Bis vor einigen Jahren gehörten Drohungen aus dem Hause Swiss fast schon zur Tagesordnung. Zu hohe Lohnforderungen der Piloten, zu teure Gebühren des Flughafens Zürich, zu strikte Regulierungen von Bern – der einstige Chef Harry Hohmeister warnte stets vor den Folgen. Nicht selten endete dies in der Drohung, Zürich den Rücken zu kehren. Intern erhielt der Norddeutsche den Spitznamen «Drohmeister».
Unter seinem Nachfolger Thomas Klühr, seit 2016 an Bord, ist es ruhiger geworden. Wohl auch, weil die Swiss dank modernen Flugzeugen Rekordergebnisse präsentieren kann und keine grossen Gewerkschaftskämpfe austragen muss. Zu beklagen gibt es höchstens die Verspätungen in Kloten und den Fluglotsenmangel in Europa. Doch nun ist die Swiss mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. In der Klimadebatte ist die Aviatik wegen ihrer Treibhausgas-Emissionen zum Sündenbock erkoren worden. Im Zuge davon drohen stärkere Betriebseinschränkungen und eine CO2-Besteuerung der Flugtickets.
«Könnte Fass zum Überlaufen bringen»
Nun schlägt die Swiss wieder härtere Töne an. In ihrem neusten Lobbying-Magazin, das sie regelmässig an Politiker und Interessensvertreter verschickt, betont sie die Bedeutung des Drehkreuzes Zürich für die heimische Volkswirtschaft. Dabei zeichnet die Airline ein Bild eines äusserst fragilen Systems, eines Kartenhauses, das zusammenzubrechen drohe:
«In der aktuellen Debatte, wie der Luftverkehr in Bezug auf den Klimawandel in die Pflicht genommen werden soll, geistern Konzepte herum, die als direkte Angriffe auf den Drehkreuzbetrieb zu werten sind.» Dieser sei schon heute am Limit und drohe aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Die Logik hinter dem Drehkreuz- oder Hub-Modell: Weil die lokale Nachfrage nicht ausreicht, um ein grosses Langstrecken-Netz zu betreiben, braucht die Swiss Kurzstreckenflüge. Diese liefern die Umsteigepassagiere aus dem Ausland für die nötige Auslastung auf der Langstrecke. Ohne Kurzstrecke keine Langstrecke – und umgekehrt, so das Argument der Swiss.
Bye-bye Tokyo und San Francisco?
Heute fliegt die Swiss 24 Langstreckenziele an. «Gäbe es kein Drehkreuz, würde die lokale Nachfrage ausreichen, um maximal fünf Langstreckendestinationen zu bedienen», heisst es im Artikel. Heisst indirekt, dass 19 Langstrecken bedroht wären. Vor einem Jahr, noch vor den weltweiten Klimastreiks, listete die Swiss vor einem Fachpublikum die fünf wichtigsten Langstreckenziele auf: New York, Tel Aviv, Dubai, Bangkok und Singapur. Für Ziele wie Tokyo, San Francisco, Boston, Delhi oder Montreal hätte 2018 die lokale Nachfrage hingegen nicht genügt. Eine Swiss-Sprecherin will die Berechnung dafür nicht im Detail darlegen. «Es handelt sich hierbei aber sicherlich um seit Jahren sehr beliebte Swiss-Destinationen.»
Auf Nachfrage bekräftigt die Swiss ihre Drohung aus ihrem Polit-Magazin. Das Drehkreuz in Zürich sei ein optimal abgestimmtes System.
Denn das Swiss-Netzwerk funktioniere aufgrund von Skaleneffekten. Und wenn diese wegen Betriebsbeschränkungen oder Abgaben nicht mehr wirken, sei relativ rasch die Wirtschaftlichkeit des gesamten Drehkreuzes bedroht. «Ein grösserer Streckenabbau wäre die Folge.» Laut der Sprecherin wäre der Abbau nicht graduell. Heisst: Wird ein kritischer Punkt erreicht, fallen gleich mehrere Flüge weg.
Experte erachtet Risiko als gross
Ist dieses Szenario realistisch? Andreas Wittmer, Leiter des Center for Aviation Competence an der Universität St.Gallen, erachtet das Risiko als gross, «dass plötzlich das ganze System infrage gestellt ist und Langstreckenflüge stark abgebaut würden.»
In diesem Fall könnte die Swiss-Eigentümerin Lufthansa die Langstreckenflüge von Zürich an ihre Drehkreuze in Wien, München oder Frankfurt verlagern. «Das wäre das Worst-Case-Szenario. Die Swiss würde dann theoretisch nur noch Kurzstreckenflüge zu diesen Hubs durchführen, was ihre langfristige Daseinsberechtigung als Marke infrage stellen würde», sagt der Aviatik-Experte.
«Grosse wirtschaftliche Folgen»
Auch der Flughafen Zürich nimmt die Warnungen offenbar ernst. Im kantonalen Flughafenbericht heisst es, dass man die Konzernstrategie der Lufthansa-Gruppe und deren Auswirkungen auf den Hub Zürich laufend analysiere. Sollte sich die Lufthansa-Gruppe von Kloten zurückziehen, bestünde ein entsprechender Massnahmenplan, um neue Airlines für die Übernahme von Direktverbindungen zu gewinnen.
Vorerst würde die Schweiz laut Aviatik-Experte Wittmer aber die direkte Anbindung zu vielen Ländern verlieren.
Dabei sei sich die Wissenschaft einig darüber, dass Drehkreuze eine positive Wirkung auf lokale Volkswirtschaften haben.
Reine Drohkulisse?
Dennoch hat Wittmer gewisse Bedenken. Die Frage, wie viele Langstreckenflüge übrig blieben aufgrund der lokalen Nachfrage, sei sehr theoretisch und kaum mit einer genauen Zahl zu beziffern. Und inwiefern ist die Drohung eine Folge der Übernahme der Swiss durch die Lufthansa, die aufgrund ihrer Grösse Alternativen zu Zürich hat? «Die Swissair hätte nicht damit drohen können, nach München oder Wien abzuwandern», sagt Wittmer.
Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und ehemaliger Präsident der Flughafengemeinde Rümlang, nimmt die Drohkulisse weniger ernst. Er sieht das Problem in der Eigentümerschaft der Lufthansa: «Der Entscheid, mit grossen Boeing-777-Flugzeugen ab Zürich so viele Langstreckenziele anzufliegen, wird in Frankfurt gefällt. Das ist kein Entscheid für die Schweizer Volkswirtschaft, sondern für die Gewinnzahlen der Lufthansa.»
Hardegger glaubt nicht, dass das Hub-System in Gefahr ist oder dass Grosskonzerne abwandern würden. Es gebe nebst den direkten Verkehrsanbindungen noch andere wichtige Standortfaktoren für internationale Firmen. Der Bund fordere zwar die Anbindung der Schweiz nur an die wichtigsten Auslandmetropolen. «Aber es müssen ja nicht unbedingt 24 sein. Zehn oder zwölf würden auch reichen. Einmal Umsteigen ist zumutbar.» Und die vielen Umsteigepassagiere brächten der hiesigen Wirtschaft keine Wertschöpfung, sondern bloss mehr Verkehr.