Rund um den Flughafen Zürich werden mehr Wohnungen gebaut als je zuvor. Flughafen- Chef Felder fordert den Kanton Zürich zu einem Planungsstopp auf, bis die neuen Flugrouten feststehen. Der Kanton winkt ab.
Francesco Benini
Der Flughafen Zürich verlangt vom Kanton einen Planungsstopp für den Bau von Wohnungen in flughafennahen Gemeinden. «Man sollte damit aufhören, dort neue Wohnungen zu bewilligen, wo heute und künftig geflogen wird oder geflogen werden könnte», sagt Flughafen-Chef Josef Felder.
In den Gemeinden rund um den Flughafen sind in den vergangenen fünf Jahren sehr viele Wohnungen erstellt worden. Erhebungen des Statistisches Amtes des Kantons Zürich zeigen, dass von 2002 bis 2005 alleine in den Gemeinden Bassersdorf (östlich des Flughafens), Buchs (westlich) und Bachenbülach (nördlich) 1329 Wohnungen gebaut worden sind. Die drei Gemeinden liegen an der Spitze der Rangliste, welche die neu erstellten Wohnungen mit dem Totalbestand der Wohnungen in den einzelnen Ortschaften vergleicht. In Bassersdorf sind 17,6 Prozent der Wohnungen nach 2002 erstellt worden, in Buchs 15,7 Prozent, in Bachenbülach 15,2 Prozent. Auch weitere flughafennahe Gemeinden wie Otelfingen, Neerach und Niederglatt sind weit oben auf dieser Liste.
Der Bauboom in Flughafennähe ist für Flughafen-Chef Felder ein Zeichen dafür, dass die öffentliche Diskussion um den Flughafen «vielschichtig und irrational» verlaufe. «In der öffentlichen Wahrnehmung kann man rund um den Flughafen nicht mehr leben. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren sehr nahe am Flughafen viele neue Wohnungen gebaut. Das passt nicht zusammen», erklärt Felder. Er ist nicht glücklich über die Entwicklung, denn er befürchtet, dass Personen, die jetzt in die Nähe des Flughafens ziehen, in Zukunft Entschädigungen für den Fluglärm fordern könnten. Solange der SIL-Prozess laufe (die vom Bund geleitete Erarbeitung des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt, Grundlage des künftigen Betriebsreglements des Flughafen) und nicht klar sei, wie der Flugbetrieb des Flughafens mittel- und langfristig aussehe, sei es ein Unding, weiter Wohnungen in den An- und Abflugschneisen zu erstellen. «Erforderlich ist jetzt ein Planungsstopp, den der Kanton verhängen müsste», sagt Felder.
Der Flughafen-Chef findet beim Kanton Zürich kein Gehör. Christian Gabathuler, Chef des Amts für Raumordnung und Vermessung, bezeichnet die Haltung des Flughafens als «verständlich». Ein genereller Planungsstopp für den Wohnungsbau in der Nähe des Flughafens komme aber nicht in Frage. Das neue Betriebsreglement des Flughafens sei nicht vor 2009 zu erwarten. «So lange kann man die Leute, die jetzt Wohnungen in rechtmässig festgelegten Bauzonen erstellen möchten, nicht hinhalten», sagt Kantonsplaner Gabathuler. Die Schliessung von Baulücken in den flughafennahen Gemeinden werde grundsätzlich bewilligt, sofern die Alarmgrenzwerte nicht überschritten seien. Liege das Grundstück in einer Zone, in welcher der Immissionsgrenzwert erreicht werde, müsse der Kanton einer Baubewilligung zustimmen. Die Fachstelle Lärmschutz achte zudem darauf, dass die Mauern und Decken dick genug seien und die Fenster den Lärm abhielten.
In den Gemeinden stösst die Haltung des Flughafens auf Kritik. «Es geht den Flughafen absolut nichts an, was in Bassersdorf gebaut wird und was nicht», sagt Gemeindepräsident Franz Zemp. Ein Planungsstopp wäre völlig falsch. «Die Leute haben Land und wollen hier leben. Dagegen gibt es nichts einzuwenden», so Zemp. Die Bassersdorfer seien nicht gegen den Flughafen eingestellt. Das heisse aber nicht, dass die Flughafenleitung grosse Töne spucken könne. Luzius Schöb, Gemeindepräsident von Buchs, sagt, eine «Blockierung der Dorfentwicklung» könne man nicht hinnehmen. «Wer nach Buchs zieht, nimmt den Fluglärm in Kauf», betont er. Der Gemeindepräsident von Bachenbülach, Franz Bieger, sagt, die Gemeinde habe kein akutes Fluglärmproblem. Bei allen realistischen Betriebsvarianten werde sich die Situation der Gemeinde nicht grundsätzlich verändern. Schlimm wäre erst der Bau der Parallelpiste.
Kantonsplaner Gabathuler stimmt Flughafen-Chef Felder in einem Punkt zu: Auf lange Frist seien in den flughafennahen und lärmbelasteten Gebieten «Umstrukturierungen» sinnvoll - weniger Wohnungen, dafür mehr Industrie- und Dienstleistungsbetriebe.
24.12.2006, NZZ am Sonntag, Seite11