Michael von Ledebur
Die kleine Flughafengemeinde Höri will sich entwickeln und gerät dabei ins Gestrüpp der Vorgaben. Neben der Lärmschutzverordnung des Bundes als gesetzlicher Grundlage zählt nämlich auch der Zürcher Fluglärmindex (ZFI). Der ZFI hält fest, wie viele Personen im Kanton von Fluglärm betroffen sind. Mehr als 47\'000 Personen dürften es nicht sein. Ein Wert, der Jahr für Jahr um rund einen Drittel überschritten wird, ohne dass dies Konsequenzen zeitigt. Für die Überschreitung gibt es zwei Gründe: Flüge nach 22 Uhr werden im Index stark gewichtet; sie kommen aber häufig vor. Und die Flughafenregion verzeichnet das stärkste Bevölkerungswachstum im Kanton Zürich. Damit wächst der Personenkreis potenziell betroffener Personen mit jedem Jahr.
Dürfen Flughafengemeinden angesichts dessen überhaupt noch wachsen – oder produzieren sie damit nicht zusätzlich neue Lärmgeschädigte nach ZFI? Thomas Hardegger, Gemeindepräsident von Rümlang, SP-Nationalrat und Präsident des Flughafen-Schutzverbandes, sagt, es sei ein Fehlschluss, anzunehmen, dass keine Leute zuzögen, wenn sich die Gemeinden passiv verhielten. Anschauungsmaterial böte die Stadt Opfikon, wo in stark belasteten Quartieren und schlecht unterhaltenen Liegenschaften aufgrund des tiefen Mietzinses vor allem Migranten und kinderreiche Familien zuzögen. Die Liegenschaften würden so nun von sehr viel mehr Leuten bewohnt, als das ursprünglich der Fall gewesen sei.
Auch diese Leute hätten einen Anspruch auf Schutz. Deshalb begrüsst es Hardegger, dass Gemeinden Anreize für Sanierungen setzen. Hingegen hält er neue Wohnhäuser auf der grünen Wiese in Zonen, in denen die Alarmwerte überschritten sind, für Unsinn. Dort,wo man um zu hohe Lärmbelastung wisse, seien neue Wohnnutzungen nicht angezeigt.
SVP-Kantonsrat Christian Lucek ortet das Problem nicht beim Bevölkerungswachstum und nicht bei den Gemeinden, sondern beim Fluglärmindex. Dieser müsse dringend angepasst werden. Ein entsprechender Vorstoss von CVP, FDP und SVP ist im Kantonsrat hängig. Lucek sagt: «Es kann nicht sein, dass Personen, die im Bewusstsein des Flughafens vor der Haustüre in die Region ziehen, den Index negativ beeinflussen.» Das Fluglärmproblem werde aufgrund der technologischen Entwicklung hin zu leiseren Flugzeugen kleiner. Die Fluglärmkurve rund um den Flughafen schmelze wie ein Gletscher im Hochgebirge. «Und dennoch gibt es laut ZFI immer mehr Betroffene.»
Wie der ZFI genau angepasst werden soll, lässt Lucek offen. Aber man könne beispielsweise die Zahl der Betroffenen in einem bestimmten Jahr einfrieren und weiteres Bevölkerungswachstum nicht mehr mitzählen. Das diente auch den Gemeinden. «Wenn es der Richtplan erlaubt, sollen sie wachsen können.» Neubauten verfügten heute über viel besseren Schallschutz als früher. Für ungebremstes Wachstum sei er aber nicht.
Der ZFI wurde 2007 als Gegenvorschlag des Regierungsrats zu einer Volksinitiative eingeführt, die rigide Beschränkungen der Flugbewegungen gefordert hatte. Dieser Volkswille werde durch eine ZFI-Anpassung nicht missachtet, sagt Lucek, denn im Gegenvorschlag sei lediglich von einem Monitoring die Rede gewesen, nicht von der Form. Gegenteiliger Ansicht ist Hardegger: Die Regierung habe sich auf die Zahl von 47\'000 Betroffenen festgelegt im Wissen um das Potenzial in den damals gültigen Bauzonen. «An dieses Versprechen hat sich die Regierung zu halten.» Deshalb müsse man den Betrieb so organisieren, dass die nächtlichen Sperrzeiten eingehalten werden können. Wann der ZFI-Vorstoss in den Kantonsrat kommt, ist offen.