Gemeinde-Allianz kämpft für den Südstart (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Seilziehen um den Flughafen Zürich

Der Südstart geradeaus über Zürich, die Zürichseeregion und das Oberland soll von 10 bis 14 Uhr eingeführt werden. Dies fordern 137 Gemeinden, die sich zusammengeschlossen haben.

Eigentlich ist nicht viel los. Rund um den Flughafen Zürich ist es still, wenn nicht gerade wie Mitte Juni Hundertscharen auf der Zuschauerterrasse das Testmodell des neuen Swiss-Europa-Fliegers CSeries 100 von Bombardier bestaunen. Doch auch Ruhe ist vergänglich – und tatsächlich stehen politisch strittige Debatten bevor.

Zum einen ist ein heisser Herbst in Süddeutschland zu erwarten. Der in Berlin auf Eis gelegte Staatsvertrag zum Flughafen Zürich wird die Landtagswahlen in Baden-Württemberg vom März 2016 sicherlich beleben. Auch die Bundesregierung setzt neuerdings offenbar wieder auf eine zahlenmässige Beschränkung der Anflüge über Südbaden statt wie im Staatsvertrag auf zugesicherte Zeitfenster ohne Überflüge. Zum anderen drängt in der Schweiz die Umsetzung der Massnahmen zur Verbesserung der betrieblichen Sicherheit, die das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) im Februar 2013 vorgestellt hat. Konkret ist zu erwarten, dass die bisher hinausgeschobene Umsetzung der umstrittensten Punkte noch in diesem Jahr angegangen wird, im sogenannten SIL 2, im zweiten und entscheidenden Teil des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt zum Flughafen Zürich. Geklärt werden muss dabei vor allem, ob Südstarts geradeaus über Teile der Stadt Zürich, die Zürichseeregion und das Zürcher Oberland, Verlängerungen der Pisten 28 und 32 sowie gekröpfte Anflugverfahren grundsätzlich erlaubt werden sollen oder nicht.

Konsens unter Gleichgesinnten

In diesem Umfeld ist den Gemeinden im Osten, Westen und Norden am Dienstag ein kleiner Coup gelungen. Während in Sachen Staatsvertrag und SIL viel hinter verschlossenen Türen angedacht wird, preschen die vom Fluglärm betroffenen Kommunen aus allen Himmelsrichtungen ausser dem Süden vor – mit einem Schulterschluss und einem konkreten Konzept für den Betrieb in Zürich. Der Vorschlag, Konsenslösung genannt, kommt nicht revolutionär daher, hat es aber in sich.

Das Positionspapier, das die 137 Gemeinden aus den Kantonen Zürich, Thurgau, St. Gallen, Aargau und Schaffhausen aufstellten, enthält drei Kernforderungen. Erstens seien Südstarts geradeaus von 10 bis 14 Uhr einzuführen. Zweitens solle davon abgesehen werden, gekröpfte Anflugvarianten zur Entlastung des Südens von den morgendlichen Anflügen zu entwickeln. Und drittens sei auf Pistenausbauten und damit auf eine Stärkung des Ostkonzepts mit Landungen aus Osten und Starts nach Norden zu verzichten. Der Flughafen Zürich solle grundsätzlich weiter betrieben werden wie heute: Am Morgen früh mit dem Südkonzept, danach bis am Abend mit dem Nordkonzept und dann bis 23 Uhr 30 mit dem Ostkonzept – ergänzt mit Südstarts geradeaus über Mittag.

Den Staatsvertrag mit Deutschland sieht Hanspeter Lienhart, Stadtrat von Bülach und Präsident der IG Nord, im Dauerkoma, weitergehende Forderungen aus Südbaden seien nicht angebracht. Gemeinsam ist den Regionen aus dem Westen, Osten und Norden auch die Ablehnung des Betriebsreglements 14, mit dem der Flughafen die An- und Abflugrouten entflechten will; das Bazl bearbeitet derzeit die zahlreichen Einsprachen.

Zugrunde liege der gegenwärtigen Offensive der Gemeinden die Einschätzung, dass die Betroffenen zu lange nicht in die Entscheidungen involviert gewesen seien, sagte Lienhart an der Pressekonferenz vom Dienstag in Bülach. Sekundiert wurde er von Franz Bieger, Gemeindepräsident von Bachenbülach und Vorstand der IG Nord, Max Walter, Gemeindepräsident von Regensdorf und Präsident der IG West, Barbara Günthard-Maier, Stadträtin von Winterthur und Präsidentin der Region Ost, sowie Thomas Hardegger, SP-Nationalrat, Gemeindepräsident von Rümlang und Präsident des Schutzverbandes.

Günthard-Maier betonte, dass die Region hinter dem Flughafen stehe, dass er aber in der Bevölkerung akzeptiert werden müsse. Dies sei nur möglich, wenn alle Regionen Lasten trügen. Was dies heisst, brachte Bieger ohne Umschweife auf den Punkt: «In der Allianz der Regionen fehlt der Süden, der keinerlei Kompromissbereitschaft zeigt.» Die schwache Zusatzbelastung durch den Südstart geradeaus über Mittag sei als Lastenausgleich im Gesamtinteresse hinzunehmen. Ihr Vorschlag bedeute im Übrigen nicht, dass von 10 bis 14 Uhr alle Starts geradeaus über den Süden abzufertigen seien, sondern nur jene schweren Maschinen, die nicht nach Westen starten könnten, 20 bis 25 Abflüge pro Tag. Dies sei auch betrieblich sinnvoll, weil es dringend benötigte Kapazität schaffe und die Sicherheit verbessere. Hardegger sieht in dem Vorschlag eine Basis für eine Einigung zwischen der Schweiz und Deutschland, die vielleicht schon anlässlich des Besuchs der Bundeskanzlerin Angela Merkel im September in Bern erzielt werden könnte. Ihr Positionspapier sei auch eine Einladung zum Dialog an die Gemeinden im Süden des Flughafens und in Süddeutschland.

