Ernstfall an der Grenze (Sonntagszeitung)

Publiziert von VFSNinfo am
Gekröpfter Nordanflug: Vor dem Entscheid hat Berlin schweres Geschütz aufgefahren

VON MARTIN STOLL

BERN/ZURICH Beim vertraulichen Luftfahrtgipfel am Donnerstagmorgen ging es um eine letzte Klärung. Der Chef der Flugsicherung Skyguide, der Zürcher Flughafendirektor Josef Felder und die Flugbetriebsverantwortlichen von Swiss konferierten mit Raymond Cron, Chef des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl). Thema im Konferenzraum in Ittigen BE: der gekröpfte Nordanflug. Das vom Flughafenbetreiber Unique lancierte Anflugverfahren führt scharf an der Grenze zu Deutschland nach Kloten. Innert Monatsfrist will die Flugaufsichtsbehörde über die konfliktträchtige Flugroute entscheiden.

Bereits hat der deutsche Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee die Kanonen aufgefahren: Der Anflug entlang dem Rhein sei für Berlin «nicht hinnehmbar», liess er seinen Sprecher diese Woche ausrichten. Der deutsche Minister bestätigte die Botschaft, die sein Chefbeamter Thilo Schmidt der Schweiz am 11. Juni in einem neunzeiligen Schreiben überbracht hatte: Halte Bern am gekröpften Anflug fest, würde Deutschland «die erforderlichen luftraumorganisatorischen Massnahmen treffen», um den süddeutschen Raum vor Düsenlärm zu schützen. Konkret würde Berlin entlang der Schweizer Grenze eine 4,6 Kilometer breite Flugsperrzone hochziehen. Die Folgen: Der Gekröpfte könnte nicht geflogen werden.


Prüfung des Anflugverfahrens unter strikter Geheimhaltung

Rein flugtechnisch wäre das neue Anflugprozedere möglich. Das Bazl hält es für «fliegbar, aber anspruchsvoll». An der Sitzung vom Donnerstag liess sich Bazl Chef Cron noch einmal über die technischen Einzelheiten ins Bild setzen. Erst in den letzten Wochen haben die Fluglotsen das Detaildesign des Verfahrens fertig gestellt, das im Warteraum Gipol hoch über dem aargauischen Fricktal beginnt. Dazu werteten Skyguide-Spezialisten Flugsimulationen und Testflugdaten aus.

Ob das neue Anflugverfahren eingeführt wird, ist noch nicht entschieden. Technische Prüfung und Verhandlungen finden unter strikter Geheimhaltung statt - nicht zuletzt, weil im Dossier politische Sprengkraft steckt. Fest steht: Bewilligt das Bazl die Route, werden die Flugverkehrsleiter ab März geschult. Ab Mitte Jahr könnte den Rhein entlang angeflogen werden.


Regierungen würden zu Verhandlungen gezwungen

Kurioserweise entscheidet jetzt eine Hand voll Berner Flugtechniker über den weiteren Verlauf der blockierten Fluglärmverhandlungen. Genehmigt das Schweizer Flugverkehrsamt den Gekröpften, kommt es zum offenen Grenzkonflikt - und zu Bewegung im schwierigen Dossier. Dann ist nicht nur eine gute Nachbarschaft, sondern auch der Friede zwischen wichtigen Handelspartnern gefährdet. Die Regierungen beider Länder ständen unter dem Druck, das Problem zu lösen.

Das Bazl, das die heisse Kartoffel in den Händen hat, soll über die neue Flugroute aber nicht nach strategischen, sondern nach rein technischen Kriterien entscheiden. So jedenfalls ist die Sprachregelung. «Geprüft werden Sicherheit und technische Machbarkeit», sagt Daniel Bach, Sprecher von Verkehrsminister Moritz Leuenberger, «politische Kriterien spielen bei der Beurteilung keine Rolle.»

Deshalb kommt Leuenberger in seinem Unglücksdossier jetzt unter Druck: Ohne triftige technische Gründe kann er den Gekröpften nicht abwürgen. «Mit allem Nachdruck» hat er dem Parlament versichert, dass er alles tun werde, um den Gekröpften zu ermöglichen.

Sonntagszeitung, 16.12.2007


Zur Erinnerung: Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 24.10.2002 (Seite 21/22):
Die DVO ist rechtens, denn Unique hat Alternativen ihren Betrieb mit Einklang der Umweltschutz und Lärmziele zu erreichen (also ohne Südanflug). Denn sie hat drei Anflugvarianten, den Side-Step-Approach", das "continuous-descent-Verfahren" und/oder den "gekröpften Anflug", die diesen Anforderungen genügen.