Was wie moderne Kunst erscheint, hat einen harmlos klingenden Namen: Entflechtung des Ostkonzepts (siehe Grafik). Die Neuorganisation der Anflüge von Osten auf die Piste 28 und der Starts Richtung Norden auf den Pisten 32 und 34 ist ein wesentlicher Teil der vom Flughafen Zürich beantragten Änderungen des Betriebsreglements, die letzte Woche bekanntwurden und seit Montag nun auch öffentlich aufliegen.
Als harmlos taxiert wird die Anpassung aber vor allem in Süddeutschland nicht. Die Landräte der Kreise Waldshut, Konstanz und Schwarzwald-Baar wollen verhindern, dass Berlin der Neuerung zustimmt. Mehr noch: Sie drängen auf eine einseitige Verschärfung der heutigen Sperrzeiten in den Randstunden, die 2003 die Einführung der Südanflüge nötig machten. Kritisch äussert sich auch Gisela Splett, Staatssekretärin im baden-württembergischen Verkehrsministerium und Lärmschutzbeauftragte des Landes. Sie moniert: «Der Norden des Flughafens wird belastet, der Süden geschont.»
Druck auf Berlin aufgesetzt
Berlin müsse sich nun endlich für Südbaden starkmachen, fordert Splett. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann werde sich jedenfalls persönlich bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt für die Interessen der Region einsetzen. Dies könne durchaus auch heissen, die heutigen Beschränkungen des deutschen Luftraums auszudehnen – nicht über den Staatsvertrag, der politisch wohl erledigt sei, sondern über eine Anpassung der 220. Durchführungsverordnung, die den Anflug auf Zürich über deutsches Staatsgebiet regelt.
Vordringlich ist für Splett nun aber, Klarheit über die Auswirkungen der vom Flughafen Zürich beantragten Neuerungen zu erhalten. Das Land und die drei Landkreise hätten deshalb beschlossen, ein entsprechendes Gutachten in Auftrag zu geben. Dieses solle auch alternative Flugverfahren aufzeigen, mit denen die Sicherheit erhöht – und Südbaden entlastet werden könne.
Ein Ärgernis ist für Kistler und Splett vor allem, dass während der deutschen Sperrzeiten neu alle anfliegenden Flugzeuge von Norden her auf die Piste 28 geführt werden sollen. Die Reihung der Flugzeuge erfolgt dabei an der Grenze zu Deutschland, bevor über dem Kanton Schaffhausen der Endanflug beginnt. Heute fliegen die Maschinen, die von Westen her via den Warteraum Gipol kommen, die Piste 28 über den Süden des Flughafens an.
Im Gegenzug zur Konzentration der Anflüge auf die Piste 28 über Norden soll die Hauptstartroute Richtung Osten neu etabliert werden. Vorgesehen ist eine deutlich grössere Linkskurve südlich des Flughafens, so dass die startenden Maschinen dem Endanflug auf die Piste 28 nicht in die Quere kommen. Für Zeiten mit wenig Flugverkehr steht eine direktere Verbindung Richtung Osten zur Verfügung, die dichtbesiedelte Gebiete im Westen und Süden des Airports entlasten soll. Der Flughafen verweist darauf, dass die Entflechtung des Ostkonzepts eine wesentliche Massnahme ist, die im 2013 publizierten Sicherheitsbericht zum Flughafen Zürich vorgeschlagen wurde.
Verschärfungen gefordert
Martin Kistler, Landrat des Landkreises Waldshut, bringt seine Beurteilung der Pläne des Flughafens Zürich so auf den Punkt: «Wir haben eine Reduktion des Lärms gefordert – und nun werden wir sogar noch zusätzlich belastet.» Aus Kistlers Sicht wird mit der beantragten Entflechtung des Ostkonzepts die Beschränkung des deutschen Luftraums, die Südbaden seit 2003 in den Randzeiten morgens und abends mehr Ruhe bringt, ad absurdum geführt: «Die Nordausrichtung wird wieder zementiert, das ist nicht akzeptabel.» Dass die Flugzeuge in Südbaden noch auf einer Höhe von mindestens 3600 Metern über Meer sind, lässt Kistler als Gegenargument nicht gelten. Zum einen seien je nach lokaler Topografie auch solche Anflüge störend. Zum anderen stehe weiterhin im Raum, dass künftig die Mindestflughöhen gesenkt würden.
Um eine scharfe Reaktion ist Kistler nicht verlegen. Zusammen mit seinen Landratskollegen der Kreise Konstanz und Schwarzwald-Baar fordert er Berlin auf, die heutigen Beschränkungen zu verschärfen. Da der Staatsvertrag politisch tot sei, gelte es, neue Vorstösse zu lancieren, die Entlastung brächten. Konkret verlangen die drei Landräte, dass ab dem ersten Quartal 2015 die abendlichen Sperrzeiten an den Wochentagen verlängert werden. In einem zweiten Schritt sollen weitere Beschränkungen in Kraft treten, bis die Ziele der «Stuttgarter Erklärung» umgesetzt seien. Diese in Süddeutschland breit abgestützte Forderung zielt unter anderem darauf ab, dass nicht mehr als 80\'000 Anflüge jährlich über Norden erfolgen; heute sind es knapp über 100\'000.
Kritik ist aber auch aus der Schweiz zu vernehmen, Einsprachen und ein jahrelanger Prozess bis zur allfälligen Umsetzung des Betriebsreglements 2014 sind programmiert. Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und Präsident des Schutzverbandes der Bevölkerung rund um den Flughafen, bemängelt, dass der Lärmteppich insgesamt grösser werde. Der gesetzlich relevante Lärm nehme zwar nicht markant zu, aber der wahrnehmbare und störende sehr wohl.