Man könnte sie für eine Reisegruppe halten, kurz vor dem Abflug in die Wanderferien. Über 50 Männer und Frauen, viele im Seniorenalter, stehen im Terminal 2 am Flughafen Kloten, die meisten in gelben Leibchen und mit Schirmmützen. Doch sie werden an diesem Morgen mitten in den Sommerferien kein Flugzeug besteigen. Ihre Destination heisst Mahnwache – seit zwölf Jahren, jeden ersten Sonntag im Monat von 10 bis 11 Uhr. So lange existiert diese Form des Protests gegen die Südanflüge bereits. Die Mahnwache ist damit die am längsten andauernde in der Geschichte der Schweiz. Organisiert wird sie vom Verein Flugschneise Süd – Nein.

Die Handgriffe sind eingespielt. Der Zumiker Matthias Dutli, Präsident des Vereins, befestigt das knallgelbe Transparent an zwei Gepäckwägeli: «Deutsche Flugzeuge während deutschen Sperrzeiten? NEIN danke». Gelbe Luftballone werden verteilt. Man kennt sich und weiss genau, wer wo wie unter den Südanflügen leidet – in Gockhausen, Zumikon, Zollikon, Schwamendingen, Maur oder Egg. Viele kommen regelmässig – kurz nach Einführung der Südanflüge jede Woche, seit einigen Jahren jeden Monat.

So wie der Gockhauser Adrian Schoop, ein besonders aktiver Südschneiser: «Ich protestiere nicht nur gegen den alltäglichen krank machenden Fluglärm, sondern auch gegen eine Regierung, die gesetzliche Grundlagen missachtet.» «Rechtsbruch» ist ein Wort, das man immer wieder zu hören bekommt – und Enttäuschung über die Politiker, die keinen Mut und kein Verhandlungsgeschick zeigen, die sich von Deutschland ein Flugregime aufzwingen lassen, unter dem die heimische Bevölkerung zu leiden hat. Salz in die Wunden der Südschneiser haben jüngst wieder Gemeinden aus dem Norden, Westen und Osten gestreut. In einem Positionspapier fordern sie eine «Konsenslösung» in der Fluglärmfrage. Vorgesehen wären dabei Südstarts von 10 bis 14 Uhr. Ein Vorschlag, für den die Teilnehmer an der Mahnwache kein Verständnis aufbringen können. Das am dichtesten besiedelte Gebiet der Schweiz, nämlich der Süden des Flughafens, trage bereits einen grossen Teil der Lärm und Umweltimmissionen, so die einhellige Meinung.

Wie die ältere Frau aus Pfaffhausen bangen schon heute viele um die Gesundheit. «Wir finden keine Erholung mehr, unsere Enkeltöchter werden jeden Tag um 6 Uhr aus dem Schlaf gerissen.» «Wir im Süden werden ausgerechnet in den Randstunden überflogen, wenn wir frei haben», sagt Werner Fuchs aus Wädenswil. Andere fürchten um die Entwertung ihrer Liegenschaften, so wie jenes Ehepaar, das Gockhausen wegen der Südanflüge den Rücken gekehrt hat und nun in der Zentralschweiz wohnt. «Das Haus in Gockhausen haben wir behalten, mussten den Mietzins aber um 600 Franken pro Monat senken.»

Es hat sich viel Enttäuschung angestaut während zwölf Jahren Südanflüge. Manchmal ist auch leise Resignation spürbar. Zum Beispiel darüber, dass die jüngere Generation den Widerstand nicht im gleichen Mass mitträgt. Hat sie sich an den Lärm gewöhnt, hat sie am Sonntag andere Pläne? So genau weiss das niemand. Aber Aufgeben kommt für den harten Kern nicht infrage. «Solange ich stehen kann, komme ich», sagt eine Teilnehmerin. Auch Cony Wirth aus Zumikon steht immer wieder am Flughafen. Er ist 93 Jahre alt.

Und während sie so dastehen, in Gespräche vertieft und mit ihren Ballonen in der Hand, hetzen die Reisenden an ihnen vorbei zur Passkontrolle. Niemand sucht das Gespräch, bis ein Mädchen im Spielgruppenalter die gelben Luftballone entdeckt. Zu gerne hätte es einen. Eine Teilnehmerin der Mahnwache will der Kleinen den ihren schenken. Der Vater wirft einen Blick auf den darauf angebrachten Schriftzug «Flugschneise Süd – Nein». «Mit dem läufst du mir nicht rum», sagt er und zieht seine Tochter weiter. «Vermutlich aus dem Norden», mutmasst die Frau und zuckt mit den Schultern.




Nachgefragt

Adolf Spörri Rechtsanwalt, Präsident Stiftung gegen Fluglärm, aus Gockhausen

Weshalb nehmen Sie regelmässig an der Mahnwache teil?
Adolf Spörri: Im Oktober 2003 wurden die Südanflüge eingeführt. Seither wird in Bezug auf die Raumplanung und die Lärmschutzverordnung andauernd geltendes Recht gebrochen. Die hängigen Enteignungsverfahren werden systematisch verzögert. Gegen diese Aushebelung des Rechtsstaats richtet sich die Mahnwache. Sie zeigt auch, dass der Widerstand seit zwölf Jahren ungebrochen ist.

137 Gemeinden präsentierten kürzlich ein Positionspapier für eine «Konsenslösung». Was halten Sie davon?
Von einer Konsenslösung kann nicht die Rede sein. Das Positionspapier stammt aus dem Osten, Norden und Westen. Die Sache wurde auch noch von Politikern aus Südbaden unterstützt. Der Süden, insbesondere die Stiftung gegen Fluglärm, hat mit allen Bürgerorganisationen Kontakt gesucht, um gemeinsam eine Haltung zu definieren. Unter diesem Aspekt erscheint das Vorgehen mit dem Positionspapier als Affront.

Der Süden steht nun noch isolierter da. Frustriert das?
Nein, von Frustration wollen wir nicht sprechen, eher von Enttäuschung und Unverständnis. Diese Organisationen haben mit ihrem Vorgehen ihr wahres Gesicht gezeigt und sich damit selbst isoliert. Die Stiftung wird weiterhin für einen Flughafen kämpfen, der im Interesse der ganzen Landesbevölkerung steht und auch die Schutzbedürfnisse vor Lärm und Immissionen akzeptiert und umsetzt.

Auf welche Mittel kann man dabei setzen?
Wir werden auf allen Ebenen aktiv bleiben, zum einen Öffentlichkeitsarbeit betreiben, zum anderen auch rechtliche Schritte weiterverfolgen. Wir haben nicht aufgegeben, wie sich das wohl der Flughafen und gewisse Kreise aus der Politik gewünscht haben. Das Bundesgericht hat am 22. Dezember 2010 ein Urteil gefällt. Dieses muss endlich befolgt werden. Auch sind die Politiker in Bern und in Zürich gefordert, eine angemessene Lösung mit Deutschland zu suchen. Es braucht dazu Pakete, welche die Interessen von beiden Seiten beinhalten.

Daniela Schenker

AvU, 04.08.2015