Zwischen Zürich und Baden-Württemberg bestehen enge wirtschaftliche Verflechtungen. Für den Fluglärmstreit lässt sich daraus nichts gewinnen.
Von Hans-Peter Bieri
Es gibt kein Argument, das Regierungsrätin Rita Fuhrer häufiger ins Feld führt, wenn es um den Fluglärmstreit mit den Süddeutschen geht: Der Zürcher und der baden-württembergische Wirtschaftsraum seien eng miteinander verflochten, Süddeutsche und Zürcher seien aufeinander angewiesen. Letztmals brachte sie dies vor knapp zwei Wochen an einer Unternehmertagung in Stuttgart vor. Und es gibt kein Argument, das in Süddeutschland weniger verfängt und kühler gekontert wird. Die Schweizer seien geschäftstüchtige Leute. Wenn sie etwas für die Deutschen täten, dann im eigenen Interesse, sagte der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher in einem Interview.
Wichtige Handelspartner
Wie eng die Verflechtungen sind, ist gar nicht so einfach darzustellen. Statistische Daten gibt es zwar für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, zum Teil auch zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz, aber kaum für jene zwischen Baden-Württemberg und Zürich. Für Zürich muss man deshalb vielfach Plausibilitätsüberlegungen anstellen. Peter Moser vom kantonalen Statistischen Amt hat es in einer Studie versucht. Die wichtigsten Ergebnisse:
Ein Viertel der schweizerischen Exporte nach Deutschland gehen nach Baden-Württemberg, 15 Prozent der Schweizer Importe aus Deutschland kommen von dort. Baden-Württemberg ist damit der fünftwichtigste Aussenhandelspartner der Schweiz, bei den Exporten etwa gleich wichtig wie Grossbritannien, bei den Importen wie Österreich. Moser nimmt an, dass die Werte für die Grenzkantone und damit auch Zürich deutlich höher liegen.
Viergrösstes Exportland
Für Baden-Württemberg ist die Schweiz mit einem Exportvolumen von 8,9 Milliarden Euro und einem Anteil von 6 Prozent das viertgrösste Exportland. Bei den Importen steht die Schweiz mit einem Anteil von 8 Prozent auf Platz 5. Auch hier kann für die Grenzregionen ein noch höherer Wert angenommen werden.
Die Schweiz ist nach den Niederlanden der zweitgrösste Direktinvestor in Baden-Württemberg und liegt damit vor den USA und Frankreich. Die Schweizer Direktinvestitionen machen rund 11 Milliarden Euro oder 16 Prozent der Auslandsinvestitionen aus. Grosse Teile der südbadischen Industrialisierung gingen von der Schweiz aus. Umgekehrt beträgt der Anteil der Direktinvestitionen Baden-Württembergs in der Schweiz nur etwa 3 Prozent.
Der Detailhandel im Gebiet Hochrhein-Bodensee macht mit Schweizer Konsumenten einen Umsatz von rund 700 Millionen Euro jährlich. Von hundert verfügbaren Franken geben die Schweizer etwa drei in Baden-Württemberg aus. Vor allem Agrarprodukte locken; etwa 10 Prozent des Schweizer Fleischkonsums wird im Ausland eingekauft. Die Schweizer kaufen etwa fünfmal mehr in Baden-Württemberg ein als umgekehrt. In den grenznahen Regionen des Zürcher Wirtschaftsraum dürfte der Anteil noch deutlich höher sein.
Im Kanton Zürich arbeiten etwa 4400, im gesamten Zürcher Wirtschaftsraum (AG, ZH, SH, TG) etwa 18 800 Grenzgänger aus Deutschland, die fast ausschliesslich aus Baden-Württemberg stammen. Allerdings beschränkt sich der Austausch auf einen schmalen Korridor von etwa zehn Kilometern beidseits der Grenze, wo der Anteil der Grenzgänger bis zu 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen kann. Schweizer Grenzgänger gibt es kaum.
