Seit die Flugzeuge über sein Haus donnern, ist diese Haltung ins Wanken geraten.
Von Barbara Bürer
Zumikon. – Das wars, habe er gedacht. Und über die eine Hand, die flach in der Luft liegt, schiebt er die andere. Seit jenem Moment, als zwei Flugzeuge sich kreuzten, wisse er, dass die Flieger, die über sein Eigenheim hinwegkrachen, nicht nur laut, sondern auch «ein Sicherheitsrisiko» sind. Irgendwann rase mal einer in ein Haus.
Um jenen Moment zu illustrieren, bittet Walter Bader auf die Terrasse hinaus. Es ist dunkel wie an jenem 2. März 2006. «Sehen Sie dort die Baumwipfel» Darüber, sagt er, sei die DC-3 gekommen, tief, tief unten, «da duckst du dich und glaubst, du spinnst.» Umso mehr, als gleichzeitig ein Düsenjet im Südanflug Richtung Flughafen über das Propellerflugzeug donnerte. Natürlich rief er sofort Unique an, dann die Flugsicherung Skyguide, schilderte, was er gesehen hatte. Skyguide bat um einen schriftlichen Bericht. Was er tat. Zur Antwort bekam er, dass das Kreuzungsmanöver nie gefährlich gewesen sei; nach der Analyse der Radarbilder hätten sich die beiden Flugzeuge mit einem Höhenunterschied von rund 600 Metern gekreuzt, vorgeschrieben wären 300 Meter. Man habe, liess sich Skyguide in einer entsprechenden TA–Meldung zitieren, «alles unter Kontrolle» gehabt. Wobei die DC-3 die Minimalhöhe über dicht besiedeltem Gebiet (300 Meter) kaum eingehalten hat.
Walter Bader blättert in einem Berg von Papieren. Was hat er nicht schon alles verfasst, wem nicht geschrieben! Einen fünfseitigen Brief etwa an den «sehr geehrten Herrn Bundesrat Leuenberger», mit Kopie an Rita Fuhrer, in dem er unter fett gedruckten Kapiteln auflistete, was die Südanflüge anrichten. (Moritz Leuenberger hat zurückgeschrieben und ein «Fact Sheet» beigelegt, worin all das, was beschäftigt – Staatsvertrag, deutsche Verordnung, Anflugrouten –, erklärt wird.)
Nie mit Fluglärm gerechnet
Nun, für Bader ist das alles Papier. Verharmlosung. Hinhaltetaktik. Manchmal auch nur «schnöde Reaktionen», als wollte man ihnen, die sich wehrten, insinuieren: geschieht euch recht, ihr Superreichen der Goldküste! Da muss er dann gleich berichtigen: Zumikon liegt nicht an der Goldküste, so wenig wie Gockhausen und schon gar nicht Schwamendingen.
Er sagt auch: «Wenn ich superreich wäre, könnte ich einfach wegziehen.» Doch will er das nicht, zu gut gefällt ihm und seiner vierköpfigen Familie der Ort, grün, nah zur Stadt. 1997 sind sie von Zürich nach Zumikon gezogen. In der kantonalen Raumplanung, die er sich vor dem Kauf des Reiheneinfamilienhauses genau ansah, «wurde das Gebiet um Zumikon und die Forch als Naherholungsgebiet aufgeführt ». Weshalb mit Fluglärm «nie und nimmer gerechnet werden musste».
Dann kam, wir wissen es, alles anders. Erst noch, sagt Bader, auf die Schnelle, «innert sechs Monaten» und stets mit «provisorisch » begründet. Das hiess: 6.03 Uhr, peng! Wach, wenn der erste laute Jet kommt; und alle drei Minuten «donnern sie in geringer Höhe über mein Haus», schrieb er im Brief an Bundesrat Leuenberger: «Man sieht die Lichter schon von weitem herannahen: Bereits über dem Üetliberg, anschliessend über dem oberen Zürichsee, und schliesslich dreht die Maschine Richtung Pfannenstiel direkt auf mich zu. Nun sehe ich sogar die Menschen hinter den Fenstern der Maschine.» Seit dem 30. Oktober 2003 ist das so. Seit das Raumplanungsgesetz via Notrecht («wo ist hier die Not?») ausser Kraft gesetzt worden sei. Seither kämpft er gegen das Unrecht. Klagte gegen Unique auf Schadenersatz. Schrieb und schreibt Briefe an Rita Fuhrer, die, als sie das Flughafendossier übernahm, «hoffnungsvoll» begann. Inzwischen aber ist Bader von ihr enttäuscht, weil sie so anders reden würde als früher und mit dem Zürcher Fluglärm-Index falsche Tatsachen vorgaukle.
Und Bader gehört auch zu jenen, welche die Bundessteuer 2004 (noch) nicht bezahlt haben: «Eigentlich finde ich es nicht richtig, mir auf diesem Weg Gehör zu verschaffen. Aber wenns nicht anders geht?»
Mit Spruchbändern auf der Strasse
Im Grunde genommen ist Walter Bader kein «Protestler». Dezidiert zwar in seiner Meinung. Doch dass er, zusammen mit Frau und Kindern, einmal (mehrmals sogar) mit Spruchbändern auf die Strasse gehen würde – nein, das hätte er vor ein paar Jahren nie gedacht. 41-jährig, aufgewachsen im Appenzellischen, Betriebsökonom, parteilos, der FDP zugetan: Er glaubte an den Staat, an die «tolle Möglichkeit» der direkten Demokratie, an Recht und Ordnung und daran, dass die Gesetze richtig angewendet würden. An dieser Stelle wirft seine Frau, eine Hamburgerin, ein, dass es in der Schweiz, anders als in Deutschland, unüblich sei, am eigenen Land zu zweifeln. Und darum bewundere sie die Wandlung ihres Mannes und dessen Hartnäckigkeit. Noch fast an jedem Wochenende ruft Walter Bader die Lärmhotline der Unique an. Auch wenn er glaubt, dass ihm der Student am Telefon gar nicht richtig zuhöre und vermutlich «Striche für die Statistik» mache, tun ihm die Anrufe gut. Irgendwo müsse er seinen Frust abladen können.
Zudem dürfe der Protest nicht verstummen. Sonst hätten die Politiker erreicht, was sie wollten: auf Zeit spielen, darauf wartend, dass der kämpferische Pfuus der Südschneiser irgendwann draussen sei.
Allerdings sei der Protest nicht weniger geworden und werde von «einzelnen Politikern massiv unterschätzt». Was, so Bader, Folgen haben könnte, wenn sich einige wenige der Schneiser, von der «Ignoranz der Regierung» provoziert, zu radikalisieren beginnen. «Das ist gefährlich, das könnte zur Eskalation führen.»
06.12.2006, Tages-Anzeiger, Seite 19