Worum es beim Fluglärmstreit geht (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Gastkommentar

Flughafen und Medien geben alles, um die Bewohner verschiedener Regionen gegeneinander aufzuhetzen.

Matthias Dutli

Bei den Debatten um den Zürcher Flughafen wird die wichtigste Tatsache ausser acht gelassen. In erster Linie geht es weder um Lärm noch um Sicherheit, nicht um Arbeitsplätze oder Gerechtigkeit. Es geht darum, dass unsere Gesetze missachtet werden, und zwar vom Bund.

Deshalb zur Erinnerung: Der Flughafen wurde in den fünfziger Jahren in Betrieb genommen. Ausgehend von den Flugrouten sind Siedlungen gewachsen – am meisten dort, wo es keine Schneise gab. Entgegen behördenverbindlichen Richtplänen, Umweltschutz- und Raumplanungsgesetzen wurden 2003 die Südanflüge quasi per Notrecht eingeführt – bis es eine andere Lösung gebe, hiess es damals von offizieller Seite. Seither hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) keine Lösungen präsentiert und insbesondere dem gekröpften Nordanflug nicht zum Durchbruch verholfen. Die Südroute soll nun aber auch für Starts geöffnet werden.

Sämtliche Argumente für eine Erweiterung des Flughafens wie Sicherheit, Abnahme von Verspätungen, mit falschen Prognosen begründeter Kapazitätsmangel usw. wurden widerlegt. Die sachlichen Argumente wurden beim Bazl aber nicht aufgenommen. Sollte der Zürcher Fluglärmindex, wie der Flughafen jetzt fordert, abgeschafft werden, wäre das nur eine weitere Runde im seit 2003 dauernden Spiel «Die Regierung hintergeht ihre Bevölkerung». Sie missachtet Volksentscheide (fünfte Etappe im Ausbau des Flughafens, die Ablehnung der Lärmverteilungsinitiative). Sie wartet mit der juristischen Arbeit, bis Missstände normal geworden sind.

So wurde die Beschwerde gegen die Südroute von 2003 erst 2008 bearbeitet. Östlich des Flughafens werden Enteignungsverfahren seit Jahren gar nicht mehr behandelt – die zuständige Schätzungskommission sei unterdotiert (NZZ 28. 12. 17). Sie nimmt der Bevölkerung jede rechtliche Möglichkeit, sich zu wehren, so kann nur Anspruch auf Entschädigung bekommen, wer seine Immobilie vor 1961 gekauft hat und heute gegen neunzig Jahre alt sein dürfte. Mieter können nicht klagen und sind machtlos, wenn sich der Vermieter nicht für sie einsetzt und zum Beispiel keine Fensterschliessmotoren beantragt.

Derweil geben Flughafen und Medien alles, um die Bewohner verschiedener Regionen gegeneinander aufzuhetzen. Was immer weniger gelingt, denn die sogenannten Fluglärmgegner haben längst gemerkt, dass sie zusammenarbeiten müssen, um sich zu wehren: beispielsweise gegen das vorgeschlagene Lärmgebührenmodell, das ausgerechnet die lautesten Flugzeuge in der Nacht von Lärmbussen befreien will. Oder gegen die Forderungen des Flughafens nach mehr Routen, Schnellabrollwegen, Pistenausbauten usw. für einen möglicherweise nie kommenden Kapazitätsengpass – die Flugbewegungen stagnieren dank besser ausgelasteten Maschinen seit Jahren!

Wo auch immer wir wohnen, uns beschäftigen dieselben Fragen: Warum fördert der Bund den Flughafen so stark? Weshalb ist Fliegen im Vergleich zu Bahnfahren viel zu billig? Weshalb bezahlt der Flughafen keine Abgaben für seine CO2-Emmissionen, obschon es das erklärte Ziel des Bundesrats ist, den CO2-Ausstoss zu senken? Weshalb wird der Flughafen, der gerade einmal vier Prozent zur Wertschöpfung des Kantons Zürich beiträgt, gebetsmühlenartig als Wirtschaftsmotor bezeichnet? Warum setzt der Bund die Wünsche Deutschlands so konsequent um, statt mittels starken Auftretens in Berlin die Interessen des eigenen Landes einzufordern?

Hoffen wir, dass der Zürcher Regierungsrat seine Verantwortung wahrnimmt und dabei die Interessen der eigenen Bevölkerung höher einstuft als die wirtschaftlichen eines deutschen Luftfahrtkonzerns, indem er von seinem Vetorecht im Verwaltungsrat der Flughafen Zürich AG Gebrauch macht.

Matthias Dutli ist Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein.

NZZ, 31.01.2018