Hans Göschke, Mediziner
Eine parlamentarische Initiative fordert, dass die in Zürich geltende Beschränkung der Nachtflüge auch in Basel und Genf eingeführt wird. Die Initiative ist für die Frühjahrssession des Nationalrats traktandiert. Derzeit gilt in Basel eine Nachtflugsperre von 24 bis 5 Uhr, in Genf von 24 bis 6 Uhr und in Zürich von 23 bis 6 Uhr mit Verspätungsabbau bis 23 Uhr 30. Diese Unterschiede werfen medizinische und wirtschaftliche Fragen auf.
Schlafstörungen, Entwicklungsstörungen bei Kindern und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die wichtigsten Gesundheitsschäden, welche vor allem bei nächtlichem Fluglärm vermehrt auftreten. Alle wurden bei Fluglärmpegeln beobachtet, wie sie im Umkreis unserer Landesflughäfen gemessen werden. Der gesetzliche Grenzwert von 23 bis 24 Uhr beträgt 50 Dezibel (dB), ein Jahresmittelpegel. Dieser erlaubt etwa eine tägliche Lärmspitze von 76 dB oder zwei Spitzen von 73 dB, die bei offenen Fenstern fast alle aus dem Schlaf reissen.
Am meisten schadet Fluglärm den Kindern
Der menschliche Organismus reagiert im Schlaf auf Lärm viel empfindlicher als im Wachzustand. Die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin steigen im Schlaf schon ab mittleren Schallpegeln von 35 dB an. Dieser Wert wird um unsere Flughäfen in der Zeit von 22 bis 24 Uhr deutlich überschritten. Die Stresshormone führen zu Blutdruckanstieg und Verschlechterung der Schlafstruktur. Tiefschlaf und Traumschlaf werden schon ab Mittelpegeln von 40 dB verkürzt.
Die bei Erwachsenen beschriebenen Schlafstörungen gelten laut WHO noch stärker für Kinder. Dazu kommen noch zwei für Kinder typische Schädigungen. In Fluglärmzonen wurden signifikante Lerndefizite bei Schulkindern nachgewiesen, genannt Lernstörung durch Schlafstörung. Dem Fluglärm gegenüber ausgeliefert und machtlos zu sein, erzeugt Resignation und Demotivation, in der Fachsprache «learned helplessness» genannt. Diese beschränkte sich in Studien um den alten und den neuen Münchner Flughafen nicht auf den Fluglärm, sie übertrug sich auf alle Lebensbereiche der untersuchten Kinder.
Eine Schweizer Studie hat aufgezeigt, dass tödliche Herzinfarkte um unsere Flughäfen bis zu 48 Prozent häufiger sind als in anderen Gebieten. Viele Studien haben den Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestätigt.
Gegner der siebenstündigen Nachtflugsperre machen vor allem wirtschaftliche Gründe geltend. Der Basler Euro-Airport hat dazu 2009 eine Studie in Auftrag gegeben . Diese kommt zum überraschenden Schluss, dass sich die Airlines an eine verkürzte Betriebszeit «anpassen» oder «voraussichtlich anpassen» könnten. Auch Passagierverluste werden nicht erwartet. Die Autoren befürchten jedoch einen Wertschöpfungsverlust von 264 Millionen Euro, verteilt auf fünf Jahre, wegen des möglichen Wegzugs von Expressfrachtfirmen. Unsere Nachfragen haben jedoch ergeben, dass keine Wegzugspläne bestehen. Die Expressfrachttonnage hat in Zürich trotz der verlängerten Nachtflugsperre nicht abgenommen.
Andrerseits hat der Nachtflugbetrieb des Euro-Airports von 22 bis 24 Uhr und 5 bis 6 Uhr hohe externe Kosten zur Folge. So das Bauverbot auf dem Kleinfeldareal in Allschwil im Wert von rund einer Milliarde Franken. Nach einer Verordnungsänderung des Bundesrates vom 1. Februar 2015 könnte zwar auf Nachtfluglärm betroffenen Arealen gebaut werden, aber die Flughafenkantone Baselland, Basel-Stadt, Bern und Genf haben dies abgelehnt.
Immobilien verlieren an Wert
Der durchschnittliche Wertverlust von Immobilien beträgt laut ZKB rund ein Prozent für jedes zusätzliche Dezibel oberhalb eines mittleren Schallpegels von 50 Dezibel am Tag. In mehreren Zürcher Gemeinden und in Allschwil beträgt der Mittelpegel tagsüber 55 Dezibel und mehr. Ungleich empfindlicher als während des Tages reagiert der Markt auf Immissionen während der Randstunden von 21 bis 24 Uhr . Die Gesundheitskosten verursachten in Studien den weitaus grössten Teil der externen Kosten von nächtlichem Fluglärm. Insgesamt übersteigen die volkswirtschaftlichen Kosten der Nachtflüge auf dem Euro-Airport die vom Flughafen geltend gemachten möglichen Verluste bei weitem.
Die Verkehrskommission des Nationalrates hat die erwähnte Initiative mehrheitlich abgelehnt. Die Kommission meinte, dass «der Flughafen Zürich schon heute über eine der strengsten Nachtflugregelungen Europas verfügt. Eine noch weitergehende Einschränkung der Betriebszeiten würde die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Landesflughäfen im internationalen Luftverkehr beeinträchtigen.» Dieser Einschätzung liegt ein kapitaler Irrtum zugrunde. Die Initiative will nicht mehr als eine landesweite Nachtflugsperre von 23 bis 6 Uhr, wie sie schon heute in Zürich gilt, mit Ausnahmeregelungen. Eine «noch weitergehende Einschränkung der Betriebszeiten» steht nicht zur Diskussion.
Das Kantonsparlament von Baselland hat der Verlängerung der Nachtflugsperre auf dem Euro-Airport schon zweimal mit grossem Mehr zugestimmt, nun entscheidet der Nationalrat. Bei Ablehnung der Initiative ist auch die bisherige Nachtflugruhe in Zürich gefährdet.
Hans Göschke ist Mediziner und befasst sich seit Jahren mit dem Verkehrslärm.