Mit einem Anteil von 15 Prozent der Hotelübernachtungen sind die Schweizer die wichtigsten Auslandgäste in Baden-Württemberg. In der Grenzregion Hochrhein-Bodensee sind es mit 73\'000 Übernachtungen sogar 33 Prozent (2004). Allerdings profitiert die Region Hochrhein vor allem vom deutschen Binnentourismus. Der Anteil der Schweizer am Total der Übernachtungen beträgt entsprechend nur 4 Prozent. Umgekehrt haben im Kanton Zürich letztes Jahr deutsche Touristen rund 686\'000 Logiernächte gebucht.
In den grenznahen Regionen Baden-Württembergs hat der Flughafen Zürich einen Marktanteil von etwa einem Viertel. Von den 10,7 Millionen Einwohnern Baden-Württembergs fliegen etwa 4 Prozent von Zürich aus.
«Süddeutschland profitiert»
Am engsten schliessen sich die deutsche und die schweizerische Wirtschaft im Rheingraben zusammen, wo von Basel bis Mannheim praktisch ein durchgehender Wirtschaftsraum besteht. Zwischen Zürich und Stuttgart schiebt sich dagegen ein rund 200 Kilometer breiter, dünn besiedelter Gürtel, in dem vornehmlich Landwirtschaft und Tourismus betrieben wird. Moser ist dennoch überzeugt, dass die Nachbarschaft der Schweiz für die Landkreise entlang der Grenze von Vorteil ist: «Die Landkreise profitieren. Die Nähe mildert ihre strukturellen Probleme.»
Für die Fluglärmverhandlungen ist das allerdings ohne Bedeutung. Wirtschaftliche Verflechtungen sind kein Druckmittel. Niemand hat ein Interesse daran, den Austausch zwischen zwei so hoch entwickelten und eng verflochtenen Wirtschaften wieder zu unterbinden. Und zusätzliche Gegengeschäfte hat die deutsche Seite bisher stets abgelehnt.
Tages-Anzeiger 31.07.2007
Von Hans-Peter Bieri
Es gibt kein Argument, das Regierungsrätin Rita Fuhrer häufiger ins Feld führt, wenn es um den Fluglärmstreit mit den Süddeutschen geht: Der Zürcher und der baden-württembergische Wirtschaftsraum seien eng miteinander verflochten, Süddeutsche und Zürcher seien aufeinander angewiesen. Letztmals brachte sie dies vor knapp zwei Wochen an einer Unternehmertagung in Stuttgart vor. Und es gibt kein Argument, das in Süddeutschland weniger verfängt und kühler gekontert wird. Die Schweizer seien geschäftstüchtige Leute. Wenn sie etwas für die Deutschen täten, dann im eigenen Interesse, sagte der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher in einem Interview.
Wichtige Handelspartner
Wie eng die Verflechtungen sind, ist gar nicht so einfach darzustellen. Statistische Daten gibt es zwar für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, zum Teil auch zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz, aber kaum für jene zwischen Baden-Württemberg und Zürich. Für Zürich muss man deshalb vielfach Plausibilitätsüberlegungen anstellen. Peter Moser vom kantonalen Statistischen Amt hat es in einer Studie versucht. Die wichtigsten Ergebnisse:
Ein Viertel der schweizerischen Exporte nach Deutschland gehen nach Baden-Württemberg, 15 Prozent der Schweizer Importe aus Deutschland kommen von dort. Baden-Württemberg ist damit der fünftwichtigste Aussenhandelspartner der Schweiz, bei den Exporten etwa gleich wichtig wie Grossbritannien, bei den Importen wie Österreich. Moser nimmt an, dass die Werte für die Grenzkantone und damit auch Zürich deutlich höher liegen.