Die Vertreter Südbadens nahmen den Vorstoss in Bülach wohlwollend, aber zurückhaltend auf; anwesend waren die Bürgermeister von Hohentengen und Klettgau sowie Jörg Gantzer, Erster Landesbeamter im Landratsamt Waldshut. Wenn sich die Gemeinden aktiv einbrächten und auf Augenhöhe den Dialog auch mit Südbaden suchten, sei dies sehr zu begrüssen, sagte Gantzer. Offene Türen rennt bei ihm die Allianz mit der Ablehnung des Betriebsreglements 14 ein: Die Entflechtung der Starts und Landungen im Ostkonzept führe zu Mehrbelastungen, befürchtet er. Dies sei falsch, entgegnet auf Anfrage die Flughafen-Sprecherin Sonja Zöchling. Die Entflechtung des Ostkonzepts im Betriebsreglement 14 erfolge primär aus Sicherheitsüberlegungen, die Zahl der Lärmbetroffenen nehme nachweislich nicht zu.

Stadt Zürich wehrt sich

Gross ist der Ärger über den Vorschlag im Süden. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch und die Stadträtin Claudia Nielsen schreiben in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass sie vehement gegen Südstarts geradeaus seien. Die Stadt Zürich und der Süden des Flughafens trügen heute schon wesentliche Lärmlasten – tagsüber befänden sich mehr als ein Drittel der mit Fluglärm belästigten Personen im Süden des Flughafens. Der Südstart geradeaus würde dichtestbesiedeltes Gebiet zusätzlich belasten, namentlich auch die städtischen Nordquartiere. Die Stadt halte an ihrem Grundsatz fest, dass über die ganze Region betrachtet möglichst wenig Menschen mit möglichst wenig Lärm belastet werden sollten. Der neue Vorschlag laufe dieser Zielsetzung diametral entgegen.

Das Fluglärmforum Süd mokiert sich über den Begriff «Konsenslösung» – der Süden und die Stadt Zürich seien nicht einbezogen worden. Weiter schreibt der Zusammenschluss der Südgemeinden: «Was der Norden und Osten dem Süden vorwirft, tut er jetzt offensichtlich selbst: abschieben, was unangenehm ist, und dem Flughafen in die Hand spielen.» Dieser werde sich freuen, wenn er eine Kapazitätssteigerung erhalte.

Sollte er sich tatsächlich freuen, verbirgt der Flughafen dies allerdings geschickt. In einer Mitteilung schreibt er jedenfalls, der Vorschlag der 137 Gemeinden berücksichtige die Interessen der Himmelsrichtungen einseitig und blende flugbetriebliche Aspekte sowie die Bevölkerungsdichte aus. Kein Kommentar will die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion unter der neuen Führung von Carmen Walker Späh (fdp.) abgeben. Bisher stand der Regierungsrat der Einführung des Südstarts geradeaus stets skeptisch gegenüber.


Berlin überrascht mit einer Provokation

asü.⋅Den Staatsvertrag mit der Schweiz zum Flughafen Zürich werde sie dem Bundestag vorläufig nicht zur Ratifikation vorlegen. Dies schreibt die deutsche Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag. Zuvor seien rechtlich verbindliche Regelungen über strittige Punkte nötig. Gemeint ist unter anderem die zu erwartende jährliche Maximalzahl von Anflügen über Südbaden. Deutschland will diese im Bereich von 80 000 beschränken, die Schweiz nannte eine mögliche Höchstzahl von 110 000 Anflügen. Das Schweizer Parlament hat das Abkommen bereits ratifiziert – in Berlin ist es nicht zuletzt wegen parteiübergreifenden Widerstands aus Südbaden blockiert.

Für einiges Aufsehen sorgt nun eine Formulierung der Bundesregierung in der Antwort, die in der gewählten Trockenheit erstaunt. Um die Belastung in Südbaden zu reduzieren, sei ihr Ziel «die vollumfängliche Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Region, welche grundlegend in der ‹Stuttgarter Erklärung› niedergelegt sind». In dieser wird eine strikte Beschränkung der Überflüge auf 80 000 pro Jahr gefordert, derweil im Staatsvertrag Zeitfenster enthalten sind, in denen Südbaden keine Überflüge gewärtigen muss. Mit anderen Worten: Setzt die Bundesregierung tatsächlich auf die «Stuttgarter Erklärung», reichen Zusatzerklärungen zum Abkommen nicht aus, es käme einem neuen Ansatz gleich – Plafonierung statt Ruhezeiten. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt in Bern hat bisher laut Auskunft eines Sprechers jedoch keine entsprechenden Signale aus Berlin erhalten.

NZZ, 07.07.2010

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