Thomas Morf hat als oberster Südschneiser in den letzten zwölf Jahren die Zürcher Flughafenpolitik mitgeprägt. Für die einen ist er ein sturer Egoist, für die anderen ein unermüdlicher Kämpfer. Nun verreist er – ohne Termin für die Rückkehr.
Andreas Schürer
Er hat auch ein anderes Gesicht. Für einmal trägt er an diesem nebligen Januarmorgen keine gelbe Mütze, er redet sich nicht in Fahrt darob, dass die verbrüderten Lobbyisten von Flughafen, Bund und Skyguide ihre Geheimpläne vorantrieben, die nur einen Zweck hätten: den grenzenlosen Ausbau des Zürcher Airports. Nein, Thomas Morf trägt Jeans, Hemd und einen Gürtel des Lastwagenbauers MAN. Die Augen funkeln nicht, weil er gegen neue Flugrouten kämpft, sondern weil er in seinem eigenen Lastwagen von bevorstehenden Abenteuern erzählt.
Im Frühling soll es losgehen: Zusammen mit seiner Frau wird er dann mit dem Neun-Tonnen-Gefährt losfahren, das er in den letzten drei Jahren eigenhändig ausbaute. Ziele auf der Reise sind unter anderem die Türkei, Iran, Kasachstan, Westchina, Russland, die Mongolei und Nepal. Um die beiden Kinder und den Enkel zu sehen, wird das Ehepaar Morf gelegentlich nach Pfaffhausen zurückkehren. Einen Termin für eine fixe Rückkehr gibt es aber nicht. Das Präsidium des «Vereins Flugschneise Süd – Nein» (VFSN) wird der 60-jährige Morf an der Generalversammlung vom 4. März abgeben. Dann soll auch bekanntgegeben werden, wer in Morfs Fussstapfen treten wird. Anzunehmen ist, dass es der Zumiker Matthias Dutli sein wird, der sich zuletzt vereinsintern stärker in Szene setzte.
Gründung am Unglückstag
Der Süden verliert mit Morfs Rücktritt sein Aushängeschild. Bald zwölf Jahre ist es her, dass Morf an der Gründung des VFSN das Präsidium übernahm, am 1. Juli 2002, ausgerechnet an jenem Abend, als kurz vor Mitternacht in Überlingen zwei Flugzeuge kollidierten. Ein Jahr später, am 30. Oktober 2003, stand Morf um 6 Uhr auf dem Pausenplatz des Schulhauses in Gockhausen, wartete auf den ersten Anflug über Süden und sagte vor rund 500 Leuten: «Wir stehen hier zusammen, weil wir uns nicht unterjochen lassen.» Mehr als zehn Jahre später wird immer noch über Süden angeflogen, und Morf befürchtet, dass es noch schlimmer kommt – mit den Südstarts geradeaus. Er kenne die «cleveren Burschen aus der Aviatikszene» inzwischen so gut, dass er zwischen den Zeilen lesen könne. Alle Indizien deuteten darauf hin, dass bald schon 16 Stunden täglich direkt über den Süden gestartet werde, sagt Morf. Dass er Verschwörungstheorien verbreite, akzeptiert er als Einwand nicht; auch vor der Einführung der Südanflüge habe man ihn ausgelacht.
Er sei stur, wird ihm aus der Aviatikbranche oft vorgeworfen, Exponenten aus anderen Regionen sehen in ihm den egoistischen Vertreter des reichen Südens, der nicht bereit sei, auch einen Teil der Lärmbelastung zu tragen. Morf entgegnet: «Unser Credo lautete immer, dass möglichst wenige Menschen mit möglichst wenig Lärm belastet werden sollen.» So gesehen, sei es unsinnig und auch mit Blick auf die Lärmschutzgesetzgebung stossend, wenn über dichtbesiedeltes Gebiet wie den Süden geflogen werde. Diese Begründung ist nachvollziehbar, wenn auch gar absolut. Mit Vorstössen wie dem Ruf nach einer Beschränkung der Transferpassagiere am Flughafen Zürich hat sich Morf allerdings verrannt. Ebenso unsinnig wäre die Forderung, im Hauptbahnhof sollten die Intercity-Züge zwar freie Fahrt haben, die S-Bahn-Zubringer aber beschränkt werden.
