Glattbrugg, Schwamendingen oder Dübendorf werden die Gebeutelten der Südanflüge sein, nicht Orte wie Zollikon, Küsnacht, Erlenbach und Herrliberg.
Von Jürg Schmid
Im Frühsommer 2000 erwachten viele Goldküstenbewohner aus ihrem Dornröschenschlaf. Dannzumal dröhnten Langstreckenjets über die Dächer ihrer Häuser und den See hinweg. Denn wegen des Tunnelbaus für das neue Dock zwischen den Pisten in Kloten hatte die Westpiste vorübergehend gesperrt werden müssen. Entrüstete Gemeindevertreter warnten bereits vor einer Kerosinküste und dem Auszug gut Betuchter in ruhigere Steuerparadiese ennet der Kantonsgrenze. Nach der Pistensperrung formierte sich auch im weiteren Süden des Flughafens der Widerstand. Denn mit dem Staatsvertrag drohte den Sonnenterrassen am rechten Ufer neues Ungemach. Die Gemeindepräsidenten der Bezirke Meilen, Uster und Pfäffikon schlossen sich zum Fluglärmforum Süd zusammen. Und mit einem informativen Internetauftritt, gut besuchten Veranstaltungen und Lobbying kämpft der Verein Flugschneise Süd Nein (VFSN) seit Monaten zusehends militanter gegen die geplanten Anflüge über den Pfannenstiel auf die Piste 34 in Kloten. Diese will jetzt auch die Zürcher Regierung wegen der Flugbeschränkungen über Süddeutschland «notgedrungen in Kauf nehmen» (TA von gestern).
Erst ab Meilen wirds lauter
Werden nun Dörfer an der Goldküste wie Zollikon, Küsnacht, Erlenbach und Herrliberg neu zu Fluglärmgettos wie Rümlang, Opfikon-Glattbrugg, Wallisellen Dübendorf oder Kloten? Dem ist nicht so. Die von Südanflügen am stärksten betroffenen Siedlungen liegen zwischen dem Pfannenstielrücken und dem Greifensee sowie in der Nähe der Landepiste. Dies zeigt eine Karte mit Profil (siehe Grafik), welche der VFSN auf Grund von Daten der Empa und Unique erarbeitet hatte.
Gemäss der Karte kommen nebst der Albiskette, gewissen Ostregionen und Teilen des Oberlandes erst die Seegemeinden Meilen, Männedorf und Stäfa unter eine Schneise zu liegen, wo die Gefahr besteht, dass Einwohner bei Anflügen am frühen Morgen ab 5.30 Uhr aufwachen können. Der Pegel von 60 Dezibel gilt unter Lärmfachleuten als Aufwachschwelle.
Die Jets aus Westen, Norden und Osten, die rund 16 Kilometer von der Landepiste entfernt in einem Winkel von drei Grad absinken werden, überfliegen die unterschiedlich hoch gelegenen Orte am Pfannenstiel in geringer Höhe: zum Beispiel rund 800 Meter über Hombrechtikon, 600 Meter über Egg, 300 Meter über Gockhausen und 200 bis 150 Meter über Dübendorf und Zürich-Schwamendingen. Erhebungen eines Einwohners der Region Forch zeigen, dass es über dem Chapf in Zumikon je nach Flugzeugtyp noch beträchtlichen Lärm geben kann. Jean-Pierre Schiltknecht, der auf dem Zollikerberg wohnt, ist laut eigenen Angaben ein langjähriger, unabhängiger Beobachter des Flugbetriebs in Kloten. Er hat auf dem Stadlerberg den Fluglärm gemessen. Dort sind die Jets beim Anflug rund 400 Meter über dem Berg, ungefähr gleich hoch wie über dem Chapf in Zumikon. Das Ergebnis: Der Durchschnitt der lautesten Jets habe 76 Dezibel ergeben, das Maximum 83 Dezibel, sagt Schiltknecht. Er weiss zwar, dass es an der unteren Goldküsteeine ruhigere Schneise gibt. «Doch das ist nur die eine Seite der Medaille; es gibt noch die Abflüge Richtung Süden.» Schiltknecht räumt aber ein, «dass es in Schwamendingen ganz schlimm werden könnte.»
Der Fluglärm ist nicht nur in Dezibel fassbar. Tiefe Überflüge können für viele Menschen bedrohlich und deshalb auch lauter wirken. Klar ist: Am lärmigsten wird es mit den Südanflügen unter und neben der Endanflugachse von Gockhausen über Dübendorf und Zürich-Schwamendingen bis Glattbrugg. Dort muss Unique wegen der Gefahr von Randwirbeln die Dachziegel klammern.
Zürcher Haltung für Bund wichtig
Wann die Südanflüge kommen, ist nach wie vor ungewiss. Der Regierungsrat möchte die Frist bis Herbst 2004 verlängern. Deutschland will bereits ab dem kommenden 10. Juli strengere Auflagen erlassen. «Das kann wohl nicht das letzte Wort aus Deutschland gewesen sein», sagte Hugo Schittenhelm, Pressesprecher von Moritz Leuenbergers Verkehrsdepartement. Um in Berlin und Brüssel auf der politischen und juristischen Ebene verhandeln zu können, sei die Position der Zürcher Regierung zu den Südanflügen ein sehr wichtiges Element.
Derweil gehen die Arbeiten an der technischen Aufrüstung der Piste 34 weiter. Wie schon im letzten Jahr für die Piste 28, wird vom 2. bis 6. Juni ein bestimmter Antennentyp für das Instrumentenlandesystem getestet. Dies bedeutet, dass ein Messflugzeug rund 50-mal von Süden her auf die Piste 34 anfliegt, jeweils von 12 Uhr bis 18 Uhr, wie Unique am Freitag mitteilte. Der Anflug beginne im Raum Meilen/Männedorf und folge entlang dem Pfannenstiel bis über die Pistenschwelle. Nach einer Linkskurve werde über den Zürichsee wieder retourgeflogen, um den Anflug zu wiederholen. Unique rechnet damit, dass das Instrumentenlandesystem ab Herbst 2004 zur Verfügung steht. Bis dann soll Deutschland mit den Zürcher Südanwohnern ein Einsehen haben. Im Osten des Flughafens würde ein Aufschub aber für zusätzliche Verbitterung sorgen.