Seit mehr als vier Jahrzehnten schwelt die Auseinandersetzung um die Zunahme des Flugverkehrs über Südbaden. Jetzt könnte Bewegung in den schweizerisch-deutschen Streit im Zusammenhang mit dem Ausbau des Zürcher Flughafens kommen.
Der Grund dafür liegt unter anderem im Bau sogenannter Schnellabrollwege, die in Kloten auf den Pisten 28 und 32 nach Angaben des Flughafens für mehr Starts und Landungen sorgen sollen. In diese Maßnahmen investiert Zürich bis zu 40 Millionen Schweizer Franken. Hinzu kommt die Umsetzung des Betriebsreglements 14, das unter anderem neue Anflugrouten über Südbaden vorsieht.
Nach Ansicht Berns sind die baulichen Maßnahmen eine rein schweizerische Angelegenheit. Doch darin könnte sich die Schweiz getäuscht haben. Denn inzwischen ist auf deutscher Seite eine Initiative unterwegs, die zu einer rechtlichen Klärung führen könnte – mit ungewissem Ausgang auch für den Flughafen.
Es geht um Transparenz
So hatte die Bundesrepublik ebenso wie die Schweiz in den 1990er Jahren die Espoo-Konvention ratifiziert. Diese internationale Vereinbarung verlangt Transparenz bei baulichen Maßnahmen von transnationaler Bedeutung. Die Vereinbarung sieht eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vor, sobald ein Planfeststellungsverfahren mit UVP und grenzüberschreitenden Folgen eröffnet wird.
Der Bau des britischen Atommeilers Hinkley Point ist ein Beispiel für die Pflicht zur grenzüberschreitenden UVP entsprechend Espoo. Der Verursacher hatte ein Espoo-Verfahren abgelehnt mit dem Hinweis, es gebe keine grenzüberschreitenden Auswirkungen.
Erst nach Intervention durch die UNECE (eine UN Organisation) wurden erste Informationen zum Vorhaben vorgelegt. Im Fall des Zürcher Flughafens sahen bislang weder das zuständige Umweltministerium noch das Land Baden-Württemberg Veranlassung, eine solche UVP von der Schweiz konsequent zu fordern. Zuletzt hatte das Umweltministerium bei einer solchen Studie abgewunken, weil die Eidgenossen diese nicht wollten.
Aus Bürgersicht scheint das aber nicht auszureichen, zumindest die vor einem halben Jahr ins Leben gerufene Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung Hochrhein sieht das anders. „Wir gehen davon aus, dass die Schweizer Seite angesichts der grenzüberschreitenden Folgen eine UVP anfertigen muss. Wenn es drauf ankommt, werden wir die Rolle Berlins juristisch klären lassen“, sagt Vorstandsmitglied Wolfgang Schu auf Anfrage.
Bürgerinitiative fordert Umweltministerium zum Handeln auf
Er und seine Mitstreiter sind offenkundig zuversichtlich, dass sie das juristische Tauziehen gewinnen werden. Mehrfach hatten sie vergebens Vorstöße unternommen, Land und Bund darauf festzulegen, von der Schweiz eine UVP nach den Espoo-Richtlinien zu verlangen. Dadurch, so ihre Argumentation, sei Bern zu Transparenz gezwungen und müsse belegen, warum der deutsche Luftraum zur Aufrechterhaltung des Betriebs in Kloten genutzt werden muss.
Es folgte vereinsintern der Beschluss zur rechtlichen Prüfung. Ein Spendenaufruf habe nach drei Wochen die notwendige fünfstellige Summe gebracht, so Schu. Bei der Suche nach einem Juristen, der die komplizierte Rechtsmaterie beherrscht, seien sie ebenfalls rasch fündig geworden. Es sei Martin Pagenkopf, ehemals Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig und Autor eines Kommentars zum Grundgesetz.
Eine 56 Seiten umfassende Expertise, die nur wenige kennen, kommt laut Schu zu dem Ergebnis, dass das Umweltministerium zum Schutz der Bürger tätig werden muss. Und hier setzt nun die BI an: In einem am 21. September abgesandten Schreiben an die Umweltministerin, das dieser Zeitung vorliegt, fordert die BI mit dem Gutachten im Rücken die Ministerin auf, tätig zu werden. „Gerne erwarten wir Ihre Bescheidung bis zum 30.10.2017.“ Eine Klage wird nicht ausgeschlossen.
Beim Bundesumweltministerium wird der Eingang des Schreibens zum 25. September bestätigt. Allerdings fühlt sich das derzeit noch SPD-geführte Ministerium offenbar nicht zuständig. So sei „auf deutscher Seite entschiedenes Handeln insbesondere des federführend zuständigen Bundesverkehrsministeriums notwendig“, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage dieser Zeitung. Ein Ablenkungsmanöver? Auch laut der eigenen Homepage liegt die Zuständigkeit für eine UVP nach Espoo beim Umweltministerium.
Pistenerweiterungen
Die Pläne für den Zürcher Flughafen sehen eine Verlängerung der Piste 28 von 2500 Meter auf 2900 Meter vor. Darauf sollen dann alle Flugzeugtypen auch bei Nässe und Rückenwind landen können. Bisher müssen Langstreckenflugzeuge oft über Süden anfliegen. Die Verlängerung der Piste 32 von 3300 Meter auf 3700 Meter soll auch schweren Langstreckenflugzeugen einen Start ermöglichen. Schnellabrollwege erhöhen die Frequenz. (sk)