Viergrösstes Exportland
Für Baden-Württemberg ist die Schweiz mit einem Exportvolumen von 8,9 Milliarden Euro und einem Anteil von 6 Prozent das viertgrösste Exportland. Bei den Importen steht die Schweiz mit einem Anteil von 8 Prozent auf Platz 5. Auch hier kann für die Grenzregionen ein noch höherer Wert angenommen werden.
Die Schweiz ist nach den Niederlanden der zweitgrösste Direktinvestor in Baden-Württemberg und liegt damit vor den USA und Frankreich. Die Schweizer Direktinvestitionen machen rund 11 Milliarden Euro oder 16 Prozent der Auslandsinvestitionen aus. Grosse Teile der südbadischen Industrialisierung gingen von der Schweiz aus. Umgekehrt beträgt der Anteil der Direktinvestitionen Baden-Württembergs in der Schweiz nur etwa 3 Prozent.
Der Detailhandel im Gebiet Hochrhein-Bodensee macht mit Schweizer Konsumenten einen Umsatz von rund 700 Millionen Euro jährlich. Von hundert verfügbaren Franken geben die Schweizer etwa drei in Baden-Württemberg aus. Vor allem Agrarprodukte locken; etwa 10 Prozent des Schweizer Fleischkonsums wird im Ausland eingekauft. Die Schweizer kaufen etwa fünfmal mehr in Baden-Württemberg ein als umgekehrt. In den grenznahen Regionen des Zürcher Wirtschaftsraum dürfte der Anteil noch deutlich höher sein.
Im Kanton Zürich arbeiten etwa 4400, im gesamten Zürcher Wirtschaftsraum (AG, ZH, SH, TG) etwa 18 800 Grenzgänger aus Deutschland, die fast ausschliesslich aus Baden-Württemberg stammen. Allerdings beschränkt sich der Austausch auf einen schmalen Korridor von etwa zehn Kilometern beidseits der Grenze, wo der Anteil der Grenzgänger bis zu 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen kann. Schweizer Grenzgänger gibt es kaum.
Mit einem Anteil von 15 Prozent der Hotelübernachtungen sind die Schweizer die wichtigsten Auslandgäste in Baden-Württemberg. In der Grenzregion Hochrhein-Bodensee sind es mit 73\'000 Übernachtungen sogar 33 Prozent (2004). Allerdings profitiert die Region Hochrhein vor allem vom deutschen Binnentourismus. Der Anteil der Schweizer am Total der Übernachtungen beträgt entsprechend nur 4 Prozent. Umgekehrt haben im Kanton Zürich letztes Jahr deutsche Touristen rund 686\'000 Logiernächte gebucht.
In den grenznahen Regionen Baden-Württembergs hat der Flughafen Zürich einen Marktanteil von etwa einem Viertel. Von den 10,7 Millionen Einwohnern Baden-Württembergs fliegen etwa 4 Prozent von Zürich aus.
«Süddeutschland profitiert»
Am engsten schliessen sich die deutsche und die schweizerische Wirtschaft im Rheingraben zusammen, wo von Basel bis Mannheim praktisch ein durchgehender Wirtschaftsraum besteht. Zwischen Zürich und Stuttgart schiebt sich dagegen ein rund 200 Kilometer breiter, dünn besiedelter Gürtel, in dem vornehmlich Landwirtschaft und Tourismus betrieben wird. Moser ist dennoch überzeugt, dass die Nachbarschaft der Schweiz für die Landkreise entlang der Grenze von Vorteil ist: «Die Landkreise profitieren. Die Nähe mildert ihre strukturellen Probleme.»
Für die Fluglärmverhandlungen ist das allerdings ohne Bedeutung. Wirtschaftliche Verflechtungen sind kein Druckmittel. Niemand hat ein Interesse daran, den Austausch zwischen zwei so hoch entwickelten und eng verflochtenen Wirtschaften wieder zu unterbinden. Und zusätzliche Gegengeschäfte hat die deutsche Seite bisher stets abgelehnt.
Tages-Anzeiger 31.07.2007