GASTKOMMENTAR von Lothar Ziörjen
Der Flughafen Zürich ist für die ganze Schweiz zentral. Der Bund versucht dem Rechnung zu tragen und bringt zwei wesentliche Neuerungen: einerseits die Möglichkeit von Pistenausbauten, um das An- und Abflugregime sicherer, stabiler und verspätungsresistenter zu machen. Andererseits sollen neu sogenannte Südabflüge geradeaus bei Bise und Nebel über die Quartiere im Norden, Westen und Süden der Stadt Zürich, über Dübendorf, den Pfannenstiel, Uster und mit Auswirkungen bis in die Gegend des oberen Zürichsees geflogen werden. Die Bevölkerung in einem der dichtestbesiedelten Gebiete der Schweiz würde damit noch mehr belastet. Diese Region trägt bereits heute mehr als einen Viertel des Fluglärms.
Flughafenpolitik soll emotional sein dürfen, grundsätzlich geht es aber um Fakten. Ohne Südabflüge geradeaus, erklären heute das Bundesamt für Zivilluftfahrt und der Flughafen Zürich unisono, sei die Sicherheitsmarge zu klein. Bedeutet dies, dass der Flugbetrieb heute in Kloten unsicher ist? Nicht einmal die ärgsten Flughafenkritiker würden dies behaupten. Unbestritten bleibt: Sicherheit muss in der Luft und am Boden jederzeit gleichermassen garantiert werden. Eine Tatsache lässt die geplanten Südabflüge geradeaus vor diesem Hintergrund in einem völlig anderen Licht erscheinen: Es gibt keine Flugroute, die mehr Menschen einem Absturzrisiko und dem maximal möglichen Fluglärm aussetzt, als An- und Abflüge über dem dichtbesiedelten Süden.
Wie unausgegoren der aktuelle Vorschlag aus Bern ist, zeigt sich in einem weiteren Punkt. Dem Flughafen sollen «ca. 13 000 Südabflüge» zustehen. Die Schätzung der Anzahl Südabflüge basiert auf der Schätzung der Anzahl Nebel- und Bisetage im Jahr und auf der Schätzung der prognostizierten und erneut korrigierten Entwicklung am Flughafen im Jahr 2030. In einem Rechtsstaat wie der Schweiz hat die betroffene Bevölkerung Anrecht auf eine verbindliche Regelung. Die Einführung von Südstarts geradeaus wäre der massivste Eingriff in das An- und Abflugregime des Flughafens Zürich seit der Durchsetzung der Südanflüge mit Notrecht. Schätzungen, welche Abflugschleusen Richtung Süden sich öffnen, sind unseriös und schlicht illegal.
Grundsätzlich hätte der Flughafen aufgrund des ersten SIL-Objektblatts seit 2013 die Möglichkeit gehabt, jährlich bis zu 1000 Südabflüge geradeaus zu beantragen und diese bei Nebel und Bise zum Verspätungsabbau einzusetzen. Der Bericht der Flugunfalluntersuchung, welchen der Flughafen seiner Argumentation zugrunde legt, war damals bereits bekannt. Wer den Vergleich zum neu vorliegenden SIL-Objektblatt des Bundes mit geforderten «ca. 13 000» Südabflügen macht, kann zwei Schlüsse ziehen. Entweder hat sich das Klima dramatisch verändert, so dass heute 13-mal so viele Bise- oder Nebeltage im Jahr auftreten. Oder der Flughafen wünscht sich einen grösseren Handlungsspielraum auf dem Rücken der Bevölkerung und hat deshalb mit der Beantragung zugewartet. Das ist unglaubwürdig.
Wenn Bund und Flughafen sich einen erhöhten Handlungsspielraum erhoffen, erweisen sie sich einen Bärendienst. Es gibt alternative Möglichkeiten, um den Betrieb am Flughafen stabil und sicher weiterzuentwickeln. Eine ist der sogenannt gekröpfte Nordanflug. Eine andere zu prüfende Möglichkeit sind Westanflüge über wenig besiedeltem Gebiet. Wer diese Optionen verneint, dem fehlt es an Respekt gegenüber der Bevölkerung und gegenüber dem Zürcher Regierungsrat. Denn dieser würde bei einer Einführung von Südabflügen geradeaus mit einer unmöglichen Situation konfrontiert. Stimmen die Vertreter des Kantons Zürich im Verwaltungsrat der Flughafen Zürich AG den Südanflügen geradeaus zu, würden sie indirekt geltendes kantonales Recht brechen. Denn Südabflüge geradeaus lassen den Zürcher Fluglärmindex (ZFI) gänzlich entgleisen. Die Einhaltung des ZFI-Grenzwerts – er ist bereits heute überschritten – ist von Gesetzes wegen verlangt.
So wie der ZFI und so wie alle wichtigen Vorlagen des Flughafens bei Volksabstimmungen im Kanton Zürich Mehrheiten gefunden haben, ist zu erwarten, dass auch das wichtige Anliegen der Pistenverlängerungen vors Volk kommt. Vielfach sind es der Süden des Flughafens und die Stimmbürger der Stadt Zürich, die für die Annahme von Flughafenvorlagen den Ausschlag geben.
Der Flughafen Zürich soll sich weiterentwickeln können. Qualitative Entwicklung des Angebots steht dabei vor unbegrenztem Wachstum. Ein Pistenausbau zur Stabilisierung des geltenden Flugregimes hat in einer Volksabstimmung dereinst nur reale Chancen, wenn der Bundesrat das SIL-Paket im nächsten Jahr ohne die Südabflüge geradeaus verabschieden wird.
Lothar Ziörjen, Stadtpräsident Dübendorf, ist Präsident des Fluglärmforums Süd.