Ausgleichend gewirkt
Zugutehalten muss man Morf aber etwas, was verkannt wird. Bei allem Kampf war immer auch eine Spur Schalk mit im Spiel. Bedeutsam war dies vor allem nach innen. In Hunderten von Gesprächen und Mails mit aufgebrachten VFSN-Mitgliedern wirkte Morf deeskalierend, auch in Zeiten, in denen die Emotionen hochgingen. An keiner der Demonstrationen des VFSN kam es denn auch zu Gewalt.
Das Reisen liegt dem Ehepaar Morf im Blut. Mit und ohne Kinder waren sie bereits wochenlang in Süd- und Nordamerika sowie in Afrika in Campern unterwegs. Nun wollen sie den Osten kennenlernen. Für die Erfüllung dieses Traums haben sie sich vor drei Jahren das Gefährt gekauft, das auf unbestimmte Zeit ihre neue Heimat sein soll. Thomas Morf, der über den Lastwagenausweis verfügt, baute das Gefährt in den letzten drei Jahren aufwendig aus. Heute verfügt es über Bett, Esstisch, Küche inklusive Herd und Kühlschrank; rund 500 Meter Kabel sind verlegt. Der Wagen, weiss und notabene nicht schneisergelb lackiert, wirkt imposant und kompakt; er ist 6,80 Meter lang und 3,45 Meter hoch.
Wenn Morf Richtung Mongolei reist, verschwindet er auch aus der Schweizer Öffentlichkeit. Für den Schritt ans Rampenlicht hat er beruflich teuer bezahlt. Die Stelle als Kadermitglied einer Schweizer Grossbank verlor er während der Zeit, als wegen der Südanflüge die Wogen hochgingen. 49-jährig war er damals. Er machte sich selbständig im Bereich Projektmanagement, der VFSN wurde zum treusten Kunden. Den Verein baute er zu einer starken Organisation auf. Inzwischen zählt er über 5000 zahlende Mitglieder. In der öffentlichen Wahrnehmung verkörpert aber allein Morf den VFSN. Die Schattenseite der Personalisierung ist das, was Morf das «Gruselkabinett» nennt: ein Mail-Ordner mit wüsten Zuschriften, darunter auch Morddrohungen.
«Verschleisserscheinungen»
Von Verantwortlichen aus anderen Regionen wird Morf differenziert wahrgenommen. Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und Vizepräsident des Schutzverbandes der Bevölkerung um den Flughafen Zürich, beschreibt ihn zwar als stur: «Wenn man seine Meinung nicht teilt, verliert er rasch das Interesse an einer Zusammenarbeit.» Dem stimmt Fritz Kauf, Präsident des Vereins Bürgerprotest Fluglärm Ost, zu. Er attestiert Morf aber auch, dass er in der Materie versiert und mit Leib und Seele Kämpfer für seine Region sei. Und: «Abgesehen vom Thema Fluglärm ist er ein netter, zuverlässiger Mensch.» Für Barbara Günthard-Maier (fdp.), Winterthurer Stadträtin und Präsidentin der Region Ost, schrieb Morf ein Kapitel Zürcher Flughafengeschichte. Grundsätzlich habe sie Respekt für Leute, die sich jahrelang hartnäckig für eine Sache einsetzten, auch wenn sie mit der Stossrichtung nicht einverstanden sei. Positiv hebt sie hervor, dass man mit Morf bei einem Kaffee auch undogmatisch reden könne.
Dass das Kapitel, das er im VFSN schrieb, nun endet, bedauert Morf nicht. Nach zwölf Jahren sei es Zeit, Platz zu machen für neue Ideen und neue Methoden. Sein Kampfeswille sei zwar ungebrochen, gewisse Verschleisserscheinungen spüre er aber schon. Auch wenn er dies sagt, funkeln jedoch die Augen, und es keimt der Verdacht auf, dass er dem VFSN auch von der Mongolei aus noch zur Seite stehen wird.