Nun also doch: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt geht vor der zweiten Etappe des Flughafen-Sachplans über die Bücher. Die umstrittene Intraplan-Studie, deren Prognose den Streit mit Deutschland eskalieren liess, soll nun überprüft werden.
Andreas Schürer
Noch im Januar wollte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) die offizielle Planungsgrundlage für die Entwicklung des Flughafens Zürich nicht infrage stellen. Nun hat der Wind gedreht: Das Bazl bestätigt Informationen der NZZ, dass vor allem die umstrittene Prognose zum Wachstum der Zahl der Flugbewegungen überprüft werden soll. Die im Jahr 2005 erstellte und zuletzt 2009 angepasste Studie des Münchner Beratungsbüros Intraplan Consult wird im Hinblick auf die zweite Etappe im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) zum Flughafen Zürich aktualisiert, wie eine Bazl-Sprecherin sagt. Die entscheidenden Weichen für das künftige Betriebsregime werden in diesem zweiten SIL-Teil gestellt. Auch die Debatte um den Staatsvertrag mit Deutschland ist von den Prognosen direkt betroffen.
Überschätztes Wachstum
Mit der angekündigten Überprüfung reagiert das Bazl auf breite Kritik der Flughafengemeinden und der Fluglärm-Organisationen. Die Intraplan-Studie sagte nämlich zwar die Entwicklung der Passagierzahlen fast punktgenau voraus – von 21 Millionen im Jahr 2009 auf rund 25 Millionen Passagiere im Jahr 2012. Das Wachstum der Flugbewegungen überschätzte sie aber massiv, zumindest aus kurzfristiger Sicht. So hätten laut der Studie bereits im Jahr 2012 in Zürich über 300\'000 Flugbewegungen abgewickelt werden sollen. Tatsächlich waren es nur knapp 270\'000, so viele wie 2007 und satte 10\'000 weniger als 2011.
Der Trend ist auch in diesem Jahr leicht rückläufig – trotz steigenden Passagierzahlen. Die Fluggesellschaften setzen grössere Flugzeuge ein und lasten diese erst noch besser aus. Ein aktuelles Beispiel: Im Juni 2013 nahm die Zahl der Passagiere im Vergleich mit dem Vorjahresmonat um 0,8 Prozent zu, jene der Flugbewegungen sank dagegen um 1,7 Prozent. Die durchschnittliche Zahl der Passagiere pro Flug stieg um 1,9 Prozent auf 112, die Auslastung (Sitzladefaktor) war mit 77,4 Prozent 1,2 Prozentpunkte höher als im Juni 2012.
Was der Effekt ausmacht, das verdeutlicht ein Vergleich: Im Jahr 2003 wurden am Flughafen Zürich mit 269\'000 Flugbewegungen 17 Millionen Passagiere befördert. Letztes Jahr waren fast exakt gleich viele Flüge zu verzeichnen. An Bord sassen aber insgesamt 25 Millionen Passagiere. Womit auch klar ist: Halbleere Flieger ab Zürich, von denen der Preisüberwacher Stefan Meierhans fabuliert, sind Einzelfälle, der Durchschnittswert liegt deutlich höher.
Das Büro Intraplan rechnete den Einfluss der grösseren Flugzeuge und der besseren Auslastung zwar ein, unterschätzte ihn aber. Laut der Prognose aus dem Jahr 2009 sollte die Zahl der Passagiere pro Flug von 93 im Jahr 2007 auf 103 im Jahr 2020 und auf 111 im Jahr 2030 ansteigen. Nun wurde der letztere Wert bereits im Juni 2013 überschritten. Damit deutet sich an, dass auch der Prognosewert von 316\'000 Flugbewegungen für das Jahr 2015 nicht erreicht wird.
Megatrends sind unverändert
Durchaus möglich ist aber, dass das Wachstum langfristig nicht mit grösseren Geräten und besserer Auslastung bewältigt werden kann – und die Langfristprognose zutreffen wird, allenfalls um einige Jahre verzögert. Im Jahr 2020 sollen laut der Intraplan-Prognose am Flughafen Zürich 346\'000 Flugbewegungen abgewickelt werden, im Jahr 2030 sogar 405\'000. Dass die Kapazitätsgrenze am Flughafen Zürich bei rund 350\'000 Bewegungen liegt, ist in der nachfrageorientierten Studie nicht berücksichtigt, verdeutlicht aber den Handlungsbedarf und die Wichtigkeit der Prognose für die Langfristplanung. Der Co-Geschäftsführer und Projektverantwortliche der Intraplan Consult GmbH, Markus Schubert, ist gegenwärtig nicht erreichbar, im Januar hatte er aber die Langfristprognose noch verteidigt. Aktualisierungen seien für kurzfristige Betrachtungen sinnvoll, auf die lange Sicht sehe er keinen Anpassungsbedarf. Da die Megatrends unverändert seien und der Flughafen Zürich als attraktiver Standort vom Wachstum der Branche profitieren werde, sei eher die Zeitachse die Variable als die prognostizierte Zahl.
Unnötige Aufregung
Gerade im Fluglärmstreit mit Deutschland ist die Zeitachse aber entscheidend. Der in Berlin blockierte Staatsvertrag soll bis ins Jahr 2030 wirken – in seine Gültigkeitsdauer fällt also die in der Intraplan-Studie vorhergesagte massive Steigerung der Zahl der Flugbewegungen. Die Prognose stand denn auch am Ursprung des Eklats im Fluglärmstreit im vergangenen Herbst. Pflichtschuldig rechnete das Bazl vor, dass die maximale Zahl an Anflügen über Süddeutschland 110\'000 betrage. Der nachträgliche Hinweis aus Bern, diese Zahl gelte erst beim Erreichen der Gesamtkapazität von 350\'000, konnte nicht beschwichtigen – laut der offiziell verwendeten Intraplan-Studie wird diese Kapazitätsgrenze schliesslich bereits im Jahr 2022 erreicht. Fällt das Wachstum bis 2030 nun aber wesentlich tiefer aus, wäre die ganze Aufregung künstlich aufgebauscht gewesen.
Der Flughafen Zürich begrüsst denn auch den Entscheid des Bazl, die Studie zu aktualisieren. Laut der Sprecherin Sonja Zöchling ist es nur gut, wenn vor der wichtigen nächsten SIL-Festsetzung möglichst aktuelle Zahlen vorliegen. «Sonst steht ständig der Vorwurf im Raum, dass mit veralteten Zahlen operiert wird.»
Tatsächlich ist die Studie höchst umstritten. Die Fluglärm-Organisationen fordern geschlossen eine Anpassung, Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein, schlägt den Verantwortlichen die aus der Kurzfristsicht falschen Zahlen bei jeder sich bietenden Gelegenheit um die Ohren. Trotz der nun angeordneten Aktualisierung ist eine Prognose sicher zu wagen: Auch wenn die vorhergesagte Entwicklung der Bewegungszahlen nach unten angepasst wird – die Debatte um den zweiten SIL-Teil, um Südstarts, Pistenausbauten und gekröpfte Anflüge, wird kein Dezibel weniger lärmig ausfallen.