Florian Schaer
«Stellen Sie einen Pfahl aufs Pistenkreuz. Dann laden Sie alle Interessenten ein, je ein Seil daran zu befestigen und in Ihre Richtung zu ziehen. Was passiert?» Dieses Bild setzte Thomas E. Kern als CEO des Zürcher Flughafens an den Anfang seiner Ausführungen im Winkler Breitisaal. Natürlich, der Pfahl bliebe stehen. «Allerdings, wenn Sie ihn genau betrachten, so hat er eine ganz leichte Tendenz, in Richtung Norden zu kippen - nicht wegen Winkel, sondern wegen der Deutschen.»
In die 60 Minuten Redezeit, die ihm die Organisationen Winkel60plus und die örtliche Pro Senectute als Veranstalter des Winkel-Treffs einräumten, packte der Flughafenchef eine Reihe von nüchternen Fakten, um eine Antwort auf die von ihm gleich selbst formulierte Frage zu liefern: «Was würden Sie tun, wenn Sie es niemandem recht machen könnten?» Kerns «Kernsatz», eben noch veranschaulicht mit dem Pfahl und den Seilen, bleibt auch in der abstrakteren Form mehr eine Feststellung denn eine Antwort: «Die Kräfte der divergierenden Partikularinteressen neutralisieren sich - das ist wahrscheinlich mein bisher gescheitester Satz.»
Die Agenda des Flughafenchefs widerspricht indessen jedem, der aus obigem Statement eine Stagnation ableiten will. Die grösste Herausforderung sei derzeit die Planung der möglichen Umsetzung des Staatsvertrags zwischen Deutschland und der Schweiz. Dieser ist zwar heute nicht ratifiziert, auf die mögliche Umsetzung aber muss der Zürcher Flughafen sich dennoch einstellen und jährlich zusätzliche 25\'000 Flüge planen, die nicht direkt über den Norden anfliegen (siehe unten). Dass auch bei dieser Frage die Diskussion um den Fluglärm mitschwingt, erklärt sich von selbst. «Wenn Sie nun fragen: "Hat der Flughafen Zürich das Lärmproblem im Griff?" Dann muss ich Ihnen sagen: "nicht wirklich."» Und das sei «eigentlich erstaunlich», wenn man bedenke, dass das Flughafensystem heute wesentlich weniger Lärm verursacht als noch vor 30 Jahren. «Trotzdem habe ich das Gefühl, dass der Lärm heute das grössere Thema ist als damals.»
Den Grund dafür sieht Kern weniger in der angewachsenen Bevölkerung der Flughafenregion denn in der Tatsache, dass namentlich durch die Südanflüge seit 2003 Regionen mit Lärm beschallt werden - Gegenden, die bis dahin nicht weniger, sondern überhaupt keinen zivilen Fluglärm kannten.
Im Anschluss erläuterte der Flughafen-CEO die drei heute gültigen An- und Abflugregime (Nord-, Süd- und Ostkonzept) und hielt die Sicht des Flughafens Zürich fest: Das Nordkonzept habe trotz höherer Komplexität die beste Kapazität auszuweisen, auf der Suche nach Alternativen dazu erweise das Ostkonzept sich als beste Option, wenngleich es durch die kürzere Piste 28 «weniger robust» sei - damit ist gemeint, dass bei schlechtem Wetter jeweils auf den Südanflug umgestellt werden muss. In der Konsequenz soll die geplante Verlängerung der Piste 28 das Ostkonzept robuster machen.
«Wir erfüllen unseren Auftrag»
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen versäumte Kern es nicht, mehrfach zu unterstreichen, dass der Flughafen den Auftrag des Bundes «hervorragend erfüllt», die Direktverbindungen zu den wichtigsten Metropolen der Welt zu sichern und dabei nicht subventioniert werde.
Auf den Status des gekrümmten Nordanflugs angesprochen, erwähnte Kern, dass derzeit die Versuche mit dem dazu nötigen Satellitennavigationssystem (GBAS, für Ground Based Augmentation System) weitergeführt würden. «Wir sind voll unterwegs und haben sogar eigens eine Stelle geschaffen, nur um diesen Prozess zu beschleunigen.» Die nötigen Installationen, Testverfahren und Sicherheitskontrollen würden allerdings noch Zeit in Anspruch nehmen. «Geflogen wird der Gekrümmte in vier bis fünf Jahren», prognostizierte er.
«Wir können sicher in der Luft kreuzen lassen - nur ist die Fehlertoleranz dann kleiner»
Im Rahmen seines Vortrags über den «Flughafen im Spannungsfeld der Interessen» nannte Flughafen-CEO Thomas E. Kern die Umsetzung des Staatsvertrags mit Deutschland als derzeit grösste Herausforderung. Statt direkt von Norden her auf die Pisten 14 und 16 anzufliegen, muss ein Umweg entweder über Süden (Landung auf Piste 34) oder Osten (Piste 28) geflogen werden. Was schon seit 2003 per Verordnung gilt, wurde im Staatsvertrag durch zusätzliche Ruhezeiten für Süddeutschland ergänzt. Wenn der Staatsvertrag greife, bringe das pro Jahr 25\'000 zusätzliche solcher «Umweg-Flüge», die organisiert werden müssen. «Jede Variante, die wir vorschlagen, muss sich an vier Kriterien messen lassen.» Dazu führte Kern aus:
1. Die Lärmbelastung «Sie dürfen nicht fragen: "Werde ich belärmt"?, sondern müssen schlicht feststellen, ob eine Variante unterm Strich mehr oder weniger belärmte Menschen zur Folge hat.»
2. Die Komplexität «Wenn wir eine Idee haben mit gekreuzten Pisten oder mit Kreuzen der Flugzeuge in der Luft, dann erhöht das die Komplexität. Wir wären zwar in der Lage, das sicher zu machen - aber es reduziert die Sicherheitsmarge. Sie können davon ausgehen, dass alles, was geflogen wird, sicher ist. Aber es hat eine unterschiedliche Fehlertoleranz. Je komplizierter die Variante, desto kleiner ist diese Toleranz. Anderseits wird die Toleranz grösser, je mehr sie Routen entflechten können.»
3. Die Kapazität «Hier ist die Frage, welchen Einfluss hat das System auf die Stundenkapazität. Vor allem für die Swiss ist entscheidend, dass sie in ihren Spitzenzeiten eine bestimmte Anzahl Starts oder Landungen abwickeln kann. Mit dem heute praktizierten Verfahren stösst die Kapazität des Flughafens bereits mehrmals täglich an ihre Grenzen.»
4. Kosten-Nutzen-Verhältnis «Der Flughafen ist eine betriebswirtschaftlich geführte Unternehmung, die ohne Subventionen auskommen muss. Deshalb stellt sich stets auch die Frage: Was ist der Gegenwert einer Investition innerhalb dieses Spannungsfelds.» (red)